Unispitäler wollen mehr Geld

Patienten, die aufwendige Eingriffe brauchen, landen oft in den Unispitälern. Diese klagen über zu tiefe Entschädigungen. Als Beleg dient eine neue Studie, die Vorschläge für eine Reform einbringt.

Simon Hehli, Jan Hudec
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Spezialisierte Spitäler haben hohe Kosten: Kernspintomograph am Unispital Zürich. (Bild: Martin Ruetschi / Keystone)

Spezialisierte Spitäler haben hohe Kosten: Kernspintomograph am Unispital Zürich. (Bild: Martin Ruetschi / Keystone)

Die meisten Akteure im Gesundheitswesen klopfen sich auf die Schultern: Die Einführung der Fallpauschalen (DRG) im Jahr 2012 halten sie für geglückt, die anfänglich befürchteten «blutigen Entlassungen» sind nicht eingetreten. Doch nicht alle sind zufrieden mit dem System. Als Verlierer des Wechsels zu Fallpauschalen sehen sich vor allem die Unispitäler. Sie stehen am Ende der Versorgungskette: Patienten, die besonders komplexe Behandlungen benötigen, wenden sich oft direkt an ein Unispital oder werden von einem kleineren Spital überwiesen, wenn dieses an seine Grenzen stösst. Je grösser das Spital, umso grösser ist dadurch das Angebot an Behandlungen und umso grösser der Bedarf an kostspieligen Geräten.

Zusatzzahlungen reichen nicht

Dass die durchschnittliche Behandlung an den Unispitälern teurer ist, bestreitet niemand. Im DRG-System soll diesem Umstand Rechnung getragen werden, indem diese fünf Institutionen eine höhere Base-Rate (siehe Zusatz) erhalten. Doch aus Sicht der Unispitäler reicht diese Zusatzvergütung nicht aus, um die höheren Kosten zu decken. Das Unispital Zürich (USZ) befindet sich derzeit in einem Rechtsstreit mit den Krankenkassen und befürchtet, dass letztlich eine Base-Rate von 10 400 Franken resultiert. Um kostendeckend zu arbeiten, brauchte das USZ jedoch nach eigenen Angaben 11 300 Franken – die Differenz würde zu einem jährlichen Defizit von 40 Millionen Franken führen. «Das ginge ans Lebendige», sagt USZ-Finanzdirektor Hugo Keune.

Auch andere Zentrumsspitäler sind von dem Problem zu tiefer Entschädigungen betroffen. Häufig decken die Kantone die Defizite, was im DRG-System eigentlich nicht vorgesehen ist. Das USZ prescht nun mit einem Plan für eine Systemänderung vor, der die stets diffizilen Verhandlungen mit den Krankenkassen über die Base-Rate weitgehend obsolet machen würde. Grundlage dafür ist eine Studie des Beratungsbüros Polynomics, die das USZ in Auftrag gegeben hat. Gesundheitsökonom Philippe Widmer weist darin nach, dass kleinere Spitäler mit einfacheren Fällen heute tendenziell zulasten der Zentrumsspitäler übervergütet werden. In Letzteren würden einzelne hochdefizitäre Fälle den Durchschnitt stark nach oben treiben, so Widmer: Eine einzelne Operation, bei der es zu schweren Komplikationen kommt, könne die Rechnung bereits aus dem Gleichgewicht bringen.

Unterschiedlicher Patientenmix

Das USZ und Widmer schlagen deshalb vor, für jedes Spital eine separate Base-Rate zu erstellen. Ein Bündel von Kriterien soll dazu neu in die Berechnung einbezogen werden. Einerseits der Patientenmix: Hat ein Spital besonders viele Patienten, die schon in einem schlechten Gesundheitszustand eintreten, IV-Bezüger sind, als Notfall eingeliefert oder von einem anderen Spital überwiesen werden? Diese Faktoren erhöhen statistisch gesehen das Komplikationsrisiko. Andererseits ist auch die Spitalstruktur relevant, also wie gross das Leistungsangebot oder die Fallzahl für einen bestimmten Eingriff ist. In das mathematische Modell fliessen Patientendaten aller Schweizer Spitäler ein; dadurch lässt sich berechnen, wie viel Geld ein spezifisches Spital aufgrund seines Patientenmixes zugute hätte. Generiert es höhere Kosten, ist dies ein Hinweis, dass es ineffizient arbeitet.

