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Patienten sind keine Kunden, sondern Menschen

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Dr. Dirk Frenzel aus Käcklitz greift den Klinik-Skandal in Uelzen auf und vergleicht mit dem Altmark-Klinikum:

Und wieder ein Krankenhausskandal – diesmal sind es die verschmutzten OP-Bestecke am Helios-Klinikum Uelzen. Ein Haus der Schwerpunktversorgung, welches bis zur Privatisierung durch Helios Anfang 2014 bis in den Altmarkkreis hinein einen – wie ich als medizinischer Insider und Angestellter des Altmark-Klinikums wahrnahm – recht guten Ruf genoss.

Schon ein Jahr später, Anfang 2015, bekam die Helios-Klinik in einer wohl recht unabhängigen Patientenbefragung den Zufriedenheitsrang 27 von 31 in Niedersachsen untersuchten Kliniken. Es hätte schlechter sein können. Nun der OP-Besteck-Skandal.

Besser kann man das Vertrauen, das ein Patient in Klinik mit Behandlungsteam haben muss, um sich dort versorgen zu lassen, nicht verspielen. Der Patient – in Qualitätsmanagementkreisen gern auch Kunde genannt – MUSS sich einfach auf die Qualität seiner Behandlung verlassen können. Es geht um seine Gesundheit, unter Umständen sein Leben. Jeder, der sich schon einmal dem Betrieb eines Krankenhauses aussetzen musste, weiß, mit wieviel Angst und Unsicherheit man da unterwegs ist.

Schnell sind die vermeintlich Schuldigen gefunden: Die Sterilisationsabteilungen in Gifhorn, vorübergehend jetzt in Hildesheim, die schlampig gearbeitet haben. Die Qualitätsmanager, die nicht schnell genug reagiert haben. Die Helios-Klinikleitung, die nicht mit hohem Druck schnellstmöglich nach internem Bekanntwerden der Hygienedefizite dafür gesorgt hat, dass das Problem sofort beseitigt wird.

Mich mit noch halbwegs gesundem Menschenverstand wundert auch, wie man die Reinigung von OP-Besteck sinnvoll auslagern kann, dass es jetzt sogar in Hildesheim sterilisiert wird – 121 Kilometer entfernt! Ich kann mir richtig vorstellen, wie da Gewebsreste auf der langen Fahrt in den feinen Winkeln hochkomplizierter OP-Bestecke antrocknen …

Aber wir dürfen uns im Altmarkkreis Salzwedel ja auch nicht zu sehr aus dem Fenster lehnen – noch ist der Wirbelsäulenskandal in unserem eigenen Klinikum in Gardelegen in wacher Erinnerung.

Oder dürfen wir doch? Müssen wir sogar? Was geschieht hier in unserem so genannten Gesundheitssystem? Was haben Uelzen und Gardelegen gemeinsam? Wie kann es sein, dass in diesem hochentwickelten Versorgungssystem, wohl immer noch einem der besten der Welt, derartige Dinge geschehen?

Meiner Meinung nach ist der gemeinsame Nenner für diese Skandale der Wettbewerb, dem das Gesundheitssystem ausgesetzt worden ist. Die Für- und Vorsorge von Gesundheit ist zur Kostensenkung spätestens seit Anfang der 2000-er Jahre mit Einführung des DRG-Systems zum Wettbewerbsmodell geworden. Ein Gesundheitssystem, in dem Geld verdient wird – je kranker der Patient, und je aufwändiger die Behandlungen, die angewandt werden. Hinzu kommen schlicht nicht gezahlte Zuwendungen der Bundesländer in Milliardenhöhe zu Investitionen der Kliniken, die den Kostendruck auf die Häuser deutlich verstärken. Erklärtes Ziel war und ist, einen relevanten Teil der Häuser aufgrund von „Überversorgung“ zu schließen – über Kostendruck.

Wozu führt das? Dies führt dazu, dass private Betreiber – die in der Regel riesige Konzerne sind – mit ihren Kaufleuten begannen, Krankenhäuser nach den Regeln der Wirtschaft umzustrukturieren und nicht nur billiger zu sein als bisher – der Stärkere frisst den Schwächeren – sondern auch noch Rendite für die Aktionäre zu erwirtschaften. Kostendruck, der auch auf noch öffentlichen Kliniken lastet, weil die Privatkonkurrenz vormacht, dass es billiger geht. Das hat zum Skandal in Gardelegen geführt.

Ein Nebenprodukt dieser Entwicklung ist der Patient als Kunde. Ich behaupte, die wenigsten, die ein Krankenhaus betreten, tun das im Bewusstsein eines Kunden, der bei Nichtgefallen einfach eine Straße weiter ins nächste Krankenhaus geht, weil er nicht freundlich oder zeitnah oder kompetent behandelt wird.

Gesundheitsvor- und fürsorge gehört aus meiner Sicht in die öffentliche Hand! Dafür lohnt es, Steuern zu bezahlen. Geld auszugeben. Es kommt uns direkt zu Gute. Fast jedem von uns in seinem Leben, dann subjektiv wohl immer sehr bedeutsam – weil eben die Gesundheit auf dem Spiel steht. Und natürlich müssen Abläufe im System optimiert werden, darf es keine unnötigen Geldverluste geben, weil es das Geld aller ist, was drinsteckt.

Aber das hat seine Grenzen. Kompetenz und menschliche Zuwendung, (Lebens)Zeit, Gesundheit ist keine Ware, der Patient kein Kunde. Sondern Mensch mit Versehrtheit und Angst, und dem Wunsch, gesund zu werden. Und auch die Menschen, die helfen gesund zu werden, die im Gesundheitswesen Tätigen, sind Menschen. Die Zeit brauchen, ein wertschätzendes Umfeld, in dem sie sicher ihre Kompetenzen entwickeln können und mit dem Herzen dem Hilfsbedürftigen begegnen.

Warum dieser Leserbrief? Weil wir das Glück haben im Altmarkreis mit dem Altmarkklinikum noch eines der letzten kommunalen Krankenhäuser im Land zu haben. Eines der letzten Häuser haben, das seine Mitarbeiter nach Tarif bezahlt. Das hat Relevanz, ist ein hohes Gut – für die Menschen, die hier leben und behandelt werden müssen, und auch für jene, die dort arbeiten. Die auch in der Region leben. Und das kostet Geld. Geld aber, das nicht irgendwelchen Aktionären zu Gute kommt, sondern der Region direkt. Uns, die wir hier leben.

Es ist nicht selbstverständlich und dem Kreistag mit seinem Landrat zu verdanken, dass bisher der Versuchung widerstanden wurde, das Altmarkklinikum zu privatisieren. Dies muss auch in Zukunft so bleiben und wird ebenso wenig selbstverständlich sein, die Versuchung wird zunehmen. Aber es wird Geld kosten. Das sehen wir am Beispiel Osnabrücks, wo eine Stadt mutig entschieden hat, ihre Klinik zu behalten. Und wir wissen genau, was geschieht, wenn Gesundheit privatisiert wird. Durch Uelzen. Durch Gardelegen. Wir werden uns konkret überlegen müssen, was uns das wert sein wird in Zukunft: Was darf es kosten?

Sicher ist es nur ein fast schon amüsanter Zufall, dass jener Geschäftsführer, der für den Wirbelsäulenskandal verantwortlich war, nun eine mittelgroße – privatisierte – Klinik leitet.

Leserbriefe geben immer nur die Meinung des Verfassers wieder. Sie müssen mit vollem Namen und gültiger Adresse unterzeichnet sein. Anonyme Schreiben werden nicht veröffentlicht.

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