Die Sonntagsserie in der Berliner Morgenpost. Heute: ein Spaziergang mit Andrea Grebe, Chefin des Berliner Klinikkonzerns Vivantes.

Es ist einer dieser schönen Sommertage. Fast 30 Grad sollen es werden, da will in der Mittagshitze niemand einen Spaziergang machen. Morgens um 8.30 Uhr – kein Problem für Andrea Grebe. Die Klinik-Managerin ist frühes Aufstehen gewöhnt.

Schon vor der verabredeten Zeit steht sie vor dem Vivantes Klinikum am Urban – der Alt-Berliner sagt heute noch „Urban-Krankenhaus“ – und wartet. Im hellen Anzug, in der Hand ein Honigtöpfchen, denn der berlinweite Trend, eigenen Honig herzustellen, hat auch den Klinikkonzern eingeholt. „Unser Honig“, sagt die 54-Jährige stolz.

Das Töpfchen steckt dann Pressesprecherin Kristina Tschenett ein, denn Andrea Grebe hat ihre Handtasche im Auto gelassen. Es ist schließlich ein Spaziergang mit Gespräch, da braucht sie die Hände frei. Und für die Fotos sieht es auch hübscher aus.

Klar, verständlich, anschaulich

Schnell wird klar: Andrea Grebe ist eine Kommunikatorin. Eine geborene. Sie redet, klar, verständlich, anschaulich, ohne sich ablenken zu lassen. Erzählt ihren Lebenslauf, wie es sich für eine Frau, die schon viele Jobs gemacht und dabei jedes Mal ein bisschen mehr aufgestiegen ist, gehört. Konzentriert, alle Daten parat, kein großes Drumherumgerede.

Zur Person

Privat

Andrea Grebe wurde am 31. Mai 1961 in Korbach in der Nähe von Kassel (Hessen) geboren. Seit 2013 lebt sie wieder in Berlin, an der Grenze zwischen Kreuzberg und Schöneberg. An­drea Grebe ist unverheiratet und hat keine Kinder.

Karriere

Nach dem Abitur studierte Andrea Grebe in Marburg zunächst Volkswirtschaftslehre und Betriebswirtschaftslehre, anschließend Humanmedizin. Das Studium beendete sie als Fach­ärztin für Innere Medizin. Mit Mitte 30 entschied sich Andrea Grebe, noch einmal zu studieren. Der damals noch weitgehend unbekannte Studiengang Public Health führte die Internistin so ins Management. Sie war zunächst bei der Wirtschaftsprüfergesellschaft KPMG in Köln tätig, dann von 1999 bis 2001 am Klinikum Kassel in der Stabsstelle, anschließend wechselte sie nach Berlin zum neu gegründeten Klinikkonzern Vivantes. 2005 ging Andrea Grebe als Geschäftsführerin zur Regionalen Kliniken Holding GmbH nach Ludwigsburg (Baden-Württemberg). Acht Jahre später kehrte sie nach Berlin zu Vivantes zurück. Nach dem Ausscheiden von Joachim Bovelet ist sie seit 2014 Vorsitzende der Geschäftsführung.

Spaziergang

Vom Vivantes Klinikum am Urban in Kreuzberg über die Brücke an der Baerwaldstraße durch den Böcklerpark, immer am Landwehrkanal entlang, bis zur Admiralbrücke – und an der Straße Planufer entlang wieder zurück zum Klinikum.

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Dass vor dem Urban-Krankenhaus Patienten stehen und rauchen und neugierig schauen, wer sich da zu früher Uhrzeit mit Fotograf herumtreibt, das bekommt sie gar nicht mit. Dass am Landwehrkanal nach dem Wochenende viel, viel Müll herumliegt, scheint sie auch nicht zu stören. Dass am Ufer unter den Bäumen viele Obdachlose und Menschen aus Südosteuropa mit ihren zig Tüten voller leerer Getränkeflaschen offenbar die Nacht verbracht haben, lenkt sie ebenfalls nicht ab.

