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  3. Arbeitsmarkt 2050: Deutschland verliert Kampf um Talente

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Talente werden Bogen um Deutschland machen

Bis 2060 nimmt der Anteil der Älteren deutlich zu, die Zahl der erwerbstätigen jüngeren Deutschen jedoch stark ab Bis 2060 nimmt der Anteil der Älteren deutlich zu, die Zahl der erwerbstätigen jüngeren Deutschen jedoch stark ab
Bis 2060 nimmt der Anteil der Älteren deutlich zu, die Zahl der erwerbstätigen jüngeren Deutschen jedoch stark ab
Quelle: Infografik Die Welt
Zur Mitte des Jahrhunderts droht ein globaler Mangel an Arbeitskräften. Allein Deutschland könnte 15 Millionen Erwerbsfähige verlieren. Wer wird im Ringen um Talente siegen? Sicher scheint: Wir nicht.

Worum geht es

Der jüngste Angriff erfolgte vor wenigen Tagen, an einem Morgen im April, auf Etage zwei des Pekinger „Swissôtel“. Im „Grand Ballroom“, einem Saal mit schweren Teppichen und steinernen Säulen. Dort trafen sich einige der wichtigsten Unternehmen des Landes. Computerkonzerne, Autofabrikanten, Maschinenbauer. Chinas Wirtschaftsgiganten.

Hinter den Türen des „Grand Ballroom“ verfolgten die Konzerne eine gemeinsame Mission: Sie wollten neue Mitarbeiter rekrutieren. Das Luxushaus im Herzen der chinesischen Hauptstadt schien ihnen wohl der geeignete Ort für die Jobmesse, schließlich ging es darum, ein ganz spezielles Publikum zu beeindrucken. Die Personaler suchten hochqualifizierte Ausländer. Toptalente, die sie den Rivalen aus Europa und Amerika entreißen können.

China wirbt aggressiv um die klügsten Köpfe – und wird in Zukunft immer mehr Erfolg damit haben, prophezeien Experten. „Die Volksrepublik hat das Thema neuerdings sogar in ihrem Fünfjahresplänen berücksichtigt“, sagt Kurt Vogler-Ludwig, Geschäftsführer des Analysehauses Economix.

Die USA und die EU hingegen, auch Deutschland, drohen den Kampf um die Besten der Besten zu verlieren. Nicht heute, nicht sofort. Aber in zwei, drei Jahrzehnten. Dann, so vermuten Arbeitsmarktforscher, wird ein globaler Wettbewerb um die Ressource Mensch entbrannt sein.

Die Bevölkerungspyramide ist schon lange keine Pyramide mehr, sondern eher ein Pilz
Die Bevölkerungspyramide ist schon lange keine Pyramide mehr, sondern eher ein Pilz
Quelle: Infografik Die Welt

Deutsche werden immer weniger

„China hat das schon lange erkannt und bereitet sich darauf vor“, sagt Klaus F. Zimmermann, Direktor des Instituts zur Zukunft der Arbeit (IZA) in Bonn. Die „Talent-Policy“ des Landes, die Talente-Politik, sei meisterhaft. „Europa hingegen muss erst noch aufwachen.“ Der Arbeitsmarkt der Zukunft werde die Industrienationen vor große Herausforderungen stellen. Doch eine Strategie dafür? „Negativ“, sagt Zimmermann.

Hält diese Plan- und Ideenlosigkeit an, könnten die Folgen fatal sein. Gerade hat das Statistische Bundesamt eine düstere Vorhersage gewagt. Die Behörde erwartet, dass die Zahl der Deutschen im erwerbsfähigen Alter, also zwischen 20 und 64 Jahren, deutlich sinken wird – von 49 Millionen Menschen im Jahr 2013 auf 34 Millionen im Jahr 2060.

Die Deutsche Bevölkerung schrumpft und altert

Die Zahl der in Deutschland lebenden Menschen wird in den kommenden Jahren stark sinken – mit und ohne Zuwanderer. In Goslar will der Oberbürgermeister auf Einwanderung setzen, um entgegen zu wirken.

