Kinder mit Geburtsgebrechen zu teuer

Invalidenversicherung und Kinderspitäler streiten um die Tarife für die Behandlung von Kindern mit angeborenen Krankheiten. Die Zeche zahlen vorderhand die Kantone.

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Bund und Kantone streiten sich um Tarife für die Behandlung angeborener Krankheiten in Kinderspitälern. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Bund und Kantone streiten sich um Tarife für die Behandlung angeborener Krankheiten in Kinderspitälern. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

(kru.)

Kinder sind teuer – zu teuer für die Invalidenversicherung. Denn es ist die IV, die bei angeborenen Krankheiten für die Behandlungskosten bis zum 20. Altersjahr aufkommen muss. Solche Geburtsgebrechen sind oft komplexe multimorbide Fälle, die eine intensive, zeit- und kostenaufwendige Betreuung im Kinderspital nötig machen. Die IV und das für sie zuständige Bundesamt für Sozialversicherungen (BSV) weigerten sich indes, den dafür verlangten Basistarif für 2015 anzuwenden. Die Verhandlungen zwischen IV und Kinderspitälern sind deshalb gescheitert. Gemäss BSV-Sprecher Rolf Camenzind haben die Spitäler einen zu hohen Basispreis verlangt.

Vom Tarifstreit sind in erster Linie die drei grossen, eigenständigen Kinderspitäler der Schweiz betroffen: die Universitäts-Kinderspitäler Zürichs und beider Basel sowie das Kinderspital Ostschweiz, das von den Kantonen St. Gallen, Thurgau, beiden Appenzell und dem Fürstentum Liechtenstein getragen wird. Die Entschädigungen der IV machen gegen 40 Prozent ihrer Einnahmen aus und sind deshalb überlebenswichtig. Die Spitäler, die sich zur Allianz Kinderspitäler der Schweiz (Allkids) zusammengeschlossen haben, kritisieren das Vorgehen der IV als ungerechtfertigt und inakzeptabel.

Kantone tragen Ausfälle

Solange der Tarifstreit andauert, werden nun lediglich jene Kosten erstattet, die bei einer Behandlung in der allgemeinen Abteilung des nächstgelegenen Erwachsenenspitals entstehen würden. Diese decken die effektiven Kosten aber bei weitem nicht. «Das ist für die Kinderspitäler ruinös», sagt Allkids-Generalsekretärin Agnes Genewein. Um substanzielle Defizite zu verhindern, sehen sich die Trägerkantone gezwungen, vorderhand für die Ausfälle in Millionenhöhe geradezustehen.

Der Konflikt scheint verworren; die Aussagen der beiden Parteien widersprechen sich diametral. So hält Rolf Camenzind seitens des BSV fest, die mit den Tarifverhandlungen beauftragte Zentralstelle für Medizinaltarife (ZMT) habe die Basispreise aufgrund der ausgewiesenen effektiven Kosten berechnet, die Spitäler hätten jedoch einen höheren Preis gefordert. Die Spitäler betonen ihrerseits, sie hätten sich mit der ZMT geeinigt, das BSV habe diese Einigung aber zurückgewiesen und einseitig einen zu tiefen Tarif festgelegt, der, so Agnes Genewein, «wissentlich auf falschen Zahlen» beruhe. Das Bundesamt wiederum kann die Kritik der Kinderspitäler «nicht nachvollziehen» und verweist auf einen Bericht des Preisüberwachers, wonach in den Kinderspitälern Sparpotenzial bestehe: Die hohen Fallkosten seien in der zu wenig effizienten Betriebsführung zu suchen. Die Spitäler halten dem entgegen, dass dem Bund jegliche Daten fehlten, die solche Aussagen stützten.

Fehlende Grundlagen

Unstrittig ist, dass die Kosten pro Patient mit Einführung der Fallpauschalen nach 2012 angestiegen sind und dass die Behandlung von Kindern mit Geburtsgebrechen einen höheren Pflege- und Betreuungsaufwand mit sich bringt. Die Kostensteigerung lässt sich anhand der Zahlen über medizinische Massnahmen der IV bei Kindern und Jugendlichen darstellen. Das BSV spricht ergänzend von einer überdurchschnittlichen Zunahme der Fallkosten in den drei eigenständigen Kinderspitälern von 21 Prozent. Agnes Genewein erklärt dies mit einer Neuverteilung der Kosten bei der Einführung der Fallpauschalen: «Die IV hat über Jahre auf Kosten der Krankenversicherer gespart.»

Der Streit konnte deshalb eskalieren, weil er sich im luftleeren Raum abspielt. Bis anhin fehlen die Grundlagen für die Ermittlung der «richtigen» Tarife bei der Behandlung von Geburtsgebrechen. Ebenso fehlen die rechtlichen Voraussetzungen, die es dem Bundesrat bei Streitfällen erlauben, die Tarife festzulegen. Diese sollen laut Rolf Camenzind nun geschaffen werden.

Die drei Kinderspitäler wollen den Rechtsweg beschreiten. Es könne nicht sein, sagt die sankt-gallische Bildungsdirektorin Heidi Hanselmann, «dass die Kantone die Kinderspitäler wieder subventionieren müssen». Den Kindern mit Geburtsgebrechen, ihren Angehörigen und dem Pflegepersonal ist mit einem andauernden Tarifstreit nicht gedient.

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