Auch über die prächtigen Häuser am Planufer, viele neu saniert, wird sie erst aufmerksam, als man kurz darauf hinweist. Aber die Schwäne, die auf dem Landwehrkanal starten und landen, die haben es ihr angetan: „Startet oder landet er?“ Der Schwan landet. „Ich bin tierlieb. Ich liebe diese Schwäne.“

Unterwegs am Landwehrkanal: Andrea Grebe spricht mit unserer Autorin Christine Richter über Kosten, Durchsetzungsstärke und Frauenquote
Unterwegs am Landwehrkanal: Andrea Grebe spricht mit unserer Autorin Christine Richter über Kosten, Durchsetzungsstärke und Frauenquote © Amin Akhtar | Amin Akhtar

Ein riesiges Konstrukt

Seit gut einem Jahr steht Andrea Grebe an der Spitze des Vivantes-Konzerns. Vivantes, ein schöner Name, ein riesiges Konstrukt. 2001 wurde der Konzern von der damaligen großen Koalition gegründet, um den Gesundheitsstandort Berlin besser aufzustellen, die Kliniken – insgesamt neun gehören zu Vivantes – fit zu machen für die Zukunft, Doppelstrukturen in Ost- und West-Berlin abzubauen, die Zahl der Mitarbeiter massiv zu reduzieren.

Ein schwieriger, ein schmerzlicher Prozess damals, heute ist Vivantes nicht nur Deutschlands größter Klinikkonzern, sondern verdient auch wieder Geld. Im vergangenen Jahr erzielte Vivantes einen Überschuss von knapp acht Millionen Euro – dieses schöne Ergebnis konnte schon Grebe als Chefin des Konzerns verkünden. „Ein gutes Ergebnis ist wichtig“, sagt sie selbstbewusst.

Sie kennt den Konzern gut, war sie doch im Jahr 2001 zum ersten Mal für Vivantes, damals unter dem Vorstandsvorsitzenden Wolfgang Schäfer, tätig. Auch das kein Zufall – doch dazu muss man beim etwas ungewöhnlichen Berufsweg von Andrea Grebe beginnen. Sie, geboren in der kleinen hessischen Stadt Korbach, wuchs in einem Unternehmerhaushalt auf („praktisch unter dem Schreibtisch“), studierte nach dem Abitur Volkswirtschafts- und Betriebswirtschaftslehre, um schließlich noch ein Studium der Humanmedizin anzuhängen.

„Ich wollte mit Mitte 30 nochmal etwas Anderes machen“

Als sie Fachärztin für Innere Medizin war, entschied sie sich aber nicht, sich zu spezialisieren („Onkologie wäre es wohl geworden“) oder sich als Ärztin niederzulassen, sondern für ein weiteres Studium. „Ich wollte mit Mitte 30 nochmal etwas Anderes machen.“

Damals hatte sie schon Menschen kennengelernt, die sich mit Krankenhausmanagement befassten. Der Studiengang Public Health war in Deutschland noch nicht sehr bekannt – Andrea Grebe ließ sich darauf ein und hatte ihren Beruf gefunden. „Ich bin schon nach zwei Semestern gefragt worden, ob ich nicht zu einer Wirtschaftsprüfungsgesellschaft wechseln will.“ Das war die KPMG – für die Gesellschaft war Andrea Grebe dann in Köln tätig, viel in den neuen Bundesländern unterwegs, dann, im Jahr 1999 bewarb sie sich auf eine Stabsstelle bei der Klinik in Kassel. Und bekam den Job sofort – bei Klinikchef Wolfgang Schäfer. Dieser wechselte zwei Jahre später nach Berlin und nahm drei Mitarbeiter mit. Andrea Grebe war eine von den dreien.

Die Zeit danach war nicht einfach. 3000 Stellen wurden in den Vivantes-Kliniken abgebaut, das Land Berlin musste die Altschulden übernehmen, die Mitarbeiter sich gleichzeitig auf einen Notlagentarifvertrag inklusive Gehaltseinbußen einlassen. 2004 war es zum ersten Mal geschafft: Vivantes schrieb schwarze Zahlen. „Die Kollegen haben in den vergangenen Jahren großartige Arbeit geleistet“, sagt Andrea Grebe.

