Die Krankenhauslandschaft in der Region ist im Umbruch: Die Landkreise setzen auf teure Neubauten und hoffen damit, langfristig von hohen Defiziten wegzukommen. Stuttgarter Klinikchefs beobachten diese Entwicklung mit Skepsis.

Stuttgart - „Wir haben in der Region Stuttgart zu viele Kliniken am Netz.“ Es ist Christoph Maier, der Geschäftsführer des Bethesda-Krankenhauses, der diesen Satz sagt. Das an der Hohenheimer Straße in Stuttgart gelegene konfessionelle Krankenhaus wirkt mit seinen 150 Betten geradezu familiär. Die bescheidene Größe aber ist es gerade, die das Bethesda statistisch gesehen zu einem Wackelkandidaten in der Stuttgarter Kliniklandschaft macht. Denn in den vergangenen Jahren waren es vor allem kleinere Kliniken, die schließen oder fusionieren mussten, auch in Baden-Württemberg. Christoph Maier, der für den Klinikverbund Agaplesion bereits fünf Krankenhäuser saniert hat, sieht das Bethesda freilich längst nicht am Ende, auch wenn die von ihm angestrebte Fusion mit dem Diakonie-Klinikum gescheitert ist.

 

Was Maier und seinen Kollegen zu schaffen macht, ist der wachsende Kostendruck. Die Politik will die Bettenzahl reduzieren, die Krankenkassen wollen die stetig steigenden Ausgaben im stationären Bereich in Grenzen halten. Die Patienten aber werden immer älter, die Behandlungen in der Folge immer aufwendiger. Der Kostendruck der vergangenen Jahre hinterlässt Spuren in der Krankenhauslandschaft der Region: Der Klinikverbund Südwest verzeichnete 2012 ein Defizit von 22 Millionen Euro, die Krankenhäuser in Backnang und Waiblingen schreiben rote Zahlen, das Marienhospital schloss 2012 mit Defiziten ab, das Bethesda auch 2013, das städtische Klinikum Stuttgart war in den vergangenen Jahren ebenfalls auf Millionenzuschüsse der Stadt angewiesen. In Leonberg kämpfen Einwohner um den Erhalt „ihres“ ebenfalls defizitären Krankenhauses.

Städte und Kreise setzen auf große Klinikneubauten

Weil Stuttgart zu den reichen Regionen Deutschlands zählt, ist die Folge des Drucks keine massenhafte Privatisierung, im Gegenteil. Die Städte und Kreise setzen auf große Klinikneubauten, die ihnen bessere Bilanzen bescheren sollen. Die Stadt Stuttgart ist seit Jahren dabei, für fast eine Milliarde ihr städtisches Klinikum von vier auf zwei Standorte zu konzentrieren. In Winnenden hat in der vergangenen Woche der 300 Millionen Euro teure Neubau der Rems-Murr-Kliniken eröffnet. Der Landkreis Göppingen will für 350 Millionen Euro seine Klinik im Eichert neu bauen, und der Kreis Böblingen plant eine Großklinik auf dem ehemaligen Flugfeld. Es sind diese Entwicklungen, die Jürgen Graf, den neuen Ärztlichen Direktor des städtischen Klinikums Stuttgart, zu der Bemerkung veranlassen: „Bei der Krankenhausplanung sollte es nach Versorgungsnotwendigkeiten gehen und nicht darum, welcher Landrat sich ein Krankenhaus wünscht.“

Die folgende Karte zeigt Kliniklandschaft in der Region Stuttgart (Stand: 8. Juli 2014). Mit einem Klick auf das Bild öffnet sich ein neues Fenster mit einer größeren Ansicht.

 Die Kliniklandschaft in der Region Stuttgart, Stand: 8. Juli 2014

Dass Graf gegen die Landräte wettert, ist kein Wunder: Mehr als 40 Prozent der Patienten im städtischen Klinikum in Stuttgart kommen aus dem Umland. betrachtet man nur den Standort Bad Cannstatt ist der Anteil noch höher. Wenn die umliegenden Kreise aufrüsten, müssen die Stuttgarter befürchten, dass Patienten in die näher gelegene Klinik abwandern. Das Beispiel Winnenden zeigt, dass mit den Neubauten immer auch eine deutliche Verbesserung des Angebots verbunden ist. Jürgen Winter, der Geschäftsführer der Rems-Murr-Kliniken, hat in den vergangenen Monaten sieben neue Chefärzte eingestellt. Ausgebaut wurden etwa die Onkologie, die Chirurgie und die Urologie. „Wir hoffen natürlich, dass künftig mehr Einwohner aus dem Kreis zu uns kommen“, sagt Winter. Aus Sicht von Landrat Johannes Fuchs war es unvermeidlich, das Angebot auszubauen: „Die Menschen erwarten eine qualitativ hochwertige und wohnortnahe Versorgung in öffentlicher Hand.“ Mit einer reinen Grundversorgung aber lasse sich ein Krankenhaus heute nicht mehr wirtschaftlich führen. „Wir müssen darüber hinaus Leistungen anbieten, um überleben zu können“, sagt Fuchs.

