Deutsche Ökonomen:Der Gesundheit auf der Spur

Der Gesundheitsökonom Jonas Schreyögg bemüht sich um Unabhängigkeit.

Von Guido Bohsem, Hamburg

In den Wirtschaftswissenschaften hat die Spezialdisziplin Gesundheitsökonomie nicht den besten Ruf. Ihren Vertretern wird häufig vorgeworfen, viel zu eng mit dem Gegenstand ihrer Betrachtung verbunden zu sein, mit den Krankenkassen, den Kliniken, der Ärzteschaft oder auch der Pharmaindustrie. Denn das Gesundheitssystem ist ein Schlachtfeld, in dem es für die Lobbyisten darum geht, möglichst viel Geld für die eigenen Truppen herauszuholen. Ausgefochten wird der Kampf mit viel Finesse und mit einer kaum zu überschauenden Anzahl von Gutachten, die bei den Gesundheitsökonomen bestellt werden.

Auch Jonas Schreyögg und sein "Hamburg Center for Health Economics" sind Teil dieses Spiels. Doch stehen für den Ökonomen die Ergebnisse seiner Arbeit im Vordergrund, keine ideologischen Vorprägungen. "Ich schreibe nur auf, was meine Untersuchungen hergeben", betont er. Es gehe um einen empirischen Nachweis, fachliche Grundsatzdebatten sind ihm fremd. "Ich würde mich als pragmatisch und lösungsorientiert bezeichnen."

Schreyögg sagt: "Erst wenn es keine Empirie gibt, verwende ich einen theoretischen Ansatz. Aber auch da muss man schauen, was auch passt." Eine solche Vorgehensweise sei für ihn absolut nötig. Er würde sie sogar verwenden, wenn sie nicht ankomme. "Es geht nicht darum, irgendwelche Gutachten zu machen, sondern möglichst wissenschaftlich objektive."

Deutsche Ökonomen: SZ-Grafik.

SZ-Grafik.

Diese Haltung führt dann auch schon mal zu Unzufriedenheit bei den Auftraggebern. So gaben im vergangenen Jahr die Krankenkassen und die Krankenhäuser bei Schreyögg ein Gutachten in Auftrag. Darin sollte die Frage geklärt werden, ob die Zahl der Operationen steigt, wenn ihr Preis steigt, und ob dieser Preisanstieg womöglich sogar Anreize setzt, zum Skalpell zu greifen, auch wenn die medizinische Notwendigkeit nicht ganz so dringend ist.

Die Krankenhäuser verneinen das und führen die gestiegene Operationszahl darauf zurück, dass es immer mehr ältere Menschen gibt. Die Kassen hingegen sehen eindeutige Anhaltspunkte dafür, weil in Deutschland viel mehr Operationen etwa an der Hüfte oder den Knien vorgenommen werden als in anderen EU- Ländern.

Für beide Seiten ein enorm wichtiger Punkt. Seit Jahren schon fechten sie einen Kampf darüber aus, wer in der Frage die Deutungshoheit hat. Denn davon hängt im Kern ab, ob man für die Kliniken mehr Geld ausgeben sollte oder nicht, und ob man insgesamt weniger braucht.

Allein die Verhandlungen über die Fragestellung des Gutachtens zogen sich über Monate hin, weil keine Seite der anderen einen Vorteil lassen wollte. Als Schreyögg dann mit dem fertigen Gutachten kam, waren beide Seiten enttäuscht. Denn er stellte beides fest: höhere Operationszahlen durch den demografischen Wandel und eine Neigung der Krankenhäuser, teure Operationen häufiger durchzuführen. Das gefiel weder den Kassen noch den Krankenhäusern, was sie allerdings nicht davon abhielt, Schreyöggs Studie als Beweis für ihre jeweilige Behauptung zu nehmen.

Kein Wunder, schließlich ist der 39-jährige ein aufgehender Stern unter den Gesundheitsökonomen. Studium und Forschung in Berlin und Stanford, 2007 Juniorprofessor an der Technischen Universität in Berlin, 2009 Professur für Betriebswirtschaftslehre mit dem Schwerpunkt Health Services Management an der Uni München, seit 2010 Inhaber des Lehrstuhls für Management im Gesundheitswesen in Hamburg und dort auch seit 2011 wissenschaftlicher Direktor des Zentrums für Gesundheitsökonomie. Schreyögg ist Mitglied des Sachverständigenrates für das Gesundheitswesen.

Krankenhäuser und Kassen bestellten ein Gutachten bei ihm - danach waren beide unzufrieden

Dabei ist Schreyögg kein reiner Volkswirt. Die Konzentration auf die Empirie und die Ökonometrie, also das Überprüfen von Modellen und Theorien anhand von mathematischen Methoden, verlangt geradezu eine Kombination von betriebswirtschaftlichen und volkswirtschaftlichen Ansätzen. "Beide Disziplinen haben gelernt, sich aneinander zu orientieren." Es sei doch befremdlich, ein Phänomen entweder nur aus betrieblicher Sicht oder nur vom Markt her zu betrachten. Doch für die Gesundheitsökonomie reicht auch das nicht aus. "Man kommt nicht aus ohne Kenntnisse auch von medizinischen und epidemiologischen Zusammenhängen."

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Diese interdisziplinäre Zusammenarbeit hat Schreyögg als Mitarbeiter im kalifornischen Stanford kennengelernt. Am gesundheitsökonomischen Zentrum dort hätten die Ökonomen wie selbstverständlich mit Medizinern zusammengearbeitet. Zuvor habe auch sein Doktor-Vater Klaus-Dirk Henke - lange Zeit Vorsitzender des Sachverständigenrats - diesen Ansatz immer wieder hervorgehoben. "Mich hat jedenfalls die Vision gepackt, Fragestellungen im Gesundheitswesen mit ökonometrischen Methoden anzupacken."

Dieser Ansatz soll auch für das gesundheitsökonomische Zentrum gelten, das Schreyögg in Hamburg leitet. Sechs volle Lehrstühle, drei Juniorprofessoren, insgesamt etwa 60 Wissenschaftler - das Zentrum ist schon jetzt größer als vergleichbare Einrichtungen in Duisburg oder in Berlin. Schreyögg zielt auf Europa und darüber hinaus. "Ziel ist es, zu einem der führenden Zentren der Welt zu werden." Und da sei man auf gutem Weg. Zwar habe man noch nicht die Reputation wie das Gesundheitszentrum in York und nicht so viel Mitarbeiter wie das in Rotterdam. Doch werde man wahrgenommen. "Auch in den USA sieht man uns."

Fernweh nach Stanford oder anderen Spitzenzentren in Amerika hat der Vater von zwei Kindern indes nicht. Wegen des tollen Lebensgefühls in Hamburg und wegen der besseren Finanzierung seines Zentrums. "Etwa die Hälfte der Mitarbeiter können wir aus der Basisfinanzierung bezahlen. Das ist ziemlich gut, auch im Vergleich zu Stanford."

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