Schweizer Spitäler nur zu 80 Prozent ausgelastet

Viele Schweizer Spitäler sind zu gross. Vor allem in den Regionalspitälern stehen weit mehr Betten, als dies nach wirtschaftlichen Massstäben notwendig wäre.

Daniel Friedli
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Unberührte Spitalbetten: Laut dem Preisüberwacher gibt es davon zu viele in der Schweiz. (Bild: NZZ / Franco Bottini)

Unberührte Spitalbetten: Laut dem Preisüberwacher gibt es davon zu viele in der Schweiz. (Bild: NZZ / Franco Bottini)

Die Schweiz zählt fast 300 Krankenhäuser, darunter 171 Akutspitäler, die gesamthaft rund 23800 Betten betreiben. Diese Betten sind jedoch bei weitem nicht ausgelastet, wie Daten des Bundesamtes für Gesundheit zeigen. Demnach waren die Akutspitäler im Jahr 2012 im nach Grösse gewichteten Durchschnitt nur zu 79,6 Prozent belegt. Die grossen Universitäts- und Zentrumsspitäler erreichten eine mittlere Auslastung von 82 Prozent. Bei den Regionalspitälern betrug der Wert 77 Prozent, bei den Spezialkliniken, in denen rund 6 Prozent der Pflegetage anfallen, noch 72 Prozent.

Auffällig ist, dass auch innerhalb dieser Kategorien teilweise beträchtliche Unterschiede bestehen. So wies etwa das Zürcher Unispital eine Auslastung von 92,5 Prozent aus, das Berner Inselspital hingegen nur eine von 73,9 Prozent. Bei den Regionalspitälern kämpfte gar jedes dritte mit einer Auslastung von weniger als 70 Prozent, so etwa das Kantonale Spital Appenzell, jenes für den Berner Jura oder das Paracelsus-Spital in Richterswil.

Diese Werte liegen teilweise weit unter der Schwelle, welche der Preisüberwacher als wirtschaftlich erachtet. Er geht davon aus, dass ein Akutspital mit Notfallstation eine Auslastung von 85 Prozent erreichen sollte. Dieser Wert wurde zwar noch vor dem Wechsel zum neuen System der Spitalfinanzierung definiert. Laut Manuel Jung, dem Fachverantwortlichen des Preisüberwachers, gilt er jedoch auch heute noch. Die Statistik zeigt ja auch, dass viele Spitäler diese Schwelle erreichen , sagt Jung. Und sie belegt umgekehrt, dass es in der Schweiz nach wie vor zu viele Spitäler gibt.

Teure Strukturen

Ähnlich sehen es die Krankenkassen. Die Zahlen zeigen, dass wir punkto Auslastung da und dort ein Problem haben , sagt Heinz Brand, der Präsident des Dachverbandes Sant suisse. In einem Kommentar zur Statistik wird sein Verband noch deutlicher: Die Streuung lässt vermuten, dass Überangebote bestehen und damit die Schweizer Spitallandschaft nicht effektiv organisiert ist , schreibt Sant suisse und mahnt, dies gehe zulasten der Versicherten. Es widerspricht dem Krankenversicherungsgesetz, wenn die Prämienzahler unwirtschaftliche Strukturen mitfinanzieren müssen.

Die Spitäler weisen diese Vorwürfe zurück. Sie kritisieren zum einen, dass die Statistik des Bundes nicht die volle Realität abbildet. Denn er zählt den Tag der Entlassung eines Patienten neuerdings nicht mehr als Pflegetag, was die statistische Auslastung aller Spitäler automatisch verschlechtert. Auch der Aus tritts tag verursacht aber Kosten , sagt Stephan Fricker, Chef der Merian-Iselin-Klinik in Basel. Zum anderen hat die Auslastungsquote im Urteil vieler angefragter Spitäler in der neuen Spitalfinanzierung ohnehin keine Aussagekraft mehr. Ein leeres Bett kostet nichts , sagt ein anderer Spital direktor. Wichtig für einen wirtschaftlichen Betrieb sei, dass ein Spital genug hohe Fallzahlen erreiche, sein Personal auf die effektiv betriebenen Betten abstimme und das tue, was es am besten und effizientesten könne.

Dem widersprechen die Krankenkassen nicht. Für sie ist indes auch die Auslastung weiterhin ein entscheidender Wert, einer, der vor allem bei Investitionsentscheiden zu berücksichtigen sei. Solche stehen derzeit in fast allen Kantonen an: Ob in St.Gallen, Solothurn, Basel oder im Aargau überall werden Millionen für Renovationen oder Neubauten verplant oder eingesetzt. Dabei fehlt aber laut Sant suisse noch zu oft der Blick auf die Wirtschaftlichkeit und auch jener über die Kantonsgrenze hinaus. Obwohl das Gesetz die Kantone zur Koordi nation verpflichte, schaue jeder Kanton noch in erster Linie für sich selber. Ein Überdenken der kantonal orientierten Spitalplanung ist deshalb überfällig , schreibt der Verband.

Kantone einschränken

Davon sind auch viele Politiker überzeugt. Nationalräte aus mehreren bürgerlichen Parteien haben sich darum in der vergangenen Frühlingssession getroffen, mit dem Ziel, die Spitalfinanzierung und vor allem die Rolle der Kantone darin ins Visier zu nehmen. Diese sind heute verantwortlich für die Spitalplanung mit den Spitallisten, sie finanzieren einen Teil der Spitalkosten, sie genehmigen die Spitaltarife und besitzen oder betreiben vielfach auch selber Spitäler. Diese Mehrfachrolle ist problematisch und muss entflochten werden, sagt FDP-Nationalrat Ignazio Cassis. In einem ersten Schritt hat die Gruppe darum Vorstösse eingereicht, welche die Kantone bei der Tariffestsetzung ihrer Rolle entheben wollen. Und geht es nach Cassis, soll darauf bald ein nächster Schritt folgen: die Forderung, dass die Kantone selber auch keine Spitäler mehr betreiben.