Ingo Morell Weniger Plätze für Schwerkranke in Kliniken

Der Vizepräsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft warnt vor Übertreibungen bei den Qualitätskontrollen. Wenn Schwerkranke und Demente künftig die Statistik verschlechtern, würden Kliniken sie ungern aufnehmen.

Düsseldorf Heute beginnen in Düsseldorf die weltgrößte Medizinmesse Medica und der Deutsche Krankenhaustag. Wir sprachen mit Ingo Morell, dem Vize-Präsidenten der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG), über die Folgen der Krankenhausreform.

Der Krankenhaustag trägt als Überschrift die Frage: "Krankenhausreform 2015 - vom Patienten her gedacht?" Wie antworten Sie?

Morell Ich habe bislang noch keine Krankenhausreform erlebt, die rein vom Patienten her gedacht war. Wir sind aber sicher, dass sich auch durch die Änderungen gegenüber dem ursprünglichen Gesetzentwurf Verbesserungen für die Patientinnen und Patienten ergeben. Sie geben auch den Krankenhäusern wieder eine Perspektive.

Kliniken sollen nach der Qualität ihrer Leistungen Zu- und Abschläge erhalten. Hilft das Patienten?

Morell Der Hebel wird mit dieser Krankenhausreform nicht einfach umgelegt werden können. Die Qualität kann man nicht auf die Schnelle allein mit Statistiken definieren. Es wird in absehbarer Zeit nicht gelingen, eindeutig zu sagen: Das ist ein gutes und das ist ein schlechtes Krankenhaus. Dennoch müssen und werden sich die Krankenhäuser dem Thema Qualität stellen und auch Qualität nachweisen.

Welche Nebenwirkungen werden die neuen Qualitätsprüfungen haben?

Morell Das Fallpauschalen-System beinhaltet schon heute Fehlanreize. Wir müssen aufpassen, dass uns bei der Qualitätskontrolle nicht die gleichen Fehler passieren und am Ende keiner mehr die schwerkranken oder dementen Patienten aufnehmen möchte, weil sie die Qualitätsstatistiken verschlechtern. Dann geraten Patientinnen und Patienten aus dem Blick.

Werden wir durch die Krankenhausreform künftig deutlich weniger Kliniken haben?

Morell Allein aufgrund der Reform geht die Zahl der Kliniken nicht zurück. Der bereits laufende Prozess, dass Krankenhäuser vom Markt verschwinden oder fusionieren, wird sich fortsetzen. In den ländlichen Regionen wird es dadurch extrem schwierig, die Versorgung aufrechtzuerhalten. Ich bin der Meinung, dass wir die Krankenhausversorgung als Bereich der Daseinsvorsorge nicht allein dem Markt überlassen dürfen.

Was erwarten Sie für NRW?

Morell Nordrhein-Westfalen hat ein offensichtliches Problem bei der Investitionsförderung durch das Land. Wir haben viele Kliniken in NRW, bei denen die Bausubstanz erneuerungsbedürftig ist. Es werden einige Krankenhäuser schließen müssen, weil sie die Investitionen nicht mehr leisten können. Es gibt Regionen, in denen man sinnvollerweise aus zwei oder drei kleinen Krankenhäusern ein mittleres machen könnte. Eine solche Zusammenlegung muss aber finanziert werden. Wie solche Projekte angesichts der Schuldenbremse bewerkstelligt werden sollen, ist völlig offen. Vielleicht hilft dabei der einzurichtende Strukturfonds.

Wenn die Länder ihrer Investitionspflicht nachkämen, wären dann die Probleme der Kliniken gelöst?

Morell Ein Großteil der Probleme wäre gelöst. Wir werden aber neben den Investitionskosten weiter das Problem mit der Finanzierung der Personalkosten haben. Eine große Herausforderung ist für die Kliniken zudem, auf Dauer qualifiziertes Personal zu bekommen - von der EDV bis zur Pflege.

Die Krankenkassen machen Kliniken den Vorwurf, dass sie zu viel operieren und zu oft nach ökonomischen Maßstäben ...

Morell Den Spieß drehe ich um: Wenn das so wäre, wäre dies Körperverletzung und müsste dann rechtlich geahndet werden. Die statistischen Vergleiche, die für solche Vorwürfe herangezogen werden, sind oft zweifelhaft. Wenn wie in England Teile der Bevölkerung ab einem bestimmten Alter gar nicht mehr den Zugang zum System haben, dann kann man die Zahl der Hüft- und Kniegelenks-Operationen auch nicht mit Deutschland vergleichen.

Sind die deutschen Krankenhäuser darauf eingestellt, die rund eine Million Flüchtlinge zu versorgen?

Morell Wir müssen uns darauf einstellen. Die Patienten, die zusätzlich kommen, stellen uns vor andere Problematiken als die Einheimischen. Unter ihnen gibt es etliche Traumatisierte. Die Krankenhäuser haben gerade im Bereich der Psychiatrie noch nicht die Kapazitäten, sie zu behandeln. Zudem gibt es bei der Behandlung sprachliche und kulturelle Hürden.

EVA QUADBECK FÜHRTE DAS GESPRÄCH.

(qua)
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