Studie der Krankenkassen:Das langsame Sterben der Kliniken

Die Umstellung auf Fallpauschalen im Gesundheitssytem sollte die Zahl der Krankenhäuser in Deutschland reduzieren. Doch seit 2003 sind deutlich weniger Krankenhäuser vom Markt verschwunden als die amtliche Statistik glauben lässt.

Von Guido Bohsem, Berlin

Krankenhäuser sterben langsam. Wenn eine Klinik dichtmacht, hat sie bereits eine lange Leidensgeschichte hinter sich. Schwindende Patientenzahlen, sinkende Umsätze, Personalprobleme und hohe Verluste begleiten so ein Haus oftmals schon seit langen Jahren. Wie zum Beispiel das vor etwa einem Jahr geschlossene St.-Josef-Krankenhaus im nordrhein-westfälischen Monheim.

Schon 2000 waren die wirtschaftlichen Aussichten der kleinen Klinik fraglich. Doch gab es zunächst Hoffnung, weil der Eigentümer wechselte. Der neue Träger investierte, baute um, mehr als zehn Jahre lang. Doch vergeblich. 2012 wurden im Krankenhaus nur noch 2900 vollstationäre Fälle versorgt. Das waren 300 weniger als noch zwei Jahre zuvor. Danach zogen die Eigentümer die Konsequenzen und stellten St. Josef zum Verkauf. Es fand sich kein Bieter. Auch der Rat der Stadt Monheim winkte ab. Zu hohe Verluste, zu geringe Aussichten, das Haus wirtschaftlich zu betreiben, urteilten die Politiker. 127 Mitarbeiter verloren ihren Job.

Umbau eines Gesundheitssystems mit zu vielen Krankenhäusern

Das St. Josef in Monheim ist nur ein Beispiel für eine Reihe von Krankenhäusern, die im vergangenen Jahrzehnt geschlossen wurden. Es ist das schmerzliche Beispiel vom Umbau eines Gesundheitssystems, das im Vergleich zu anderen europäischen Ländern über zu viele Krankenhäuser und Betten verfügt. Ein Umbruch, den die große Koalition vorantreiben möchte, womöglich noch in dieser Legislaturperiode. Gegen Ende des Jahres werden Vorschläge einer Arbeitsgruppe von Gesundheitspolitikern aus Bund und Ländern erwartet.

Dabei wollte man beim Abbau der Krankenhäuser schon weiter sein. Als 2003 die Abrechnung über Fallpauschalen eingeführt wurde, war sogar vor einem Kliniksterben gewarnt worden. Grob gesprochen wird seitdem nicht mehr die Zeit honoriert, die ein Patient im Krankenhaus verbringt. Bezahlt werden lediglich die durchschnittlichen Aufwendungen, die zur Behandlung der Krankheit notwendig sind.

Die Bundesländer zögern die Schließung von Häusern hinaus

Ein Drittel aller Häuser werde mit den Mitteln der Fallpauschale nicht auskommen und vom Markt verschwinden, hieß es damals. Tatsächlich legt ein Blick auf die Statistiken einen Rückgang der Klinikzahlen um etwa zehn Prozent auf 2017 Krankenhäuser im Jahr 2013 nahe. Doch muss man diese Zahlen mit Vorsicht lesen.

Nach einem Gutachten im Auftrag des Spitzenverbandes der Krankenkassen verschwanden nur 74 Kliniken völlig vom Markt. In den restlichen Fällen wurden die Häuser meist mit anderen zusammengelegt oder zu einem Verbund verschmolzen. Auch hatte die Bettenzahl der geschlossenen Krankenhäuser nur einen kleineren Anteil an der tatsächlichen Entwicklung. Auf ihr Konto gehen laut Gutachten lediglich 5200 der insgesamt knapp 46 000 abgebauten Betten. Der Rest wurde durch allgemeine Einsparungen bei den Betten oder durch das Schließen einzelner Abteilungen erzielt. "Vollständige Marktaustritte", so die Forscher, "spielen beim Abbau von Krankenhäusern und Krankenhausbetten eher eine geringe Rolle."

