Klinikum Mannheim : Wenn ein Hygieneskandal nicht enden will
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Von Vorwürfen belastet: Sterilisationsabteilung des Klinikums Mannheim Bild: dpa
Berichte über tote Fliegen am OP-Besteck erregten bundesweit Aufsehen. Die Uniklinik Mannheim hat viel investiert, um Hygiene-Mängel abzustellen. Warum das Vertrauen trotzdem nicht wiederkommen will.
Seit Februar läuft die Klinik eigentlich wieder im Normalbetrieb. „Eigentlich“, sagt Jörg Blattmann. Denn was heißt schon normal, nach einem Hygieneskandal, der bundesweit Schlagzeilen machte. Nach Beanstandungen des Regierungspräsidiums, nach einer Razzia der Staatsanwaltschaft, nach Berichten über verschmutzte OP-Instrumente, angeblich mit Fusseln und toten Fliegen. Auch ein Dreivierteljahr später, in dem Klinik und Sterilisationsabteilung mit viel Geld erneuert wurden, macht dem Mannheimer Universitätsklinikum sein angeschlagener Ruf zu schaffen. Fakten würden bewusst verdreht und skandalisiert. Die Klinikleitung fühlt sich in den Mühlen der Lokalpolitik zermahlen, schließlich kämpft Aufsichtsratschef Peter Kurz (SPD) gerade für seine Wiederwahl zum Oberbürgermeister. Jede kleine Beanstandung in der Klinik werde zum Skandal gemacht, sagt der neu geholte Geschäftsführer Blattmann. „Was die Prüfer heute feststellen, ist normaler Alltag.“
Aber vom Alltag ist das Klinikum noch weit entfernt. Das zeigen schon die Zahlen: 2014 und 2015 wird das stadteigene Universitätsklinikum nach Blattmanns Worten Verluste schreiben. 2014 seien es 10 Millionen Euro in der Klinik selbst. In der gesamten Gruppe, zu der weitere kleinere Krankenhäuser und Altenheime gehören, noch mehr. Dabei habe das Unternehmen bislang profitabel gearbeitet – keine Selbstverständlichkeit in einer Zeit, in der die Hälfte der Krankenhäuser in Deutschland kein Geld verdient.
Die Klinik-Leitung sieht sich einer Kampagne ausgesetzt, befeuert von der Wahl zum Mannheimer Oberbürgermeister – Amtsinhaber Peter Kurz (SPD) ist schließlich auch Aufsichtsratschef. Wenn es um die Gesundheit geht, im Extremfall um Leben oder Tod, sind die Antennen der Öffentlichkeit besonders sensibel. Die Klinik aber werde für politisch motivierte Berichte missbraucht. Am Freitag sprachen die beiden Geschäftsführer in einer eigenen Mitarbeiterinformation abermals von bewussten Falschmeldungen.
Lang anhaltender Vertrauensverlust drohte
Rückblende: Im vergangenen Oktober bemängelte die Aufsicht, das Regierungspräsidium Karlsruhe, dass OP-Bestecke am Klinikum offenbar unsachgemäß sterilisiert wurden. Den veralteten Sterilisationsmaschinen fehlte sozusagen das TÜV-Siegel, das Personal war unzureichend geschult. Seit einer anonymen Anzeige ermittelt überdies die Staatsanwaltschaft Mannheim wegen des Verdachts auf Verstoß gegen das Medizinproduktgesetz gegen sechs Mitarbeiter. Bilder der Razzia erregten damals bundesweit Aufsehen, die Klinik musste vorübergehend den OP-Betrieb drosseln. Der Geschäftsführer, Alfred Dänzer, als Präsident der Deutschen Krankenhausgesellschaft einer der profiliertesten Krankenhausfunktionäre, trat zurück.
Der Klinik, in der 66.000 Menschen im Jahr stationär und mehr als 200.000 ambulant betreut werden und in der mehr als 2000 Kinder auf die Welt kommen, drohte ein lang anhaltender Vertrauensverlust. Im Dezember installierte der Aufsichtsrat dann eine Doppelspitze: Vom Berliner Klinikbetreiber Johanniter kam der Betriebswirt Blattmann. Mit dem renommierten Strahlentherapeuten Frederik Wenz bekam die Klinik den lange vom Wissenschaftsrat geforderten hauptamtlichen ärztlichen Direktor, eine Position, die in anderen Universitätsklinken üblich ist. Das Duo soll das Klinikum in die richtige Bahn zurückführen. Und, so beteuern Blattmann und Wenz im Gespräch mit der F.A.Z., es habe sich seither eine Menge getan.
