«Es gibt Anreize dazu, mehr als nötig zu operieren»

Spitäler stehen heute unter grösserem ökonomischem Druck. Wo gibt es noch Sparpotenzial, und was sind die Risiken des Effizienzstrebens? VZK-Präsident Christian Schär nimmt Stellung.

Interview: Jan Hudec
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Der Verband der Zürcher Krankenhäuser (VZK) feiert am Freitag sein 75-jähriges Bestehen. (Bild: Gaetan Bally / keystone)

Der Verband der Zürcher Krankenhäuser (VZK) feiert am Freitag sein 75-jähriges Bestehen. (Bild: Gaetan Bally / keystone)

Die Spitäler sind heute gezwungen, sich in einem wettbewerblichen Umfeld zu bewegen und vermehrt auch auf ihre Kosten zu schauen. Wie hat sich das neue Fallpauschalen-Modell nach drei Jahren etabliert?

Christian Schär, Präsident des VZK. (Bild: PD)

Christian Schär, Präsident des VZK. (Bild: PD)

Als System hat es sich gut etabliert. Die Aufenthaltsdauer der Patienten, einer der wesentlichen Kostenfaktoren, hat sich aber nur leicht vermindert. Dafür hat es jedoch auch keine blutigen Entlassungen gegeben, vor denen man im Vorfeld gewarnt hatte. Patienten haben also nach ihrer Entlassung nicht mehr Komplikationen als früher. Ein noch ungelöstes Problem sind die hochdefizitären Fälle. Sie müssten aus unserer Sicht viel besser abgegolten werden.

Die grossen Effizienzgewinne hat es bisher nicht gegeben. Hat es noch Luft im System?

Ja, es gibt noch einen Spielraum, aber es wären harte Einschnitte nötig, wenn man die Aufenthaltsdauer der Patienten weiter senken wollte. Die Frage ist: Sind die Patienten sowie auch die Ärzte und die Pflege bereit, das mitzumachen? Der Komfort und die Behandlungsqualität könnten irgendwann darunter leiden. Solange wir ein so gut funktionierendes System haben, müssen wir sehr vorsichtig sein mit weiteren strukturellen Veränderungen.

Mit den neuen gesetzlichen Grundlagen müssen die Spitäler ihre nötigen Investitionen selber tragen können. Dafür brauchen sie etwa eine Rendite von 5 Prozent. Das erreichen aber noch längst nicht alle. Sind einige Spitäler gefährdet?

Wenn wir in den nächsten Jahren keine kostendeckenden Tarife für die allgemeinversicherten Patienten bekommen, die heute teilweise durch Privatpatienten quersubventioniert werden, dann wird es für viele Spitäler in der Schweiz ganz eng. In Zürich sieht die Lage nochmals anders aus, weil sich unsere Spitäler seit Jahren fit getrimmt haben und schweizweit mitunter die tiefsten Kosten verzeichnen. Weitere Tarifsenkungen in Zürich wären bedenklich.

Statt höhere Tarife zu fordern, könnte man auch versuchen, die Effizienz weiter zu steigern. Wo sehen Sie dazu noch Möglichkeiten?

Vor allem in der besseren Vernetzung der verschiedenen Anbieter: Vom Hausarzt über das Akutspital bis zur Nachbetreuung. An den Schnittstellen gibt es ganz eindeutig noch ein grosses Potenzial. Helfen würde dazu die Einführung des elektronischen Patientendossiers, das vom Bundesparlament ja nun auf den Weg gebracht wurde.

Haben Sie ein Beispiel dafür?

Stellen Sie sich einen Patienten vor, der zu einer Hüftoperation ins Spital geht und danach in die Reha überwiesen werden muss. Wenn man die Behandlung nicht schon von Anfang bis Ende durchplant, dann muss der Patient allenfalls länger im Spital bleiben, weil er noch keinen Platz in der Reha hat, und da entstehen grosse Kosten. Hier liessen sich Geld und Zeit sparen, und auch der Patient würde profitieren.

Die Bestrebungen zur Fusion zwischen Spitälern im Kanton sind ins Stocken geraten. Braucht es hier noch einen Effort?

Das ist ein Kulturwandel, der noch einige Zeit in Anspruch nehmen wird. Wir werden in den nächsten 20 Jahren aber nicht umhinkommen, immer enger zusammenzuarbeiten. Gerade in der Spitzenmedizin liegt das auf der Hand.

Wenn die Spitäler alles auf Effizienz trimmen und auf einträgliche Behandlungen schielen, muss man da als Patient nicht Angst haben, dass die Grundversorgung leidet?

Wir haben in der Schweiz eine derart gut ausgebaute Grundversorgung, dass man sich darum keine Sorgen machen muss. Die Wege sind kurz, man wird sehr schnell, im Notfall sofort behandelt. Es müsste schon sehr viel passieren, dass unsere Grundversorgung nicht mehr sichergestellt wäre.

Wie sieht es denn mit einer Überversorgung aus? Erst kürzlich wurde publik, dass Spitäler unnötige, aber lukrative Herz-Eingriffe forcieren.

Da müssen sich die Patienten auch ein bisschen an der eigenen Nase nehmen. Wenn in einer Medizinsendung am Fernsehen eine neue Behandlungsmethode gezeigt wird, dann werden unsere Ärzte jeweils überrannt, weil alle das Neuste in Anspruch nehmen wollen. Wer ist denn schon bereit, auf eine Behandlung zu verzichten? Und wenn es eine Nachfrage gibt, gibt es auch Institutionen, die die Leistung anbieten.

Aber die Spitäler haben ja schon auch eine Verantwortung. Müsste man Patienten nicht von Eingriffen abraten, die nichts bringen?

Wir im VZK haben klar die Haltung, dass der Spitaldirektor die ärztliche Diagnose und Behandlung nicht beeinflusst. Der Arzt hat den Patienten nach medizinischen Kriterien zu behandeln und zu betreuen. Wenn die Direktoren beginnen, aus ökonomischer Sicht zu steuern, wird die Sache heikel. Natürlich rechnet man aber hinterher, ob sich ein Angebot wirklich lohnt. Haben wir genügend Patienten dafür, oder geben wir das Angebot auf? Diesen ökonomischen Entscheid muss der CEO mit der Spitalleitung treffen.

Kaderärzte verdienen an Eingriffen mit. Es gibt also einen Anreiz, zu viel zu operieren.

Das gilt nur für die Privatpatienten. Ich stelle nicht in Abrede, dass es Anreize gibt, mehr als nötig zu operieren. Aber es gibt auch einen Gesundheitsmarkt, auf dem bestimmte Angebote einfach nachgefragt werden. Klar ist: Auf Dauer kann es sich kein Spital leisten, Behandlungen anzubieten, die nicht dem Wohl der Patienten dienen.