Vorstandschef Karl Max Einhäupl ist überzeugt, dass die Probleme auf Bundesebene gelöst werden müssen

An der Charité stimmt das Pflegepersonal über einen unbefristeten Streik ab. Die Gewerkschaft Verdi will feste Personalquoten für die Stationen durchsetzen. Charité-Chef Karl Max Einhäupl hat in einem offenen Brief die Verdi-Spitze aufgefordert, auf den Arbeitskampf zu verzichten. Er erklärt sein Dilemma.

Berliner Morgenpost:

Herr Einhäupl, haben Sie zu wenig Pflegepersonal auf den Stationen?

Karl Max Einhäupl:

Die Belastungen in der Pflege in Deutschland sind in einigen Bereichen sicher an der Grenze der Belastbarkeit angekommen – die Charité ist da keine Ausnahme.

Verdi sagt, nachts sei manchmal nur eine Person auf einer Station?

Natürlich hätten wir lieber mindestens zwei Kräfte auf jeder Station. Der Bedarf ist allerdings sehr unterschiedlich und in einer Hautklinik ein völlig anderer als in einer Kinderklinik. Wir haben uns daher entschlossen, für zwei Stationen eine zusätzliche Kraft einzusetzen, die wie ein Springer funktioniert. Dieses Angebot wurde von Verdi ausgeschlagen.

Krankenschwestern und Pfleger sind eigentlich wenig rebellisch. Die Lage muss also sehr ernst sein, wenn die streiken.

Das Ergebnis der Urabstimmung liegt ja noch nicht vor. Dass die Pflegenden mehr Personal fordern, kann ich nachvollziehen. Man muss sich nur überlegen, was ein solcher Streik bewirken kann und welche Folgen er hat.

Also geben Sie den Beschäftigten Recht, wenn sie für bessere Arbeitsbedingungen kämpfen?

Grundsätzlich brauchen wir in Deutschland mehr Pflegekräfte und eine Entlastung der Pflege durch unterstützende Servicekräfte. In den Krankenhäusern ist eine intensivere Pflege nötig als früher. Inzwischen liegen meist schwer kranke Patienten auf den Stationen, früher waren auch Menschen mit leichteren Erkrankungen darunter. Wir bestreiten nicht, dass viele Pflegende Großes leisten, aber oft am Limit arbeiten.

Warum geht die Charité nicht voran und erfüllt die Forderungen?

Wir sind vorangegangen und haben ohne jede gesetzliche Regelung die Erprobung von Quoten in den Nachtdiensten und Intensivstationen angeboten – das würde sofort 60 zusätzliche Kräfte bedeuten. In den vergangenen Monaten haben wir bereits 80 zusätzliche Pflegekräfte eingestellt. Starre Quoten für alle Bereiche sind in der Finanzierung der Krankenhäuser aber schlichtweg nicht vorgesehen. Wir können kein Geld ausgeben, das wir von den Krankenkassen nicht erhalten. Die Forderung nach flächendeckenden Quoten ist eine politische Forderung, für deren Umsetzung man politische Regelungen und eine einheitliche Finanzierung braucht – und entsprechend qualifizierte Pflegekräfte.

Das heißt, selbst wenn es eine Quote gäbe, fände man keine Leute?

Die Forderung würde allein für die Charité die Einstellung von etwa 600 zusätzlichen Pflegekräften bedeuten. Deutschlandweit würden etwa 70.000 zusätzliche Pflegekräfte benötigt. Wir sind ja nicht gegen mehr Pflegepersonal, wir sind nur gegen die starre Quote ohne Finanzierung. Und wir brauchen eine nationale Ausbildungsoffensive. Nur in der Neonatologie gibt es bisher einen bundesweit festgeschriebenen Personalschlüssel, der auch finanziert wird.

Warum macht man das nicht in anderen Bereichen auch so?

Weil auf den Nichtintensivstationen eine Quote nicht nützlich wäre. Das ist eine starre Regelung. Es ist Aufgabe des Krankenhausmanagements zu sagen, wo die Belastung höher ist und mehr Personal benötigt wird und wo es weniger Belastung und weniger Personal gibt. Wir haben auch Verantwortung gegenüber den Patienten, das Geld effizient für eine bestmögliche Versorgung einzusetzen und nicht mit starren Quoten die Kassenbeiträge in die Höhe zu treiben.

Aber richtig Spielraum für mehr Personal haben Sie nicht als Charité?

Wir haben das Geld nicht. Das Problem muss auf Bundes- und Landesebene gelöst werden. Es muss mehr Geld in die Krankenhäuser fließen. Die Landesbasisfallwerte, also die Grundlage für die Bezahlung jedes einzelnen Patienten bei uns, haben sich in Berlin in den vergangenen Jahren nur zwischen 0,2 und 1,2 Prozent erhöht. Die Kosten im Krankenhaus haben sich vor allem wegen Personal und Energie um 2,5 bis drei Prozent pro Jahr erhöht. Diese Diskrepanz führt dazu, dass immer mehr Krankenhäuser rote Zahlen schreiben.

Letztlich müssen also die Krankenkassen mehr bezahlen?

Leistung muss bezahlt werden. Wenn wir als Gesellschaft mehr Pflege wollen, muss deren Finanzierung geregelt sein. Die Frage ist nur, ob das Geld aus der Erhöhung der Beitragssätze kommt oder aus Steuern. Ich bin überzeugt, dass wir dem Beitragszahler nicht viel mehr zumuten können.

Das heißt, Sie gehen zu den Verhandlungen von Verdi mit Bundesgesundheitsminister Gröhe und Gesundheitssenator Czaja?

Ich möchte das Problem nicht an diese Herren weiterschieben. Es bedarf einer bundesweiten Lösung. Die Bundesseite ist ja dabei, etwas auf den Weg zu bringen und mehr Pflege zu ermöglichen. Ob das ausreicht, kann ich nicht beurteilen. Es bewegt sich was, aber nicht so schnell. Das heißt, ein Streik würde keine Lösung bringen, weil wir das nicht lösen können. Das Land Berlin wird uns nicht erlauben, in die roten Zahlen zu gehen. Die Kassen werden nicht kurzfristig mehr zahlen. Der Bund muss seine Gesetze auf den Weg bringen und Verdi mit Augenmaß und Sinn für Machbares an den Verhandlungstisch zurückkehren.

Was wird jetzt passieren?

Verdi hat sich die Charité als Streikziel ausgesucht, weil wir einen Haustarifvertrag haben. Und weil wir als eines der größten und angesehensten Krankenhäuser der Republik als Hebel gut geeignet sind, um eine Diskussion anzustoßen. Die Diskussion halte ich für richtig. Aber der Streik wird der Charité und den Berliner Patienten schaden.

Was kostet die Charité denn jeder Streiktag?

Ungefähr eine halbe Million Euro. Aber es geht ja um die Patienten. Die warten lange auf eine Operation – und die findet dann nicht statt. Und weil der Streik ja unbegrenzt sein soll, gibt es auch keine Perspektive für einen neuen Termin. Die Intensivstationen der Stadt sind hoch ausgelastet. Wenn die Charité blockiert wird, ist das nicht zu kompensieren. Ich halte es für unfair, einen Konflikt um ein nicht in Berlin lösbares Problem auf dem Rücken der Patienten und der Charité als Berliner Einrichtung auszutragen.