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Griechisches Gesundheitssystem
Bis zum Kollaps ist es nicht mehr weit

Im griechischen Gesundheitssystem ist in den vergangenen Jahren so sehr gespart worden, dass es praktisch an allem fehlt. Es gibt zu wenig Personal in den Krankenhäusern, für Behandlungsgeräte ist kein Geld da. Nur Patienten gibt es genug. Besonders schwierig ist die Lage für die Menschen, die auf dem Land oder auf abgelegenen Inseln leben.

Von Anna Koktsidou | 17.07.2015
    Ärzte und medizinisches Personal während einer Demonstration in Athen.
    Ärzte und medizinisches Personal während einer Demonstration in Athen. (dpa picture alliance/ Alexandros Vlachos)
    Die Gynäkologie im Krebskrankenhaus Agios Savvas in Athen. Die Zimmer karg eingerichtet, die Wände blau gestrichen, aber das ist schon lange her, die Betten alt, die Fensterscheiben trübe. Viele Patientinnen kommen aus der Provinz, so wie Katerina Peleki, die normalerweise auf der Ägäisinsel Syros wohnt: "Auf Syros gibt es keinen Onkologen; die Chemotherapie muss aber ein Facharzt machen. Das letzte Mal war ich zehn Tage lang hier. Das ist anstrengend und teuer. Ich habe zum Glück meine Schwester in Athen; dort kann mein Mann wohnen. Aber diese Möglichkeit haben nicht alle."
    Das ist eine der Schwierigkeiten, mit denen wir zu kämpfen haben, meint Christina Goudeli. Die Dreißigjährige macht ihre Facharztausbildung in der Gynäkologie. Durch die Krise ist die Zahl der Patienten im Krankenhaus insgesamt gestiegen - ein Grund: die mangelnde Versorgung beispielsweise auf den Inseln: "Auf Naxos, wo ich für meine Ausbildung war, hatten wir keinen Anästhesiologen; es konnte passieren, dass wir Schlaganfallpatienten deswegen nach Syros bringen mussten, weil das Krankenhaus dort größer und die Versorgung besser ist." Das kann mitunter zu lebensbedrohlichen Situationen führen.
    Ob auf den Inseln oder in Athen - in allen Krankenhäusern des Landes wurde in den letzten Jahren Personal eingespart. In der Gynäkologie von Agios Savvas arbeiten nur noch der Leiter, eine Ärztin mit befristetem Vertrag, und sechs angehende Fachärzte. Ein weiteres Problem: Für Behandlungsgeräte ist oft kein Geld da. Das macht die Versorgung von Patienten enorm schwierig, so Christinas Kollege Jannis Papa-Panajotou: "Wir haben Patientinnen, die nach einer Krebsoperation eine Chemotherapie brauchen. Doch die Wartelisten dafür sind sehr lang. Die Patientinnen sind gezwungen, selbst ein Krankenhaus zu suchen, das sie aufnimmt. Dabei gibt es für solche Therapien einen Zeitplan, der eingehalten werden muss. Manche Patientinnen sind gezwungen, ein privates Krankenhaus aufzusuchen, aber das ist teuer."
    Und wer kann sich das auch leisten. Zudem stellen die jungen Ärzte fest, dass die Menschen oft viel zu lange warten, bis sie zum Arzt gehen. Zwar sind die Ambulanzen der Krankenhäuser kostenlos und deswegen auch immer voll. Doch für Folge-Behandlungen braucht man eine Krankenversicherung.
    Weggeschickt würde niemand und erst recht nicht in einem Onkologiezentrum, sagt Christina. Man finde immer eine Lösung. Nur eines akzeptiere sie nicht – das Fakellaki, also die heimlichen Geldscheine in einem Briefumschlag: "Das gibt es nach wie vor, nicht so ausgeprägt wie früher, aber es ist da. Manche Ärzte haben sogar in der Krise die Not der Menschen ausgenutzt. Aus Gier - oder auch, weil sie sich schlecht bezahlt fühlen. Aber auch Patienten tun das: entweder weil sie sich beim Arzt bedanken wollen oder weil sie eine bevorzugte Behandlung erwarten."
    Christinas Traum war schon immer, Ärztin zu werden. Sie geht darin auf. Ans Weggehen hat sie nie gedacht. Sie will bleiben. Sie verdient 1.000 Euro im Monat netto plus 400 als Schichtzulage - diese aber oft mit Verzögerung. Es ist richtig, den Gesundheitsbereich zu reformieren, meint sie, man sollte aber nicht beim Personal, sondern bei den Strukturen ansetzen: "Die Bereitschaft zu arbeiten ist da, die Fähigkeit auch, die Patienten fehlen uns auch nicht. Aber man kann darüber nachdenken, Krankenhäuser zu spezialisieren, mit entsprechendem Personal. Und vor allem: Man muss an die Menschen außerhalb der Städte denken."