Über die Vorstellung, wie sie ihre letzte Lebensphase verbringen wollen, klaffen bei den Bundesbürgern Wunsch und Wirklichkeit meist auseinander: Jeder zweite ältere Deutsche stirbt im Krankenhaus, obwohl 75 Prozent der Menschen den Tod daheim vorziehen würden, zeigt eine Auswertung der Bertelsmann-Stiftung. Thema des Faktencheck Gesundheit ist der Ausbau der Palliativversorgung in Deutschland.

Nur jeder Fünfte beschließt sein Lebensende tatsächlich in den eigenen vier Wänden. Jeder Zehnte würde seine letzte Lebensphase gern in einem Hospiz verbringen – in der Realität sind dies aber nur drei Prozent. Fast jeder Dritte stirbt indes in einem Pflegeheim, obwohl nur zwei Prozent dies wollen.

Der Faktencheck Gesundheit basiert auf den drei Studien Sterbeort Krankenhaus – Regionale Unterschiede und Einflussfaktoren (Karsten Zich, IGES-Institut), Strukturen und regionale Unterschiede in der Hospiz- und Palliativversorgung (Heiner Melching, Deutsche Gesellschaft für Palliativmedizin) sowie Überversorgung kurativ – Unterversorgung palliativ? Analyse ausgewählter Behandlungen am Lebensende (Prof. Dr. Lukas Radbruch, Universitätsklinikum Bonn). Die Analysen stützen sich maßgeblich auf Sonderauswertungen des Statistischen Bundesamtes, Daten des Wegweisers Hospiz- und Palliativmedizin sowie Berechnungen des Health Risk Instituts.

Die Auswertung der Bertelsmann-Stiftung zeigt, dass das medizinische und pflegerische Angebot vor Ort maßgeblich dazu beiträgt, ob ein schwerkranker oder alter Mensch betreut wird und ob er im häuslichen Umfeld bleiben kann. Hier zeigen sich regionale Unterschiede. So fehlen in einem Viertel aller Kreise in Deutschland spezialisierte Palliativmediziner. Dagegen haben sich in Hessen mehr als doppelt so viele Ärzte zusätzlich palliativ qualifiziert wie in Thüringen. In Regionen mit vielen niedergelassenen Ärzten, die eine Zusatzqualifikation im Bereich Palliativmedizin haben, verbringen laut der Auswertung mehr Menschen ihre letzten Tage zu Hause. Auf einer interaktiven Deutschlandkarte kann jeder seinen Wohnort eingeben und den Betreuungsstatus einsehen.

In Baden-Württemberg sterben beispielsweise aufgrund der gut ausgebauten ambulanten Versorgung nur 41 Prozent der älteren Menschen im Krankenhaus. In Nordrhein-Westfalen, wo die Krankenhauskapazitäten hoch sind, verbringen 49 Prozent der Älteren ihre letzte Lebensphase in einer Klinik. Wäre in allen Bundesländern das regionale Versorgungsangebot vergleichbar organisiert wie in Baden-Württemberg, müssten der Erhebung zufolge "jährlich rund 37.000 Menschen weniger im Krankenhaus sterben".

Ambulant vor stationär

Experten der Bertelsmann-Stiftung fordern daher den Ausbau und die Weiterentwicklung der Palliativversorgung. Dabei solle der Leitsatz: ambulant vor stationär und allgemein vor spezialisiert gelten. Zwar seien die Versorgungsangebote für schwerkranke und sterbende Menschen in den vergangenen 20 Jahren stark ausgebaut worden. Allerdings erhielten selbst 2014 bundesweit lediglich knapp 30 Prozent der Verstorbenen eine palliativmedizinische Behandlung, wie Lukas Radbruch von der Deutschen Gesellschaft für Palliativmedizin ermittelte. Dies weise auf eine Unterversorgung hin. "Fast 90 Prozent aller Menschen brauchen am Lebensende eine palliative Begleitung", sagte Radbruch.

Neben dem Mangel an Palliativangeboten vor Ort gibt es laut Bertelsmann-Stiftung nach wie vor auch einen hohen Aufklärungsbedarf. So sei nur wenigen Menschen bewusst, dass eine gut organisierte ambulante Palliativversorgung zu weniger Krankenhauseinweisungen kurz vor dem Tod führe. Als vorbildlich gilt dabei ein Modell in Westfalen-Lippe, bei dem seit 2009 die Hausärzte die Palliativbetreuung koordinieren. Im vergangenen Jahr wurden rund 20 Prozent der Verstorbenen so betreut. Nur 8,7 Prozent dieser Palliativpatienten starben in einem Krankenhaus.

Bertelsmann veröffentlichte seinen Faktencheck im Vorfeld zu einer Entscheidung des Deutschen Bundestags: Dieser will am Donnerstag das Hospiz- und Palliativgesetz beschließen, das eine bessere Betreuung sterbender Menschen ermöglichen soll. Dafür ist unter anderem vorgesehen, stationäre Hospize für Kinder und Erwachsene finanziell besser auszustatten.