Mehr als drei Viertel des Operationsbestecks habe man ausgetauscht, bisher 14 Millionen Euro in eine neue zentrale Sterilgutversorgung investiert. Die Sterilisation hat ein externer Dienstleister übernommen, Geräte wurden ausgetauscht. Statt der von der Aufsicht bemängelten dezentralen Sterilisation werden die OP-Utensilien in neuen Räumen nun zentral vor Ort gewaschen und sterilisiert. Man habe die Ablaufprozesse verbessert, zusätzliche Mitarbeiter eingestellt und die Kontrollen verstärkt, sagen Blattmann und Wenz. Im Kern geht es um die Sauberkeit sogenannter OP-Siebe: Das sind etwa DIN-A3-große Kästen voll mit Zangen, Klammern und Scheren. 200 solcher Siebe müssen in Mannheim täglich gewaschen, kontrolliert und sterilisiert werden. Skalpelle seien allerdings nicht darunter, sagt Wenz. Hier benutze das Klinikum schon seit mehr als zehn Jahren Einwegskalpelle. „Und trotzdem gibt es immer wieder falsche Berichte über verschmutzte Skalpelle. Das kann aber gar nicht sein.“
Jede Woche unangemeldeter Besuch
Dass trotz der Neuerungen von Normalbetrieb keine Rede sein kann, zeigen auch die Kontrollen. In der Regel einmal die Woche kommen Mitarbeiter vom Regierungspräsidium nach Wenz’ Worten zu unangemeldeten Besuchen vorbei. Davor seien sie üblicherweise einmal im Jahr gekommen. Doch die hohe Kontrolldichte sorgt nicht nur für Vertrauen. Der Versuch der neuen Klinikleitung, Transparenz herzustellen – etwa indem jede Beanstandung durch Prüfer öffentlich gemacht wird – berge auch Risiken. „Jeder kleine Fehler wird nun skandalisiert“, sagt Blattmann. Dabei liege bis heute, ungeachtet der gemeldeten Horrorzahlen von bis zu 350.000 geschädigten Patienten, die Zahl der haftungsrechtlichen Klagen wegen Wundinfektionen stabil bei vier bis sechs im Jahr, das sei bei durchschnittlich 20.000 Operationen normal.
So habe es bislang auch keine Schadensersatzforderungen gegeben, obwohl Anwälte aktiv auf die Suche nach mutmaßlich Geschädigten gegangen seien. Auch die Gesamtzahl der Wundinfekte nach Operationen liege im national und international üblichen Bereich, sagte Wenz. „Einzelne statistische Ausreißer bei seltenen Spezialeingriffen ändern daran nichts.“ Wie hoch der Anteil postoperativer Wundinfekte ist, hängt nach Angaben der Klinik von der Art des Eingriffs ab und liege zwischen „nahe null und deutlich über 20 Prozent“.
Dass die Missachtung von Hygienevorschriften intern nicht aufgefallen sei, hat nach Wenz’ Worten genau damit zu tun. „Es gab keine erhöhten Infektionszahlen, die Zahlen waren unauffällig.“ Die Missstände seien nicht – wie manchmal spekuliert – entstanden, weil gespart werden musste. Die Stadt als Eigentümerin habe nie Geld bekommen. Der Gewinn sei ausschließlich für die Klinik verwendet worden.
Wichtiger Arbeitgeber und Wirtschaftsfaktor
Das Mannheimer Universitätsklinikum ist ein Exot in der feinen Gilde der Universitätskliniken. Als eines der wenigen Häuser ist es nicht in Landesträgerschaft, sondern gehört der Stadt. Dass das Klinikum seit einiger Zeit sogar eine vollständige medizinische Fakultät besitzt, allerdings angegliedert an die Universität Heidelberg, hat Kritik laut werden lassen, schließlich wurde der Topf der Landesmittel dadurch nicht größer. „Klar, das ist nicht bejubelt worden“, sagt Blattmann. Zu den bekanntesten Kritikern der Konstruktion gehört die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer (Grüne). Immerhin 56 Millionen Euro hat das Land im Vorjahr in die medizinische Fakultät investiert.
Für die Stadt ist die Klinik-Gruppe mit 6500 Beschäftigen und 1400 Medizinstudenten wichtiger Arbeitgeber und Wirtschaftsfaktor zugleich. Die Verunsicherung unter den Beschäftigten sei zwar nach wie vor hoch, sagt Blattmann. Die Zahl der Einweisungen sei aber glücklicherweise nicht zurückgegangen. Das Vertrauen der Ärzte hat offenbar weniger gelitten als der Ruf in der Öffentlichkeit. 1000 Ärzte hat die Klinikleitung kürzlich eingeladen, um sich einen persönlichen Eindruck von der neuen Sterilisationsabteilung zu machen, sagt Blattmann. Gekommen sind nur fünf.