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Bremen will Geld aus Niedersachsen für seine Krankenhäuser / Groth: Finanzierung des Systems neu ordnen Die Leiden durch den Patienten-Tourismus

Delmenhorst. Bremen braucht Geld. Und zwar jeden Cent.
25.08.2015, 00:00 Uhr
Lesedauer: 4 Min
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Von Andreas D. Becker

Bremen braucht Geld. Und zwar jeden Cent. Deswegen wird in der Hansestadt, wie berichtet, laut darüber nachgedacht, dass Niedersachsen sich an den Krankenhauskosten in Bremen beteiligen soll. Schließlich kommen auch viele Patienten aus dem Bremer Umland in die Stadt, um sich behandeln zu lassen, klagen die Bremer. Die Bremer entziehen den Umlandkrankenhäusern Patienten, sagen dagegen die Niedersachsen.

Ein Problem, unter dem auch die beiden Delmenhorster Krankenhäuser leiden. Das städtische Klinikum und das katholische St.-Josef-Stift mit zusammen 410 Betten und rund 20 000 Patienten im Jahr können zwar nicht genau darlegen, wie viele Patienten ihnen durch die Bremer Konkurrenz entgehen. Aber: „Durch das Abwandern von Patienten in Bereichen, in denen auch eine wohnortnahe Versorgung angeboten wird, verlieren alle. Die Patienten haben lange Wege, die Bremer Kliniken sind überlaufen und uns fehlen die Patienten am hiesigen Standort“, sagt Thomas Breidenbach, Geschäftsführer beider Häuser.

Er hofft, dass gerade durch die derzeit betriebene Zusammenlegung von Klinikum und Stift unter dem Dach einer Holding das medizinische Angebot so gut wird, dass in Zukunft sogar Patienten für einige Disziplinen nach Delmenhorst kommen. So sei zum Beispiel die Thoraxchirurgie sehr gut. Durch die Einstellung eines Lungenfacharztes wurde diese Disziplin laut Breidenbach gestärkt. Ähnlich sehe in Sachen Bauchraum durch die Kombination aus Gastroenterologie und Viszeralchirurgie aus. „Dies sind nur zwei Beispiele dafür, dass wir uns nicht hinter den großen Bremer Krankenhäusern verstecken müssen“, findet Breidenbach.

Und mit dem Mutter-Kind-Zentrum, das am 1. September geöffnet wird, schielen die Delmenhorster natürlich auch darauf, Risikoschwangerschaften, die derzeit in keinem der Delmenhorster Häuser betreut werden dürfen, wieder zurück in die Stadt zu holen, dann können auch sogenannte Level-3-Geburten ab der 32. Schwangerschaftswoche wieder in Delmenhorst behandelt werden. Auch hofft Breidenbach, dass prinzipiell mehr Schwangere als jetzt aus der Region nach Delmenhorst kommen. „Es ist noch gar nicht lange her, dass die Schlagzeile von überfüllten Kreißsälen in Bremen zu lesen war.“

Das wäre vor allem für den Standort Wildeshauser Straße wichtig. Seit Beginn des Prozesses gegen den ehemaligen Krankenpfleger Niels H. brachen am Klinikum die Patientenzahlen massiv ein, sodass das Haus kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stand. Die Stadt zahlte Millionenbeträge, um den Bankrott abzuwenden. Seit Dezember 2014 flossen allein 2,3 Millionen Euro als direkte Hilfen, weitere 2,5 Millionen Euro sind bereits beschlossen, zudem soll eine Bürgschaft in Höhe von drei Millionen Euro übernommen werden, um den Dispokredit des Klinikums auf 13,6 Millionen Euro auszuweiten

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Jan Spiller, leitender Arzt des Departments Wirbelsäulenchirurgie an der Fachklinik für Orthopädie in Stenum, sieht den Medizintourismus – der den Bremern zusetzt – keineswegs nur negativ: Gerade die hoch spezialisierte Klink in Stenum profitiere ja davon, dass sie Patienten behandelt, die nicht nur aus Bremen oder dem Weser-Ems-Gebiet, sondern aus der gesamten Bundesrepublik und auch aus dem Ausland anreisen. Insbesondere in den USA verfügt die „Stenum Ortho“ etwa über einen hervorragenden Ruf. „Insofern können wir keine Abwanderungen von Patienten feststellen“, sagt der Mediziner. Die Fachklinik verfügt über 61 Betten und führt jedes Jahr rund 1300 Operationen durch, gut 1700 Patienten werden stationär versorgt. Die Auslastung der Klinik schätzt Spiller auf 70 bis 80 Prozent.

Spiller fragt sich allerdings, ob bei der großen Krankenhaus-Dichte in Bremen wirklich jede Klinik eine Unfallchirurgie oder eine Innere Abteilung braucht. So hält Spiller es für zukunftsweisend, Zentren für die entsprechenden medizinischen Abteilungen zu bilden. Er bemängelt, dass politisch weitgehend ungeklärt sei, wer die Investitionen in die Infrastruktur der Krankenhäuser künftig finanziere. „Nach meinen Beobachtungen verabschiedet sich die Politik immer weiter aus der Daseinsfürsorge. Wir haben uns zwar wirtschaftlich konsolidiert und stabilisiert und schreiben eine schwarze Null. Aber aus unseren Einnahmen müssen wir eben auch die Investitionen und die Tariferhöhungen stemmen. Das heißt: Eigentlich müssten wir Gewinne erwirtschaften, um langfristig über die Runden zu kommen. Eigentlich wäre es aber Aufgabe des Landes, die Krankenhäuser finanziell so auszustatten, dass sie diese Leistungen erbringen können.“

Das Bremer Begehren ist indes nichts Neues, sagt Harald Groth, derzeit Aufsichtsratschef des Klinikums Delmenhorst, früher als Landtagsabgeordneter Vorsitzender des für Gesundheitspolitik zuständigen Sozialausschusses. „Den Wunsch aus Bremen höre ich jetzt sicherlich zum fünften oder sechsten Mal“, erklärt er. Doch die Forderung stoße ins Leere. Und das liegt an der Finanzierung des Systems.

Der Topf für die Krankenhausfinanzierung in Niedersachsen mit rund 120 Millionen Euro pro Jahr setzt sich aus zwei Teilen zusammen: Geld des Landes und der Kommunen. Da verwundert es nicht, dass Sozialministerin Cornelia Rundt erstmal kategorisch ablehnt, dass von den Städten und Landkreisen abgegebenes Geld in ein anderes Bundesland fließen soll. „Man kann das Dilemma nur auflösen, wenn man die Art der Finanzierung ändert“, sagt Groth.

Was auch schon versucht wurde, es gab Überlegungen zu einer monistischen Finanzierung. Das bedeutet, dass die Krankenkassen nicht mehr wie jetzt nur die medizinischen Leistungen bezahlen, sondern auch für die Ausstattung und die Infrastruktur der Krankenhäuser zuständig sind, eine Finanzierung aus einer Hand, unabhängig von politischen Grenzen, orientiert an den Bedürfnissen einer Region. „Aber dann müsste man die Krankenkassen an anderer Stelle entlasten“, sagt Groth. Bevor ein Weg gefunden wurde, dies zu tun, verschwanden die Pläne wieder in der Schublade. So lange dieser Weg nicht beschritten wird, ist sich Harald Groth sicher, so lange wird es auch immer den Wunsch der Bremer geben, dass sich die Niedersachsen an ihren Krankenhäusern beteiligen.

Das Wildeshauser Johanneum war am Montag nicht in der Lage, eine Stellungnahme zu dem Thema abzugeben.

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