Nicht die Länder, die Träger entscheiden über eine Schließung

Die Erkenntnisse dürften bei der anstehenden Reform des Krankenhaus-Systems eine entscheidende Rolle spielen. Denn nach den Worten des zuständigen Abteilungsleiters beim Spitzenverband der Kassen, Wulf-Dietrich Leber, zeigen die Zahlen der Forscher, dass beim Abbau der gewaltigen Krankenhauskapazitäten in Deutschland in den vergangenen zehn Jahren noch nicht wirklich viel geschehen ist.

Studie der Krankenkassen: SZ-Grafik: Hanna Eiden; Quelle: Preusker Health Care OY

SZ-Grafik: Hanna Eiden; Quelle: Preusker Health Care OY

"Die gut 70 Fälle bleiben deutlich hinter den Szenarien zurück, die bei der Einführung der Fallpauschalen gezeichnet wurden." Erschwert werde der Prozess durch eine passive Haltung der Bundesländer, die für die Planung der Krankenhäuser zuständig sind. "Die Landespolitik spielt bei der Schließung der Kliniken de facto keine Rolle", sagt Leber. Sie seien lediglich Zaungäste, wenn es darum gehe, ein Krankenhaus dichtzumachen.

Die Studie legt nahe, dass es vor allem die Träger der Krankenhäuser waren, die am Ende die Entscheidung trafen, ihre Klinik zu schließen. Nicht die Länder entschieden, sondern die Kirchen, die Kommunen oder die privaten Eigentümer. Laut Leber sei es deshalb an der Zeit, die Träger als den wesentlichen Akteur zu begreifen und nicht die Länder.

Die in der Studie untersuchten Fälle machen deutlich, dass es für die Träger eine entscheidende Frage ist, wer die Kosten für das Schließen einer Klinik trägt. Denn dabei geht es um große Summen. Die durchschnittliche Höhe der Schließungskosten liege in der Spanne zwischen einem und anderthalb Jahresbudgets.

Kleine Hospitäler in Ballungsräumen haben schlechte Chancen

Leber empfiehlt der Bund-Länder-Kommission deshalb, mit der Krankenhaus-Reform auch einen sogenannten Restrukturierungsfonds einzuführen. Dieser Geldtopf soll Mittel eben für die Kosten eines Marktaustritts bereithalten. Die Gesundheitspolitiker von SPD und Union hatten sich bereits in den Koalitionsverhandlungen auf einen solchen Fonds verständigt. Doch war er auf Druck der CSU in letzter Minute wieder aus dem Vorhaben-Katalog der großen Koalition gestrichen worden. Noch ist offen, ob er kommt.

Vor allem das Stilllegen von kleinen Krankenhäusern in Ballungsräumen - wie das St. Josef, das zuletzt noch 107 Betten hatte - würde laut Studie mit den Geldmitteln erleichtert. "Das Problem ist nicht das kleine Haus auf dem Lande, sondern das kleine Haus im Ballungsgebiet", urteilt Leber. Und tatsächlich, im Umkreis von 20 Kilometern des St. Josef gibt es sechs weitere zum Teil deutlich größere Kliniken, die eine bis zu sechsfache Bettenzahl erreichen.

Die Kosten für den Restrukturierungsfonds werden höher sein als erwartet

Klar ist aber auch, dass die Kosten für den Restrukturierungsfonds deutlich höher sein werden als erwartet. "Wenn man bedenkt, dass die Schließung eines Krankenhauses etwa ein Jahresbudget kostet, kann man mit 700 Millionen Euro nur ein Prozent der Krankenhauskapazitäten reduzieren", sagt Leber. Im Vergleich mit anderen Industrieländern muss man aber eher von Überkapazitäten von zehn Prozent ausgehen. Will man die abbauen, wären nach Lebers Rechnung mehr als sieben Milliarden Euro notwendig.

Doch selbst wenn dieses Geld zur Verfügung steht, wird sich der Abbau der Krankenhäuser nicht innerhalb von zwei, drei Jahren bewerkstelligen lassen. Auch da ist das St. Josef wieder beispielhaft. Wie in Monheim auch, versuchen die meisten Krankenhaus-Träger zuerst einmal, das marode Haus zu sanieren, bevor sie bereit sind, es dichtzumachen.

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