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Krankenhaus am Limit

Die Klinik Bischofswerda ist mit Patienten überbelegt. Gleichzeitig ist Personal krank oder im Urlaub. Ausnahmezustand.

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© Thorsten Eckert

Von Ingolf Reinsch und Gabriele Nass

Marion Boden ist glücklich. Sie darf heute nach Hause. Das Bett in einem Zweibettzimmer bleibt nicht lange leer. Die Namen der neuen Patienten, die die Medizinische Klinik des Bischofswerdaer Krankenhauses am selben Tag aufnimmt, stehen schon im Computer. Rund zehn Patienten sind es an einem durchschnittlichen Tag, die in eine der beiden Stationen dieser Klinik eingewiesen werden. Doch im Moment sind es wesentlich mehr. Fünfzehn im Tagesschnitt, manchmal auch bis zu 20. Die 36 Betten auf Station 32 reichen jetzt an vielen Tagen nicht mehr aus.

Schwester Stephanie Poitzsch steht mit Bürotechnik auf dem Flur der Station 32. Computer und Schreibtisch haben sonst im Untersuchungszimmer hinter ihr ihren Platz. Aber das wird zurzeit gebraucht, um Patienten unterzubringen.
Schwester Stephanie Poitzsch steht mit Bürotechnik auf dem Flur der Station 32. Computer und Schreibtisch haben sonst im Untersuchungszimmer hinter ihr ihren Platz. Aber das wird zurzeit gebraucht, um Patienten unterzubringen. © Thorsten Eckert

Abgewiesen wird trotzdem keiner, der stationäre ärztliche Hilfe braucht. Leichtere Fälle versuche man in einer anderen Station des 155 Betten zählenden Krankenhauses unterzubringen, sagt Dr. Wilma Aron, Chefärztin der Medizinischen Klinik. Zudem wird auf den eigenen zwei Stationen bei Bedarf zusammengerückt. Beispielsweise indem ein fünftes Bett mitten in ein Vierbettzimmer geschoben wird. Dorthin, wo sonst der Tisch steht. Oder indem zwei Betten in einem Untersuchungsraum stehen, den eigentlich die Ärzte für kleinere Behandlungen und Patientengespräche nutzen. Beides ist ein Kompromiss. Auf den Interimsplätzen gibt es keinen Klingelknopf für den Notfall. Kein Telefon. Kein eigenes Fernsehen. Keinen eigenen Schrank. „Die Patienten leben aus der Tasche“, sagt die Chefärztin. Doch dieser Kompromiss sei allemal besser, als Patienten auf dem Gang unterzubringen. Im Krankenhaus Bischofswerda war das bisher noch nie der Fall.

Von Januar bis März die meisten Patienten im Jahr

Das Klinikpersonal versucht, dass ein Patient nur einen Tag beziehungsweise eine Nacht auf einem Interimsplatz verbringt. Sobald ein Bett frei wird, wird er verlegt. Viele Patienten haben Verständnis für die Situation, aber nicht alle, so Dr. Wilma Aron.

Die Medizinische Klinik behandelt von Januar bis März die meisten Patienten im Jahr. Erkältungen, Lungenentzündungen, Kreislaufprobleme, ein durch die dunkle Jahreszeit geschwächtes Immunsystem sind unter anderem Gründe dafür. Dass vorübergehend mal ein fünftes Bett in einem Vierbettzimmer gebraucht wird, kam auch schon in vergangenen Jahren vor, sagt Sabine Zippel, die stellvertretende Pflegedirektorin der Oberlausitz-Kliniken, zu den denen das Bischofswerdaer Krankenhaus gehört. Aber in diesem Jahr sind es mehr Patienten als in Vorjahren. Nicht nur in Bischofswerda, sondern in der gesamten Region. Auch aus dem Sebnitzer und Bautzener Raum werden Kranke in Bischofswerda eingewiesen.

Mitarbeiter machen überstunden

Stationsschwester Gisela Klinkicht muss in diesen Tagen besonders gut planen. Nicht nur, weil mehr Patienten als üblich zu versorgen sind. Sondern auch, weil viele Mitarbeiter nicht an Bord sind. Von den 18 Schwestern und Pflegern auf Station 32 teilen sich am Donnerstag acht in die drei Schichten. Fünf Mitarbeiter sind krank, vier haben Urlaub, einer ist auf Weiterbildung. Wer auf Station ist, leistet meist mehr, als er tun müsste. Mitarbeiter machen Überstunden und verschieben geplante freie Tage. Beschäftigte, die von ihrer Winterurlaubsreise gerade zurückgekehrt sind und eigentlich noch Urlaub hätten, meldeten sich von sich aus und traten vorfristig wieder zum Dienst an. „Wir sind ein eingespieltes Team, in dem sich jeder auf den anderen verlassen kann“, sagt die Stationsschwester. Hilfe kommt auch von den anderen Kliniken im Haus, indem Pflegepersonal schichtweise hilft – wenn es die Besetzung auf der eigenen Station erlaubt. „Wir sind Frau Zippel sehr dankbar, dass sie immer wieder Wege findet, personelle Engpässe zu überbrücken“, sagt Gisela Klinkicht.

Die Patienten sollen von den Engpässen möglichst wenig mitbekommen. „Die Schwestern haben schon sehr viel zu tun“, sagt Gerda Vetter. Trotzdem sind die meisten von ihnen sehr freundlich und nett, lassen sich die Arbeitsbelastung nicht anmerken. Gerda Vetter ist seit einer Woche im Krankenhaus. Sie hatte Glück, bekam das letzte freie Bett in einem Vierbettzimmer. Für die Patientin, die nach ihr gekommen ist, wurde ein fünftes Bett ins Zimmer geschoben. „Angenehm ist es zu Fünft im Vierbettzimmer nicht. Man findet nicht die Erholung, die man braucht. Und jeder muss ja auch nachts mal auf Toilette“, sagt die Stachaerin. In den vergangenen Tagen teilte sie sich im Krankenhaus ein Zweibettzimmer mit Marion Boden. „Ich habe mich die ganze Zeit gut versorgt gefühlt“, sagt die Frau aus Bretnig, ehe sie ihre Tasche packt.

Mit einem Lächeln und einer freundlichen Geste

Auf dem Stationsgang fragt eine Besucherin am späten Vormittag nach einem Patienten. Stationsschwester Gisela Klinkicht überlegt wenige Sekunden und sagt dann: „Zimmer 23, gleich um die Ecke.“ Sie sagt es mit einem Lächeln und einer freundlichen Geste. Sie und ihre Kollegen sind jetzt schon Stunden auf den Beinen: Sie haben die Patienten geweckt, haben vielen beim Waschen geholfen, haben Blut abgenommen, bei Diabetikern den Blutzuckerwert bestimmt, Medikamente verabreicht, die Betten gemacht und gegen halb Neun das Frühstück ans Bett gebracht. Bei den vielen Patienten kommt es jetzt gelegentlich vor, dass sich Tagesabläufe um circa eine halbe Stunde verschieben. Gerda Vetter und Marion Boden haben Verständnis dafür. Zu Hause passiert das doch auch mal, sagen sie.

Die Belegung auf Station 32 schwankt täglich. Patienten werden neu aufgenommen oder entlassen. Planen lässt sich das nicht. „Nur etwa ein Viertel unserer Patienten sind angemeldet. Alle anderen sind Akutfälle“, sagt Dr. Wilma Aron. Es gibt Tage, da werden zusätzliche Betten gebraucht. Und es gibt andere Tage, an denen Normalität herrscht. Auch jetzt im Februar.