Stationäre Palliativversorgung

Rausholen, was rauszuholen ist?

"Schwarze Zahlen" in der stationären Palliativversorgung - wichtiges Ziel für Kliniken und kontrovers diskutiertes Thema zugleich.

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BREMEN. Krankenhäuser sollen in Zukunft die Chance haben, für ihre Palliativstationen klinikindividuelle Entgelte mit den Kostenträgern zu vereinbaren. So sieht es das neue Palliativ- und Hospizgesetz vor.

Noch gibt es im Versorgungsalltag viele Widersprüche. Was tun, um in der stationären palliativmedizinischen Versorgung bei den Entgelten in die "Nähe schwarzer Zahlen zu kommen?", fragte Privatdozentin Dr. Stephanie Stiel von der Universität Erlangen beim Bremer Palliativkongress.

"Unser Problem ist, dass das DRG-System nur die erbrachten Leistungen honoriert", sagte sie. "Aber in der Palliativmedizin geht es um Zeit und Präsenz von Menschen und nicht unbedingt um technische Leistungen. Sie werden im Gegenteil sogar möglichst vermieden!" Damit war das Problem formuliert.

Die Frage, wie man sich in der Palliativmedizin trotzdem "über Wasser halten" kann, beantwortet Stiel mit der konsequenten Anwendung des DRG-Systems. "Wir sollten jede unserer Leistungen bestmöglich dokumentieren."

Je sorgfältiger und vollständiger dokumentiert werde, um so eher werde auch das Institut für das Entgeltsystem im Krankenhaus (InEK) die palliativmedizinischen Leistungen langfristig in seine Kalkulationen mit aufnehmen.

400 Euro pro Patient und Tag

Seit rund zwei Jahren rechnet die Palliativmedizin der Uniklinik Erlangen nicht mehr als so genannte "besondere Einrichtung" ab. Als solche erhielt sie rund 400 Euro pro Patient und Tag, so Stiel.

Inzwischen werden DRGs codiert. Sie machen laut Stiel rund 80 Prozent der Erlöse auf der Palliativstation aus. Die restlichen 20 Prozent erwirtschaftet die Station über Zusatzentgelte.

"Vor allem bei den DRGs braucht man Fachleute, die korrekt und vor allem vollständig codieren", betonte Stiel. Aber auch die Zusatzentgelte können durch vollständige und gezielte Dokumentation zuverlässiger ausgelöst werden.

Um an die Zusatzentgelte zu kommen, müssen mehrere Berufsgruppen an den Untersuchungen beteiligt sein und mindestens fünf Teilbereiche standardisiert untersucht werden, so Stiel.

Zum Beispiel Lebensqualität, Schmerzen, Alltagsfähigkeit. Und: Vollständigkeit zählt. "So bekommt man Kachexie nur abgerechnet, wenn Größe und Gewicht des Patienten auch festgehalten wurden. Im Zweifel muss man schätzen."

Um die soziale Situation des Patienten darzustellen, "lohnt sich ein Genogramm", so Stiel, also die grafische Darstellung von Generationen, Verwandten- und Geschwisterfolgen. "Das geht beim Medizinischen Dienst durch, weil dadurch die Gesamtsituation des Patienten dargestellt wird."

Liegedauern werden besonders honoriert

Auch die Liegedauern ab dem 7. Tag, dem 14. und dem 21. Tag werden besonders honoriert. Tatsächlich zeigen Stiels Auswertungen der Entlassungstage von Palliativstationen über vier Jahre hinweg, dass vor allem am 8., 15. und 22. Tag entlassen wurde, offenbar um möglichst immer das nächtsgrößere Entgelt zu erhalten.

"Die drei Peaks sind ein Hinweis darauf, dass man das System verstanden hat", so Stiel.

Stiels Vorschlag, sich auf die DRGs einzulassen und rauszuholen, was rauszuholen ist, traf auch auf Widerspruch. So hieß es aus dem Publikum, man sollte lieber weniger dokumentieren, um dem MDK "weniger Angriffsflächen zu geben".

"Auch wir lieben die Dokumentation nicht", sagte Stiel zur "Ärzte Zeitung". "30 Prozent unserer Akten werden geprüft - vor allem auf den 8. Tag der Liegedauer hin. Aber wir dokumentieren so lange und so vollständig, bis der MDK uns keine Patienten mehr rausprüfen kann." (cben)

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