Quelle: N24

Es wird sich eine 15-Millionen-Lücke auftun: Die Republik verliert fast ein Drittel ihrer Beamten und Angestellten, Arbeiter und Selbstständigen. „Das Problem wiegt doppelt“, sagt der Arbeitsmarktexperte Vogler-Ludwig. „Es fallen nicht nur Millionen Arbeitskräfte weg, sondern gleichzeitig genauso viele Nachfrager. Das Wachstum des Bruttoinlandsproduktes wird also gleich zwei Mal gehemmt.“

Schuld ist eine unglückliche Konstellation. Das Aufeinandertreffen zweier Entwicklungen, die für sich genommen schon dramatisch sind. Zum einen wird die Geburtenziffer wohl auf ihrem niedrigen Niveau verharren, derzeit liegt sie bei 1,4 Kindern je Frau. Die Bevölkerung schrumpft weiter – und mit ihr die Zahl der Erwerbspersonen.

Deutschland braucht mehr Einwanderung

Deutschland muss für Einwanderer attraktiv werden

Deutschland gehen die Arbeitskräfte aus. Eine halbe Million könnte fehlen, wenn die Babyboomer in Rente gehen. Experten fordern deshalb: Die Bundesrepublik muss für Einwanderer attraktiver werden.

Quelle: Die Welt

Zum anderen sinkt die Einwanderung. Derzeit gewinnt Deutschland Jahr für Jahr etwa 300.000 Ausländer hinzu, 2050 könnten es nur noch 50.000 sein, schätzen die Berater von Economix. Die Marke 300.000 sollte „durch eine aktive Anwerbepolitik“ gehalten werden, sagt Vogler-Ludwig. Das jedoch scheint utopisch – vor allem, weil sich der demografische Wandel auch in anderen Teilen der Welt vollzieht, in Asien zum Beispiel. Die Folge: Ab 2030 könnte eine Verknappung des weltweiten Arbeitskräftepotenzials drohen.

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Zu wenige Geburten, zu wenige Einwanderer. Das ist die Mixtur, die dem Standort Deutschland gefährlich werden könnte. In China wiederum könnte sich die Einkindpolitik rächen, sagt IZA-Direktor Zimmermann, der auch Honorarprofessor an einer Pekinger Universität ist. Womöglich fehlen auch dem Riesenreich, längst nicht mehr nur die Werkbank der Welt, sondern auch in Spitzentechnologien ein ernst zu nehmender Rivale, schon bald die Fachkräfte.

Jobmessen wie die im Pekinger „Swissôtel“, im „Grand Ballroom“, sollen dem Land helfen. Zudem gehen die Konzerne an die heimischen Universitäten und umgarnen Austauschstudenten aus Europa und Amerika, aber auch aus Afrika und den eigenen Nachbarstaaten. „Ganz gezielt bemüht sich China inzwischen um Talente aus Entwicklungsländern“, sagt Zimmermann – Europa hingegen begegne ihnen mit Skepsis. „China mag geschlossen anmuten, doch in der Wissenschaft herrscht eine große Offenheit.“

Um die deutsche Wirtschaft auf Erfolgskurs zu halten, bleiben viel zu wenig Ausländer im Land
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Quelle: Infografik Die Welt

Hier müsse Europa, hier müsse Deutschland ansetzen, sagt Zimmermann: bei der Willkommenskultur. „Wir sollten gut ausgebildete Zuwanderer aktiver umwerben.“ Zudem müsse Deutschland seine Geringqualifizierten besser weiterbilden – um die Lücke zu füllen, die entsteht, wenn Fachkräfte nach Fernost abwandern.

Rosige Zukunft für das Humankapital

Es wird allerdings nicht nur weniger Arbeitskräfte geben – sondern auch weniger Jobs. Die meisten Stellen werden der Economix-Studie zufolge bei den industriellen und handwerklichen Fertigungsberufen sterben. Fast 800.000 seien es bis 2030. In den Verwaltungs- und Büroberufen fielen in den kommenden 15 Jahren 680.000 Stellen weg.

Dennoch: Das „Ende der Arbeit“, wie es vor 20 Jahren Jeremy Rifkin ausrief, wird es nicht geben, zumindest nicht in der absehbaren Zukunft. Der amerikanische Soziologe und Ökonom hatte prophezeit, dass Automatisierung und Digitalisierung zu einem starken Anstieg der globalen Arbeitslosigkeit führen.

„Rifkin lag falsch“, sagt Arbeitsmarktforscher Ludwig-Vogler. „Wir stehen nicht vor dem Ende der Arbeit, sondern vor einer nachhaltigen Aufwertung des Humankapitals, das zum entscheidenden Faktor zukünftigen Wachstums wird.“ Der Kampf um diesen Faktor hat begonnen.

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