Google auf dem Gesundheitsmarkt:Lukrative Diabetiker

Google auf dem Gesundheitsmarkt: Eine Kontaktlinse soll den Blutzuckerspiegel in der Tränenflüssigkeit messen und Schwankungen anzeigen.

Eine Kontaktlinse soll den Blutzuckerspiegel in der Tränenflüssigkeit messen und Schwankungen anzeigen.

(Foto: Google)

Diabetiker sind an die Dokumentation ihrer Daten gewöhnt. Damit werden sie interessant für Unternehmen wie Google, die im gläsernen Patienten große Geschäfte wittern.

Von Helga Einecke und Kathrin Werner, New York

Es gibt Menschen, die gern gläserner wären, gläserne Patienten. Sie blicken ständig in sich hinein und versuchen ihren Körper zu durchschauen. Zittern meine Hände? Bin ich schlapp? Rast mein Herz? Habe ich zu viel Durst? Wenn sie nachts aufwachen, haben sie Angst, wieder einzuschlafen, weil etwas nicht stimmen könnte. Es gibt Millionen solcher Menschen. Sie sind Diabetiker.

Fünf, sechs, manchmal zehn Mal am Tag stechen sie sich mit einer kleinen Nadel in den Finger, oft auch nachts. Ein kleiner Schmerz, der Alltag wird. Sie träufeln den Blutstropfen auf einen Teststreifen, der den Zuckerspiegel per Testgerät misst. Je nach Auswertung dosieren sie ihr Insulin, spritzen es oder lassen es eine Pumpe in sie hineindrücken. Den Diabetes-Patienten fehlt Insulin, um Zucker ausreichend zu verarbeiten. Sie verwalten dauernd einen Berg von Daten über sich. Das erfordert Disziplin, Kontrolle und kostet Geld.

Mit dem gläsernen Menschen kennt sich kein Konzern besser aus als Google. Das kalifornische Unternehmen ist Spezialist für große Datenmengen. Die meisten Leute kennen Google als Suchmaschine, bei der sie den Wetterbericht oder die Kinozeiten nachschauen. Doch Google hat sich auch der Heilung von Diabetes verpflichtet - oder zumindest der Verbesserung der Lebensbedingungen von Diabetikern. Zuständig ist Google Life Sciences.

Bisher war Life Sciences eine Google-Tochter, jetzt wird sie eine Google-Schwester. Die Google-Gründer Larry Page und Sergey Brin bauen den Konzern gerade um und sortieren alle Geschäftsbereiche unter einer Holding namens Alphabet. Google wird eine der Holding-Firmen, Life Sciences eine der anderen, außerdem gibt es Firmen, die sich um Themen wie selbstfahrende Autos oder die Versorgung der Welt mit Internetzugängen per Drohne kümmern. Die Tochter Calico hat sich sogar vorgenommen, das Altern aufzuhalten - sie soll die Menschheit vom Tod heilen. Die Firmen sollen alle unter dem Alphabet-Dach mehr Freiheit und Eigenständigkeit haben als bisher. Und wenn sie hohe Verluste schreiben, schadet das den Geschäftszahlen von Google nicht.

Page hat diese Nebenprojekte "Moon Shots" getauft, weil sie so visionär sind. Der Name Moon Shots, also Schüsse auf den Mond, leitet sich ab vom englischen Begriff "long shot", eine Art "Schuss ins Blaue". Und der Schuss zum Mond ist eben ein extrem langer long shot. Life Sciences, das Diabetes-Projekt, war früher ein Teil des geheimen Google-Labors X, und ist nun eine eigene Firma. Das L im Alphabet.

Schätzungen zufolge ist der Insulin-Markt weltweit 40 Milliarden Dollar schwer

Diabetes betrifft viele Menschen, weltweit sollen es fast 400 Millionen sein, Tendenz steigend. Der wachsende Wohlstand und die arbeitsteilige Welt begünstigen den Ausbruch der Krankheit. Es gibt zwei Hauptformen des Diabetes. Beim Diabetes Typ 1, auch insulinabhängiger Diabetes genannt, fehlt Insulin. Bei Diabetes Typ 2, dem nichtinsulinabhängigen Diabetes, kann die Bauchspeicheldrüse zwar noch Insulin herstellen, aber das Hormon wirkt im Körper nicht richtig oder reicht nicht aus, um den Bedarf zu decken. In Deutschland leben bis zu 420 000 Menschen mit Typ-1-Diabetes, unter Typ-2-Diabetes ("Alterszucker") leiden fünf bis sechs Millionen Menschen.

Google Life Sciences hat viele Projekte, unter anderem einen Löffel, der das Zittern von Parkinson-Kranken ausgleicht. Doch die große erste Aufgabe ist Diabetes, verkündete Google-Gründer Brin vor wenigen Wochen. Diabetes sei genau die Art Krankheit, bei der Technologie den Patienten helfen könne, glaubt Life-Sciences-Chef Andy Conrad. "Diabetiker haben ein größeres Risiko, einen Herzinfarkt oder Krebs zu bekommen und es ist für sie 15 Mal wahrscheinlicher, dass ihr Fuß wegen Gefäßproblemen amputiert werden muss", sagte der Molekularbiologe. "Wenn wir starke Schwankungen bei dem Blutzuckerspiegel vermeiden können, können wir die meisten Probleme verhindern, die mit Diabetes zusammenhängen."

