Klinik schließt Spezialstation: Allein mit den Schmerzen

Das Marienkrankenhaus schließt seine Angebote für Patienten mit chronischen Schmerzen. Kritiker sehen darin ein Bauernopfer für höhere Gewinne.

Will sich Schmerztherapie nicht mehr leisten: das Marienkrankenhaus Foto: dpa

HAMBURG taz | Das Marienkrankenhaus plant seine Angebote für chronische Schmerzpatienten zu schließen. Das betrifft die Tagesklinik, die stationären Betten und die Ambulanz. Als einzige Klinik in Hamburg bietet das Marienkrankenhaus ein solch umfassendes Angebot und richtet sich zudem als eine der wenigen Einrichtungen an alle Schmerzpatienten, nicht nur an eine einzelne Gruppe wie etwa Rückenpatienten.

Hausinterne Proteste haben bislang keinen Erfolg gezeigt. Die Schmerzabteilung schreibe zumindest eine schwarze Null, heißt es aus informierten Kreisen. Dennoch hat sich die Leitung dazu entschieden, die stationären Betten in geriatrische umzuwandeln und die Mitarbeiter anders einzusetzen. Wirtschaftlich betrachtet sei die Schmerzabteilung ein kleiner Bereich des Hauses, heißt es von Kritikern – um so weniger verständlich sei die rein kaufmännisch motivierte Entscheidung, ihn zu schließen.

Eberhard Thombansen, Geschäftsführer des Marienkrankenhauses, begründet das Aus eher allgemein damit, dass es nicht gelungen sei, „ein Konzept für die dauerhafte Profilierung der chronischen Schmerztherapie und die Stabilisierung der Einrichtung zu entwickeln“. Es gehe darum, sich auf die „Kernkompetenz im Bereich der hoch spezialisierten Versorgung von akut erkrankten Menschen zu fokussieren“.

„Fatal“, nennt Maja Falckenberg von der Schmerzambulanz Alteneichen den Schritt. Ein so „hervorragendes“ Team wie am Marienkrankenhaus, das über viele Jahre Erfahrung verfüge, sei kaum zu ersetzen. Insbesondere Schwerstkranke, die damit verbunden auch mit psychischen Problemen zu kämpfen hätten, habe sie sehr gerne dorthin überwiesen. Hamburgweit beziffert sie die Zahl der Patienten mit chronischen Schmerzen auf rund 12.000 – schmerzmedizinisch versorgt werde knapp die Hälfte von ihnen.

Die Zahl chronischer Schmerzpatienten wächst stetig. Nach Schätzungen liegt die Neuerkrankungsrate bei 17 Prozent. Die Patienten leiden im Durchschnitt bereits sieben Jahre unter Schmerzen, bis sie einen ausgebildeten Schmerzmediziner aufsuchen.

Durch die hohe Belastung leiden die Patienten häufig zusätzlich an psychischen Beschwerden.

Die Schmerzmedizin hat lange vor allem auf schmerzunterdrückende Methoden wie Medikamente und Spritzen gesetzt, inzwischen hat sich eine Therapie herausgebildet, die gleichermaßen auf verhaltenstherapeutische Ansätze setzt.

Die Versorgung in Hamburg ist längst nicht ausreichend, viele Patienten warten monatelang auf eine Behandlung durch einen ausgebildeten Schmerzmediziner.

Seitens der Gesundheitsbehörde gibt es keine verbindlichen Bestimmungen, wie viele Plätze die Krankenhäuser für Patienten mit chronischen Schmerzen anbieten müssen. Die Pressestelle teilt lediglich mit, dass sich das Angebot für Schmerzkranke in den letzten 20 Jahren „erheblich verbessert“ habe.

Bundesweit Pionierarbeit geleistet

Mit seiner seit den 1970er-Jahren aufgebauten Schmerzabteilung hat das Marienkrankenhaus Experten zufolge bundesweit Pionierarbeit geleistet – allerdings mehr auf Initiative der Ärzte denn der Leitung. In der Tagesklinik durchlaufen Gruppen von sechs Patienten über vier Wochen ein Therapieprogramm, in dem ein interdisziplinäres Team versucht, nicht nur der Ursache der Schmerzen auf den Grund zu kommen, sondern vor allem den Patienten einen Umgang damit zu ermöglichen.

Das kostet Zeit: Für das Aufnahmegespräch nehmen sich die Ärzte eineinhalb Stunden Zeit, die Verweildauer auf der Station liegt bei 12 bis 14 Tagen. Ursprünglich waren es 16 bis 17 Tage, die auf Druck eines langsam aber stetig gekappten Vergütungssatzes gekürzt wurden. Nachdem die Schmerzmedizin eine Zeitlang vor allem auf schmerzunterdrückende Behandlungen mit Medikamenten und Spritzen gesetzt hat, versucht man nun eine komplexe Behandlungsstrategie, die neben Medikamente auch auf Verhaltens-, Ergo- und Physiotherapie setzt.

Dabei arbeitet man mit Patienten, die oft Jahre, wenn nicht Jahrzehnte lang erfolglos Arztpraxen abgeklappert haben und deren Alltag von starken Schmerzen geprägt ist; viele von ihnen leiden unter Depressionen. Es ist keine einfache Klientel – und zugleich eine, die besonders stark auf Hilfe angewiesen ist. So sind die Plätze im Marienkrankenhaus begehrt: Die Wartezeit für einen Platz in der Tagesklinik liegt bei zwei bis vier Monaten. Auch auf einen Termin in einer Hamburger Schmerzambulanz, wie sie niedergelassene Ärzte anbieten, warten Patienten drei bis sechs Monate.

Von daher hielten Experten es für dringend geboten, das Angebot im Marienkrankenhaus noch auszuweiten. Zumal Konsens ist, dass es eigentlich darum gehen müsse, Schmerzpatienten früher in ihrer Krankengeschichte zu behandeln, um zu verhindern, dass die Schmerzen chronisch werden.

Nun ist das Gegenteil der Fall. Laut der Geschäftsführung laufen zum 1. Oktober sowohl die stationären Betten als auch die Angebote von Tagesklinik und Ambulanz aus. Das sei mit dem ärztlichen Versorgungsauftrag nicht vereinbar, sagen Kritiker. Sie führen nicht einmal ins Feld, dass das Haus in der Trägerschaft des katholischen Bistums liegt. Daraus nämlich ließe sich eine zusätzliche Verpflichtung ableiten, weniger gewinn- als patientenorientiert zu arbeiten.

Hört man sich bei den Gesundheitsexperten der Gewerkschaft Ver.di nach der wirtschaftlichen Situation der Hamburger Kliniken um,klingt die Antwort eindeutig: „Sie jammern alle“, sagt Gewerkschaftssekretär Michael Stock – aber ohne Grund. Bei einer Veranstaltung im Februar des Jahres habe man Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks (SPD) gefragt, welche Klinik in Hamburg denn rote Zahlen schreibe, so Stock. Sie habe keine nennen können.

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