Alle großen Häuser investieren

Ralf-Michael Schmitz, der Geschäftsführer des städtischen Klinikums Stuttgart, sieht dies anders: „Es ist ärgerlich, dass sich ländliche Kliniken die Spezialgebiete aussuchen, die sich rechnen.“ Als Beispiel nennt er die Wirbelsäulenchirurgie. Schmitz spricht von Spartenmedizin und sieht sein Klinikum als Maximalversorger im Nachteil: „Bei uns landen auch die Fälle, bei denen wir bis zu 75 000 Euro draufzahlen.“ Was Schmitz meint, sind beispielsweise Patienten, die nach einem Verkehrsunfall mit einem Polytrauma eingeliefert werden und deren aufwendige Behandlung nicht auskömmlich vergütet wird.

Es ist ausgerechnet Uwe Gretscher, Generalbevollmächtigter der Sana-Kliniken und Mitglied im Vorstand der baden-württembergischen Krankenhausgesellschaft, der den Landräten beispringt: „Die Menschen erwarten ein Krankenhaus in ihrer Nähe. Damit werden die Landräte auch in eine bestimmte Position gedrängt.“ Es sei schwer vermittelbar, dass nicht die Nähe des Bettes das entscheidende Kriterium für eine gute Versorgung sei, sondern dass die Patienten von einer Spezialisierung viel stärker profitierten. „In einem 50-Betten-Haus kann ich nicht in allen Bereichen eine hohe Qualität anbieten“, sagt Gretscher. In Stuttgart betreibt die Sana mit dem Karl-Olga-Krankenhaus, der Herzchirurgie und dem Rot-Kreuz-Krankenhaus drei Häuser. „Als privater Klinikbetreiber haben wir keine Kommune, die unser Defizit übernimmt.“

Patienten sind gut informiert

Um bei dem Wettbewerb nicht auf der Strecke zu bleiben, investieren alle großen Stuttgarter Häuser. Das Marienhospital erneuert für 45 Millionen Euro seine acht Operationssäle und baut zugleich den Intensivbereich aus. Beide Maßnahmen sollen dazu beitragen, die zuletzt rückläufigen Patientenzahlen wieder zu steigern. Das Diakonie-Klinikum investiert 20 Millionen Euro in die Kernsanierung des Wilhelmspalais. „Die Patienten erwarten einen hohen Standard in allen Bereichen“, sagt der Geschäftsführer Bernd Rühle.

Beobachten lässt sich das Wettrüsten auch in der Krebstherapie. Das Diakonie-Klinikum hat 2012 eine moderne Strahlentherapie eingerichtet, das städtische Klinikum baut seine gerade für 14,7 Millionen Euro neu. „Die Patienten sind so gut informiert wie nie“, sagt Ullrich Hipp, der Geschäftsführer des Robert-Bosch-Krankenhauses (RBK). Deshalb errichtet auch das RBK für 50 Millionen Euro einen Neubau, in dem ein Krebszentrum nach dem Vorbild der Heidelberger Uniklinik entstehen soll. Dazu gehört eine Strahlentherapie, die das RBK zusammen mit dem Marienhospital betreiben wird. Auch diese Kooperation ist dem finanziellen Druck geschuldet. Die für die Strahlentherapie nötigen Linearbeschleuniger sind teuer, qualifizierte Ärzte rar. „Es muss nicht jeder alles schultern und sich in Risiken begeben“, erklärt Hipp.

Experte erwartet weitere Konzentrationsprozesse

Verschärft hat sich auch die Jagd nach guten Chefärzten. „Im Moment werben sich die Kliniken so viele Spezialisten ab wie noch nie“, sagt ein Chefarzt, der ungenannt bleiben will und von „Wildem Westen“ und einem „Überangebot in der Allgemeinchirurgie“ spricht. Bei der Konkurrenz unterschrieben haben etwa die renommierten Chirurgen Michael Müller, Barbara Kraft und Michael Gabel.

Klaus-Peter Murawski, lange Krankenhausbürgermeister in Stuttgart und jetzt Leiter des Staatsministeriums, ist überzeugt, dass die Patienten vom Wettbewerb profitieren: „Von der Qualität der Kliniken ist Stuttgart nach Heidelberg die am besten aufgestellte Stadt im Land.“ Das freilich sagt noch nichts darüber, wie viele Häuser überleben werden. Ullrich Hipp vom RBK sagt, dass es in der Region zu viele Betten gebe. „Die Patientenzahlen werden zurückgehen, da die geburtenschwachen Jahrgänge nachrücken.“ Auch Christoph Maier vom Bethesda sieht die Region als überversorgt an und hält weitere Konzentrationsprozesse und Privatisierungen für unvermeidlich. „Stuttgart ist eine wirtschaftlich starke Region, deshalb passieren viele Entwicklungen zeitverzögert.“