Mutig auf neue Aufgaben einlassen

Den Erfolg 2004 konnte sie noch mitfeiern, ein Jahr später wollte sie selbst Chefin werden – und wurde es. Bei der Regionalen Kliniken Holding in Ludwigsburg, nördlich von Stuttgart. „Ich habe mich ins Auto gesetzt und bin nach Ludwigsburg gefahren, die Wohnung in Berlin habe ich gleich aufgegeben“, erinnert sie sich. Mutig, sich auf neue Aufgaben einzulassen, das ist Andrea Grebe offensichtlich schon immer gewesen.

Acht Jahre blieb sie dann in Baden-Württemberg. Die Skepsis ihr gegenüber, der Frau aus der Hauptstadt, ließ bald nach, sie machte einen erfolgreichen Job, die Artikel aus dem Jahr 2013, als ihr Wechsel nach Berlin publik wurde, sind wahre Lobeshymnen.

„Das liest man natürlich gerne“, sagt sie und lächelt. „Man muss sich auf die Menschen einlassen, viel erklären, zuhören, viel kommunizieren.“ Das scheint ihr Erfolgsrezept zu sein. Reden, erklären, zuhören, beharrlich sein, aber dann auch entscheiden und konsequent umsetzen. In Berlin jedenfalls funktioniert es.

Das nächste Projekt: die Sanierung des Klinkums Neukölln

40 Millionen Euro bekommt Vivantes jetzt aus dem Sondervermögen Infrastruktur der Wachsenden Stadt (Siwa), das der Berliner Senat beschlossen hat. Damit kann Vivantes Operationssäle modernisieren, endlich am Auguste-Viktoria-Krankenhaus in Schöneberg bauen, aber auch investieren, etwa Strom- oder Wasserversorgung erneuern. „Das sieht man nicht, aber das ist sehr wichtig, wir brauchen in den OP-Sälen auch mehr Kälte“, sagt Andrea Grebe.

Und sie denkt schon an das nächste Großprojekt: die Sanierung des Klinikums Neukölln. Das ist auch in die Jahre gekommen, zu mehr als 90 Prozent ausgelastet, dringend muss dort saniert und modernisiert werden. Das kostet. „150 Millionen Euro“, schätzt Andrea Grebe. Die große Summe schreckt sie nicht ab. „Ich sage ja auch nicht, ich trete die Weltreise zu Fuß an“, sagt sie und lächelt. „Ich muss das Projekt handhabbar machen, wir müssen mit dem ersten Schritt beginnen und das auch gut erklären“, beschreibt sie ihre Strategie. Beim Senat, bei der SPD und der CDU findet sie damit Gehör.

Das war bei ihren Vorgängern nicht immer so. Die Vivantes-Chefs standen stets unter einem enormen Druck. Zumal in der Gesundheitspolitik in Berlin so viele Menschen, so viele Politiker mitmischen. Denn neben Vivantes, das als städtischer Klinikkonzern in die Zuständigkeit des Gesundheitssenators fällt, gibt es in Berlin ja auch noch die Charité, immerhin Europas größtes Universitätsklinikum und auch mit vier Standorten in der Stadt präsent. Für die Charité ist die Bildungssenatorin besonders, die Wissenschaftssenatorin ein bisschen zuständig. Und über das Geld wacht der Finanzsenator. Grebes Vorgänger, Joachim Bovelet, hatte sich mit Finanzsenator Ulrich Nußbaum (parteilos, für die SPD) heillos zerstritten und schließlich das Handtuch geworfen. Nun ist auch Nußbaum nicht mehr im Amt, mit seinem Nachfolger Matthias Kollatz-Ahnen (SPD) kommen alle sehr viel besser zurecht.

„Berlin ist auch ein Haifischbecken“

„Berlin ist auch ein Haifischbecken“, sagt Andrea Grebe. „Man muss eine gewisse Durchsetzungsstärke haben.“ Sie lacht ihr freundliches Lachen – und man weiß, die hat sie. Aber sie wird auch viel diplomatischer sein als ihr Vorgänger. Immer wieder fallen bei diesem Spaziergang, beim Gespräch über Karriere und Familie Sätze wie „Das muss man auch erklären“, „Man muss beharrlich sein“, „Es geht auch um Vertrauen“.

