Klinik in Taufkirchen:Vorwürfe gegen Forensik erreichen den Landtag

Klinik für Forensische Psychiatrie

Untersuchungen von Forensik-Patienten bei externen Ärzten werden wegen Fluchtgefahr oft abgelehnt.

(Foto: Bernd Thissen/dpa)
  • Die forenisische Klinik in Taufkirchen steht in der Kritik: Arztbesuche sollen verschleppt worden sein, die medizinische Versorgung sei unzureichend.
  • Die Grünen kündigen eine Anfrage im Landtag an.
  • Forensische Kliniken stehen unter dem Druck, schwarze Zahlen zu schreiben.

Von Lisa Schnell

Verschleppte Arztbesuche, unzureichende medizinische Versorgung, unterlassene Hilfeleistung - die Vorwürfe gegen die forensische Klinik in Taufkirchen, in der psychisch kranke Straftäter untergebracht sind, wiegen schwer. Die Klinik weist sie zurück. Erhoben werden sie nicht nur von zwei Angehörigen unmittelbar Betroffener, sondern auch von einem Klinik-Seelsorger und einer gesetzlichen Betreuerin, die beide seit Jahren den Alltag in forensischen Kliniken kennen. Jetzt erreicht das Thema den Landtag.

Ende kommender Woche wollen die Grünen dort eine Anfrage zur medizinischen Versorgung in der Forensik stellen. Sie werden unter anderem fragen, an wen sich Patienten wenden können, wenn sie mit der medizinischen Behandlung unzufrieden sind. Es fehle auch heute, nach Inkrafttreten des neuen Maßregelvollzugsgesetzes, an geeigneten Beschwerdestellen, sagt Kerstin Celina, sozialpolitische Sprecherin der Grünen. Ohne ein funktionierendes Kontrollsystem könne Fehlverhalten nicht entdeckt werden. Außerdem will sie wissen, wie viel die Kliniken für die medizinische Versorgung ausgeben.

Der Druck der schwarzen Zahlen

"Faktisch gibt es einen Anreiz, medizinische Behandlungen, die nicht dringend geboten zu sein scheinen, auf die lange Bank zu schieben, etwa kurz vor einer anstehenden Entlassung", sagt Celina. Forensik-Patienten verlieren mit dem ersten Tag im Maßregelvollzug ihre Krankenversicherung. Die Klinik muss die Kosten für die medizinische Behandlung tragen. Erst bei außergewöhnlich teuren Untersuchungen kann sie zusätzliche Mittel bekommen.

"In forensischen Kliniken wird viel gespart", sagt Michael Osterheider, Professor für forensische Psychiatrie an der Universität Regensburg. Die Kliniken stünden unter dem Druck, schwarze Zahlen zu erwirtschaften. Osterheider geht deshalb davon aus, dass auch bei der medizinischen Versorgung "mit spitzer Feder gearbeitet wird". Handelt es sich bei den Klagen von Patienten und Angehörigen nicht um tragische Einzelfälle, sondern um einen Fehler im System?

Nach einem Gespräch mit Hanna Ziegert, die als jahrelange Gerichtsgutachterin viele forensische Kliniken kennt, liegt diese Vermutung nicht allzu fern. Sie sagt: "Die ärztliche Versorgung im Maßregelvollzug ist häufig, genauso wie in den Gefängnissen, nicht ausreichend und nicht sorgfältig genug." Externe Untersuchungen etwa in anderen Krankenhäusern würden gemieden.

Klinikärzte übernehmen die Funktion eines Hausarztes

Oft müssten Patienten gefesselt zum Arzt gebracht werden, um die Gefahr einer Flucht zu vermeiden. Wegen des Sicherheitsrisikos werden Behandlungen außerhalb der forensischen Klinik deshalb oft als problematisch angesehen, so Ziegert. Sie bestätigt außerdem die Klagen von Angehörigen, dass "Patienten mit ihren medizinischen Problemen häufig nicht ernst genommen" würden.

Dabei kritisiert sie scharf die Doppelrolle der Klinikärzte. Sie behandeln nicht nur die psychischen Leiden ihrer Patienten, sondern entscheiden auch, ob körperlichen Beschwerden nachgegangen werden muss. Sie würden die Funktion von Hausärzten übernehmen und könnten als ausgebildete Ärzte, "somatische Krankheiten erkennen und Erstmaßnahmen durchführen", heißt es aus mehreren forensischen Kliniken. "In der Psychotherapie ist das ein absolutes No-Go", sagt Ziegert, die selbst auch Psychotherapeutin ist.

Ärztemangel und zu wenig Geld

Außerdem müssten die Psychiater immer auch eine Zulassung als Hausarzt haben, heißt es vom Spitzenverband der Krankenkassen, ein Medizinstudium reiche nicht aus. In manchen Kliniken gibt es wöchentliche Sprechstunden oder Konsiliaruntersuchungen, bei denen Forensik-Patienten auch Ärzte anderer Fachrichtungen treffen. Oft stehen im Maßregelvollzug als Ansprechpartner für körperliche Beschwerden aber ausschließlich Psychiater zur Verfügung.

Idealerweise müsste es in allen forensischen Kliniken auch einen Internisten geben, an den sich die Patienten wenden können, sagt Forensik-Professor Michael Osterheider. Das sei allerdings wieder eine Arbeitskraft, die zusätzlich bezahlt werden müsste. Außerdem herrsche Ärztemangel. Forensische Kliniken liegen oft abgelegen und könnten keine hohe Bezahlung anbieten. "Ein Internist kriegt natürlich Angebote en masse. Der hat keinen Grund, in die Forensik zu gehen", sagt Osterheider.

Auch die Ausbildung der Psychiater sowie deren zusätzliche Rolle als "Hausärzte" thematisieren die Grünen in ihrer Anfrage. Der Süddeutschen Zeitung teilte das Sozialministerium dazu mit: "Das neue Bayerische Maßregelvollzugsgesetz gewährleistet eine qualitativ hochwertige und den Regeln der ärztlichen Kunst entsprechende Behandlung von psychischen und sonstigen Erkrankungen." Kerstin Celina von den Grünen hofft auf eine etwas detailliertere Antwort.

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