Wenn im Rheumazentrum im Rotes-Kreuz-Krankenhaus (RKK) ein Patient behandelt wird, stehen die Chancen mindestens fifty-fifty, dass er aus Niedersachsen kommt. Zwischen 50 und 60 Prozent liegt nach Auskunft des kaufmännischen Geschäftsführers, Walter Klingelhöfer, der Anteil der sogenannten Einpendler.
Gerade die hoch spezialisierten Kompetenzzentren wie die Rheumaklinik am RKK, die Kardiologie im Klinikum Links der Weser (LdW) oder das Diako, das im Landeskrankenhausplan als eines von zwei Schwerpunktkrankenhäusern Bremens mit dem Schwerpunkt Onkologie aufgeführt wird, ziehen viele Patienten aus ganz Norddeutschland an. Eine gemeinsame Krankenhausplanung mit Niedersachsen steht deshalb seit Längerem auf der politischen Agenda.
Vom Aufrechnen von Patientenanteilen hält der RKK-Chef indes nichts. „Wir sind uns alle einig, dass wir lösungsorientierte Ansätze brauchen“, sagt Klingelhöfer, der auch als Sprecher der vier Freien Kliniken in Bremen – Diako, RKK, Roland-Klinik und St. Joseph-Stift – auftritt. „Gespräche über eine Verzahnung sind ungeheuer wichtig“, bestätigt Heiko Ackermann, stellvertretender Geschäftsführer der Bremer Krankenhausgesellschaft. „Für Behandlungsketten und Rettungsdienste dürfen Landesgrenzen keine Rolle spielen.“
Die niedersächsische Sozialministerin Cornelia Rundt (SPD) hatte dem WESER-KURIER gegenüber indes bereits auf knappe Mittel verwiesen und Finanzierungsbeteiligungen eine Absage erteilt. Gesprächen über notwendige Strukturreformen stimmt sie jedoch zu.
Viele Fachkliniken in Bremen
Auf elf Krankenhäuser kommt Bremen. Neben den vier kommunalen Kliniken Mitte, Links der Weser, Ost und Nord unter dem Dach der Gesundheit Nord (Geno) sind das die genannten Freien Kliniken sowie drei in Bremerhaven, Reinkenheide und die Ameos-Kliniken am Bürgerpark und St. Joseph. Der Anteil der niedersächsischen Patienten liegt vor allem in spezialisierten Kliniken zwischen 30 und fast 60 Prozent. Das bestätigt unter anderem Silke Meiners vom St.-Joseph-Stift. Dessen Augenklinik etwa nimmt übers Jahr fast 60 Prozent Patienten aus dem Umland auf, gut 53 Prozent sind es in der Hals-Nasen-Ohren-Klinik, ebenfalls fast 60 Prozent in der Klinik für Naturheilkunde, so Meiners.
Das Klinikum Links der Weser gilt als Fachzentrum der Kardiologie. Zum Schwerpunktprofil des Klinikums Mitte zählt unter anderem die Stroke Unit, ein auf Schlaganfälle spezialisiertes Zentrum. Der Anteil niedersächsischer Patienten liegt im Durchschnitt der Häuser des Klinikverbunds Gesundheit Nord (Geno) in der Kardiologie bei 52 Prozent, in der Geburtshilfe bei 39 Prozent, in der Allgemeinchirurgie bei 40 Prozent. Die Stroke Unit beziffert den Anteil mit 34 Prozent, so ein Geno-Sprecher.
Im Diako sind es die Schwerpunktkliniken Onkologie, Urologie und Kinderurologie, aber auch die Orthopädie und Unfallchirurgie, die viele Patienten aus Niedersachsen haben. Und die Roland-Klinik gilt als orthopädisch-handchirurgische Fachklinik mit einen auswärtigen Patientenanteil von fast 50 Prozent.
Aus niedersächsischer Sicht heißt das: Die Krankenkassen zahlen für diese Versicherten Behandlung, Pflege und Medikamente nach Bremen. Das Geld entgeht somit niedersächsischen Kliniken. Der Bremer Blick hingegen fokussiert die Investitionskosten für Betten, Behandlungsräume und -geräte. Die trägt nämlich das Bundesland.
Konzentration auf Kompetenzzentren
Gespräche über eine gemeinsame Krankenhausplanung hatte bereits der vorige Bremer Gesundheitssenator Hermann Schulte-Sasse (parteilos) angeschoben. Eine Arbeitsgemeinschaft unter Beteiligung der Kassen, Krankenhausgesellschaften und der Krankenhausabteilung des niedersächsischen Ministeriums habe sich konstituiert, so Heiko Ackermann. Dort werde das Thema weiter bearbeitet.
Dass die Konzentration auf Kompetenzzentren zunehme, steht für den Fachmann von der Krankenhausgesellschaft außer Frage. Die bundesweiten Vorgaben zu Ausstattung und Qualität würden dazu beitragen. „Bremen kann diese Spezialisierung in hohem Maße vorweisen“, sagt er. Krankenhäuser in der Fläche hätten dagegen Schwierigkeiten, die Standards zu erfüllen. Eine Arbeitsteilung mit Schwerpunkten, so Ackermann, gebe es bereits innerhalb Bremens zwischen den einzelnen Häusern.