So klappt auch die Zusammenarbeit mit der Charité sehr gut. Auch das war nicht immer so in Berlin, schließlich gibt es einen Wettbewerb um Patienten und damit auch ums Geld. „Den Wettbewerb gibt es natürlich immer noch, ja auch zwischen den Standorten, egal ob bei der Charité oder bei uns“, sagt Andrea Grebe.

Aber beide Klinikkonzerne – Vivantes, der größte kommunale in Deutschland mit knapp 15.000 Mitarbeitern in Berlin, die Charité, das größte Universitätsklinikum Europas mit rund 13.000 Beschäftigten – kooperieren inzwischen in einigen Bereichen. Besonders stolz ist Andrea Grebe auf das Projekt Strahlenmedizin, das am Vivantes Klinikum in Friedrichshain angesiedelt ist. „Ich habe das Glück, dass ich das eröffnen durfte, das war ja ein Vorlauf von drei Jahren, meine Vorgänger haben da viel Arbeit hineingesteckt“, sagt sie. Mit Charité-Chef Karl Max Einhäupl arbeitet sie vertrauensvoll zusammen. „Da greift man schon mal zum Telefonhörer und fragt, wie macht ihr das denn?“

Schon als Kind neugierig

Kann man als Frau eine solche Karriere machen und gleichzeitig Familie, Kinder haben? Die Frage kennt Andrea Grebe – wie so viele erfolgreiche Frauen auch. Bei Männern wird die Frage selten gestellt. „Ich war schon immer neugierig, auch als Kind schon, meine Kreise sind immer größer geworden.“ Als 15-Jährige war sie zu einem Schüleraustausch in den USA, während des Medizinstudiums arbeitete sie in Australien. Später dann berufliche Stationen in Köln, Kassel, Berlin, Baden-Württemberg, jetzt wieder Berlin. „Es war nie eine Entscheidung gegen Kinder, aber es hat sich bei mir so ergeben, dass ich keine habe“, sagt sie. „Dafür gebe ich gerne gute Ratschläge“, sagt sie und lacht herzlich.

Und da ist dann noch ein Thema, mit dem sich Frauen, aber nicht erfolgreiche Männer auseinandersetzen müssen. Die Frauenquote. „Ich habe es befürchtet“, entgegnet Andrea Grebe – und meint das nicht ganz ernst. Wir sind inzwischen am Restaurantschiff Van Loon, das vor dem Urban-Krankenhaus liegt, angekommen – bestellen eisgekühlte Cola, denn es ist jetzt, um 10 Uhr schon sehr warm – und reden über die Quote. „Mein Frau-Sein habe ich nie als Hemmnis empfungen, im Gegenteil.“ Im Gegenteil? „Ich habe es auch als Vorteil empfunden, allein unter Männern zu sein.“ Natürlich seien Krankenhäuser etwas anderes als börsennotierte Dax-Unternehmen, rund 80 Prozent der Mitarbeiter bei Vivantes sind weiblich.

Ein bisschen Nachholbedarf

„Nachholbedarf“, so Andrea Grebe, gebe es bei den leitenden Oberärzten und Chefärzten. „Aber wir wollen die oder den besten haben“, betont sie. Und: „Es geht eher um gute Führung.“ Dann wiederholt sie einen Satz, den sie schon oft in Gesprächen über die Frauenquote gesagt hat: „Die Mischung macht’s.“ Also Durchsetzungskraft, Stärke, Härte („Ich würde eher sagen ,Konsequenz‘“), Beharrlichkeit, aber auch die Fähigkeit, zuzuhören, nicht verletzend zu sein, sich auch mal zu entschuldigen, wenn doch ein böses Wort gefallen ist, sich auch zu korrigieren, wenn etwas anders als gedacht nicht funktioniert ... Andrea Grebe fällt viel ein zu diesem Thema.

Auch, dass es in Berlin doch ganz gut aussieht. An der Spitze der Berliner Verkehrsbetriebe steht mit Sigrid Nikutta eine Frau, ebenso bei der Berliner Stadtreinigung (Tanja Wielgoß), die Gasag wird von einer Frau geführt (Vera Gäde-Butzlaff). Und an der Spitze von Vivantes, da hat Andrea Grebe noch viel vor.