«Das System würde so massiv fairer», sagt Widmer. Auch die Anreize, die Kosten pro Behandlung zu senken – ein Kerngedanke der Fallpauschale –, blieben bestehen. Laut USZ-Finanzdirektor Keune hätte eine Anpassung des Systems zudem den Vorteil, dass sich ein Rosinenpicken nicht mehr positiv auf das Betriebsergebnis auswirken würde: Einzelne Spitäler versuchen, sich auf jene Operationen zu konzentrieren, für die im DRG-System besonders hohe Gewinnmargen abfallen. Die Systemkorrektur würde tiefere Vergütungen für solche Spitäler bedeuten.

Basler dafür, Berner skeptisch

Martin Gerber, der Leiter Finanzen am Universitätsspital Basel (USB), hält die von seinen Zürcher Kollegen vorgeschlagene differenzierte Base-Rate für einen Schritt in die richtige Richtung. «Wir müssen mehr Geld bekommen, sonst kommen wir unter die Räder», sagt Gerber. Dem Chef des Berner Inselspitals, Holger Baumann, geht der Vorschlag der USZ hingegen zu weit: «Eine spitalbezogene Base-Rate würde bedeuten, dass auch Ineffizienzen vergütet werden.» Baumann spricht sich stattdessen für eine höhere Base-Rate für alle Unispitäler aus.

Dieses Vorgehen stünde im Einklang mit Bemühungen des Bundesamtes für Gesundheit (BAG), das DRG-System zu verfeinern. Das BAG schlägt vor, die Spitäler in sieben Gruppen einzuteilen, nach ähnlichen Kriterien wie in der USZ-Studie. Die fünf Universitätsspitäler bilden dabei die höchste Gruppe, bei der die durchschnittlichen Fallkosten 11 350 Franken betragen. BAG-Sprecherin Michaela Kozelka erklärt, die Spitalklassifizierung werde laufend weiterentwickelt; das Bundesamt prüfe in diesem Zusammenhang gerne auch die Erkenntnisse der USZ-Studie.

Ein kategorisches Nein kommt hingegen vom Krankenkassenverband Santésuisse: «Wir sind gegen eine Vergütung der Spitäler mit differenzierten Base-Rates», sagt Sprecherin Sandra Kobelt. Bei Universitäts- oder Kinderspitälern sei eine höhere Vergütung aufgrund des Maximalangebots zwar eher gerechtfertigt. Aber Santésuisse gehe davon aus, dass es eine Angleichung der Base-Rates geben werde. Das bedeutet, dass die günstigeren Spitäler mehr Geld bekommen sollen, die Unispitäler jedoch sogar noch Abstriche machen müssten.

Im Wettbewerb benachteiligt

Ein oktroyiertes Sparprogramm läuft den Interessen der Unispitäler naturgemäss zuwider. Dass eine hohe Base-Rate aber nicht nur von Vorteil ist, zeigt das Beispiel Basel. Denn dies bedeutet, dass auch alltägliche Eingriffe wie Geburten zwangsläufig teurer werden. «Wir sind so nicht konkurrenzfähig», sagt USB-Finanzchef Gerber. Das Problem ist für das Basler Unispital besonders virulent, weil rund die Hälfte der Patienten von ausserhalb kommt. Ein Teil der Kantone vergütet bei ausserkantonalen Spitalaufenthalten jedoch nur die Kosten, wie sie in einem Spital auf dem eigenen Gebiet anfallen würden – die Differenz müssten die Patienten selber bezahlen. «Das behindert die freie Spitalwahl», kritisiert Gerber. Mittelfristig sucht das USB deshalb eine Lösung, bei der die Hochdefizitfälle im DRG-System separat vergütet werden.

Die Vielzahl der Vorschläge und Einwände zeigt: Bis das DRG-System so austariert ist, dass alle beteiligten Akteure es für zumindest halbwegs fair halten, wird noch einige Zeit verstreichen.