Conrad soll durch Kooperationen mit etablierten Pharmakonzernen vermeiden, dass Life Sciences das gleiche Schicksal erleidet wie das einstige Team von Google Health, einer Plattform, auf der elektronische Patientenakten abgelegt werden konnten. Google hat den Geschäftsbereich Anfang 2012 wegen mangelnder Akzeptanz eingestellt.

Das erste Produkt, das Life Sciences auf den Markt bringen soll, ist eine spezielle Kontaktlinse. Dazu kooperiert das Unternehmen mit dem Schweizer Pharmakonzern Novartis. Die Linse soll den Blutzuckerspiegel in der Tränenflüssigkeit messen und bei Schwankungen warnen. Tests an Patienten sollen nächstes Jahr starten. In einem Prototyp hat Google zwischen zwei Schichten einen Mini-Funkchip und einen Sensor eingebaut, der jede Sekunde die Glukosewerte misst. Die Daten könnten zum Beispiel auf eine Smartphone-App oder auf eine Hightech-Uhr übertragen werden. Allerdings hat diese Technik eine Menge Tücken, wie die Luftfeuchtigkeit im Raum oder den Einfluss von Klimaanlagen. Medizintechnik-Experten erwarten, dass es wegen der technischen Schwierigkeiten und all der Hürden, die Aufsichtsbehörden vor neue Technik stellen, noch Jahre dauern wird, bis die Linse auf den Markt kommen wird.

Pens mit Bluetooth

"Wir freuen uns, mit Google zusammenzuarbeiten und ihre fortschrittliche Technik und unser Wissen über Biologie zusammenzubringen", sagte Novartis-Chef Joseph Jimenez, der selbst aus Kalifornien stammt, wie Google. "Dies ist ein wichtiger Schritt, um die Beschränkungen der traditionellen Krankheitsverwaltung hinter uns zu lassen." Diabetes soll nicht mehr nur verwaltet, sondern in den Griff bekommen werden.

Gerade hat Google eine weitere Kooperation verkündet, diesmal mit dem Pharmaunternehmen Sanofi. Bei der Zusammenarbeit geht es um eine Verbesserung der Messtechnik. Google und Sanofi wollen an neuen Verabreichungsmethoden für Insulin arbeiten, mit deren Hilfe der Blutzuckerwert in Echtzeit gespeichert und analysiert werden kann. Dazu zählen mit Bluetooth ausgerüstete Pens, die eine Verbindung zum Arzt herstellen können, der die Blutzuckerwerte überwacht und sehen kann, wann der Patient wie viel Insulin gespritzt hat.

Jetzt sei die Zeit reif für Technologiekonzerne wie Google, in das Geschäft mit Diabetes einzusteigen, sagt Michael Chae von der American Diabetes Association. "Es gibt eine Explosion von Technik, die am Körper getragen wird, von Daten und Analyse", sagte er dem Radiosender NPR. "Menschen mit Diabetes fühlen sich wohler in einer vermessenen Welt."

Die wachsende Zahl der Diabetes-Patienten bedeutet ein großes Geschäftsfeld für Pharmaunternehmen. Schätzungen zufolge ist der Insulinmarkt weltweit über 40 Milliarden Dollar schwer. Bis 2018 wird er auf 60 Milliarden Dollar geschätzt. Führend ist das dänische Unternehmen Novo Nordisk, dessen Marktanteil beim Verkauf von Insulin auf mehr als ein Viertel taxiert wird. Das französische Unternehmen Sanofi stellt das meistverkaufte Insulin namens Lantus her, das 2014 einen Umsatz von 6,3 Milliarden Euro einbrachte. Weltweit größter Produktionsstandort ist Frankfurt, weil Sanofi dieses Geschäft vom früheren deutschen Pharmakonzern Hoechst übernommen hat. Dort laufen täglich eine Millionen Pens vom Band, mit den Geräten wird das Insulin verabreicht.

Es gibt noch viele andere Verfahren, die eine Kontrolle rund um die Uhr ermöglichen. Diabetiker können zum Beispiel auch einen Glukose-Sensor durch die Haut des Oberarms oder Bauchs stechen, der bis zu sieben Tage liegen bleiben kann. Hinzu kommen eine Elektronikeinheit als Sender, die auf der Haut fixiert wird, und ein separates Anzeige- und Speichergerät als Empfänger. Die Datenübertragung vom Messen zum Anzeigegerät, das die Größe eines Mobiltelefons hat, erfolgt per Funk. Der Patient kann seine Werte dokumentieren, die Software wird von den Unternehmen mitangeboten. Der vermessene Patient eben.

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