Einen Fahrplan für eine gemeinsame Planung mit Niedersachsen gibt es aber noch nicht, heißt es aus der Senatskanzlei. Die Regierungschefs Sieling und Weil würden im September ausloten, wie es weitergehen könnte. Eines ist aus Sicht des Bremer Bürgermeisters wichtig: „Wir wollen für die Bürger gute Dienstleistungen hinbekommen und dafür die Weichen stellen.“
Kliniken rund um Bremen
Kreiskrankenhaus Osterholz
Klaus Vagt, Leiter des Kreiskrankenhauses Osterholz, kann einen möglichen Abzug von Patienten nicht beziffern. Da Bremen über alle Fachdisziplinen verfüge, seien Patientenwanderungen nachvollziehbar. In die bremisch-niedersächsische Krankenhauslandschaft ordnend einzugreifen, hält er für kaum möglich. Sein Haus biete 123 Planbetten und habe 2014 schwarze Zahlen geschrieben, zählt Vagt auf. Die Auslastung liege bei 93 Prozent. Die kommende Krankenhaus-Reform bereitet ihm allerdings Sorge: „Die könnte uns nötige Mittel entziehen.“
Delmenhorster Krankenhäuser
Genaue Zahlen liegen Thomas Breidenbach, Geschäftsführer der beiden Delmenhorster Krankenhäuser, nicht vor. „Aber gefühlt kann ich bestätigen, dass Fälle mit einem höheren Schweregrad in die Bremer Nachbarkliniken abwandern.“ Das ist für das städtische Klinikum und das katholische St.-Josef-Stift mit zusammen 410 Betten und rund 20.000 Patienten im Jahr auch deswegen bitter, weil viele Leistungen in der Stadt auf hohem Niveau angeboten würden. „Die Patienten haben lange Wege, die Bremer Kliniken sind überlaufen, und uns fehlen die Patienten am hiesigen Standort.“ Das hat sich in jüngster Zeit bei der Klinik an der Wildeshauser Straße bemerkbar gemacht. Nachdem im September vergangenen Jahres der Prozess gegen den ehemaligen Krankenpfleger und Patientenmörder Niels H. begann, brachen in Delmenhorst die Patientenzahlen massiv ein. Aus Angst gingen viele Patienten lieber in Bremer Krankenhäuser, sodass das Haus kurz vor der Zahlungsunfähigkeit stand. Wie schon bei der ersten großen Krise 2013 bezahlte die Stadt Delmenhorst Millionenbeträge, um das Klinikum vor dem Bankrott zu retten.
Klinik Lilienthal
Benjamin Behar, Geschäftsführer des Artemed-Verbunds, zu dem auch die Klinik Lilienthal gehört, sieht für sein Haus keine Probleme. „Die Steuerungsmöglichkeiten einer Landesregierung sind in diesem Zusammenhang sehr begrenzt“, so Behar. Letztendlich werde sich Qualität durchsetzen, und die sei durch Patientenbefragungen und entsprechende Veröffentlichungen gut dokumentiert. „Wir stellen fest, dass die Patientenmobilität zunimmt und die Menschen, die zu uns kommen, gut informiert sind“, betont der Lilienthaler Geschäftsführer.
Aller-Weser-Klinik
„Bremen hat einen sehr hohen Bettenanteil pro Kopf und ist auf die Behandlung von Patienten aus dem Umland angewiesen, um diese Betten zu füllen und möglichst wirtschaftlich zu arbeiten“, sagt Marianne Baehr, Geschäftsführerin der Aller-Weser-Klinik. „Eine abgestimmte Spezialisierungsstrategie wäre sinnvoll“, sagt sie über die Zusammenarbeit zwischen Bremen und Niedersachsen. Die Aller-Weser-Klinik hat zusammen in Verden und Achim 262 Planbetten.
Diakonieklinikum Rotenburg
In Rotenburg könne er das Phänomen der Patientenabwanderung Richtung Hansestadt nicht erkennen, sagt Rainer Werther, Geschäftsführer des Agaplesion Diakonieklinikums . „Sicher ist es im Speckgürtel von Großstädten so, dass es immer auch Patienten gibt, die dort wohnen, sich aber in der Metropole behandeln lassen.“ Umgekehrt kämen auch Menschen ins Umland, insbesondere wenn Kliniken Alleinstellungsmerkmale hätten, so Werther.
Orthopädie-Klinikum in Stenum
Jan Spiller von der Fachklinik für Orthopädie in Stenum sieht den Medizintourismus keineswegs nur negativ: Gerade die hoch spezialisierte Klinik in Stenum profitiere davon, dass sie Patienten behandelt, die nicht nur aus Bremen oder dem Weser-Ems-Gebiet, sondern aus der gesamten Republik und dem Ausland anreisen. „Insofern können wir keine Abwanderungen feststellen“, sagt der Mediziner. In diesem Zusammenhang frage er sich allerdings auch, ob bei der großen Krankenhaus-Dichte in Bremen wirklich jede Klinik eine Unfallchirurgie oder eine Innere Abteilung brauche.
Landkreis Diepholz
Wenn es beispielsweise keine Geburtshilfe im Landkreis gibt, sei es selbstverständlich, dass Patienten abwanderten, sagt Andreas Barthold von der Alexianer GmbH, die in Diepholz vier Krankenhäuser betreibt. Um dem entgegenzuwirken, sollten die vorhandenen Angebote attraktiver gestaltet werden. Das soll im Zuge der Neustrukturierung der Kliniken im Landkreis geschehen, die zurzeit erörtert und debattiert wird. Die Kliniken im Landkreis haben insgesamt 491 Betten. Die Auslastung stelle sich „ganz unterschiedlich“ dar.