Saarbrücker Gesundheitsökonom erklärt: „Mit Bettenabbau keine Stimmen zu gewinnen“

Professor Martin Dietrich forscht an der Universität des Saarlandes zu gesundheitsökonomischen Fragen. Im Interview mit SZ-Redakteur Daniel Kirch erklärt der BWL-Professor, warum so viele Krankenhäuser – auch im Saarland – ums Überleben kämpfen müssen.

Herr Professor Dietrich, die Kassen sind der Meinung, dass viele Operationen in Krankenhäusern nicht nötig wären, aber aus wirtschaftlichen Motiven gemacht werden. Die Kliniken bestreiten das. Wer hat Recht?

Dietrich: So einfach lässt sich das nicht sagen. Die Krankenhäuser müssen versuchen, mit den wirtschaftlichen Rahmenbedingungen klarzukommen. Das ist nicht einfach.

Gibt es im Saarland zu viele Krankenhäuser mit zu vielen Betten, wie die Kassen sagen?

Dietrich: Das Problem ist, dass die Krankenhausplanung auch ein Wahlkampfthema ist. Mit dem Abbau von Betten und der Schließung von Krankenhäusern kann man schlecht Stimmen gewinnen. Der Politik ist das selbstverständlich bewusst. Mit dem Wettbewerb hat die Politik ein Instrument an der Hand, mit dem man sich auf die Position zurückziehen kann: Überlassen wir es doch dem Markt, die Überkapazitäten abzubauen, dann müssen wir nicht entscheiden. Was im Umkehrschluss bedeutet: Wir haben nun einmal diese Kapazitäten, und die Krankenhäuser sind durch den Sicherstellungsauftrag verpflichtet, diese Kapazitäten vorzuhalten - und wenn sie diese nicht auslasten, machen sie Verluste.

Wie stemmen sie sich gegen diese Verluste?

Dietrich: Mit dem G-DRG-Abrechnungssystem, den Fallpauschalen, sind die Verweildauern im Krankenhaus stark zurückgegangen, weil die Vergütungsregeln einen Anreiz bieten, Patienten schnell zu entlassen und die Fortschritte in den Behandlungsmethoden dies auch zulassen. Die Verweildauer sinkt stärker, als die Bettenkapazitäten zurückgehen. Die Krankenhäuser reagieren darauf, indem sie ihre Auslastung durch mehr Fallzahlen sichern.

Und die Bundesländer?

Dietrich: Sie scheuen sich, die Kapazitäten zu reduzieren, gleichzeitig nehmen sie aber auch nicht genug Geld in die Hand, um die Investitionen der Krankenhäuser ausreichend zu finanzieren. Woher kriegen die Krankenhäuser dann das Geld, um technisch auf dem aktuellen Stand zu sein, wozu sie ja verpflichtet sind? Da bleiben nur die Fallpauschalen der Kassen. Das Problem besteht darin, dass in den Fallpauschalen keine Investitionskosten enthalten sind, denn dafür sind die Länder zuständig. Damit Krankenhäuser den Investitionskostenstau über Fallpauschalen finanzieren können, sind sie gezwungen, aus den Fallpauschalen Gewinne zu machen. Sie müssten also mit ihren Leistungen positive Erträge aus dem laufenden Betrieb erwirtschaften.

Es gibt Ärzte, die genau deshalb klagen, dass der kaufmännische Direktor ihnen im Nacken sitzt und erwartet, mehr Leistungen zu erbringen, also etwa mehr zu operieren.

Dietrich: Wenn der kaufmännische Direktor das nicht tut, ist das Krankenhaus wirtschaftlich bedroht. Die Krankenhäuser sind Gefangene in diesem schwierigen System. Für sie geht es bei der Mengenausweitung nicht um eine Kommerzialisierung, sondern ums Überleben. Man muss bedenken, dass die Hälfte der Krankenhäuser in Deutschland Verluste macht. Um nicht vom Netz genommen zu werden und nicht zu viele Verluste zu schreiben, zwingt sie das System dazu, die Fallzahlen zu erhöhen. Die Ärzte haben einen Ermessensspielraum, und aufgrund der ökonomischen Rahmenbedingungen wird er im Zweifelsfall eher für eine Krankenhausleistung ausfallen als dagegen.

Die Politik verlangt von den Krankenhäusern eine stärkere Spezialisierung. Ist das sinnvoll?

Dietrich: Das Problem der Krankenhäuser ist, dass sie unter einem Dach die komplette Bandbreite von sehr unterschiedlichen Arten von Behandlungen anbieten. Das führt zu Effizienzverlusten. Spezialisierung ist notwendig, um die gut beherrschbaren und standardisierten Prozesse wie bei einem Beinbruch und die weniger gut beherrschbaren Prozesse wie bei einer Krebserkrankung zu trennen. Vielleicht könnte man im Saarland mit der bestehenden Anzahl von Krankenhäusern weiterarbeiten, wenn jedes eine Spezialisierung hat. Dann kommt man künftig vielleicht nicht mehr ins Krankenhaus in der Nachbarschaft, aber dafür in ein Krankenhaus mit hohen Mengen und Qualität auf einem abgegrenzten medizinischen Gebiet.

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