Undurchsichtige Praktiken am See-Spital

Ein Chirurg soll Behandlungen falsch abgerechnet haben und von der Spitalleitung gedeckt werden: Es sind schwere Vorwürfe, die gegen das Horgener See-Spital erhoben werden.

Jan Hudec
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Hinter den Mauern des See-Spitals Horgen macht sich derzeit Nervosität breit. (Bild: Simon Tanner / NZZ)

Hinter den Mauern des See-Spitals Horgen macht sich derzeit Nervosität breit. (Bild: Simon Tanner / NZZ)

Die Leitung des Horgener See-Spitals steht unter Druck. Es sind happige Vorwürfe, welche die «Weltwoche» in den vergangenen Monaten gegen sie erhoben hat. Ein Arzt des Spitals soll Patienten und Versicherungen betrogen haben und damit viel Geld in die eigene Tasche und in die Kasse des Spitals geschaufelt haben. Das Wochenmagazin stützt sich dabei unter anderem auf Aussagen von mehreren ehemaligen Patienten sowie auf einen ehemaligen Arzt des See-Spitals. Pikant: Die Spitalleitung soll den Arzt nicht nur unzureichend kontrolliert, sondern ihn gar bei seinen Machenschaften gedeckt haben. Bis heute bestreitet die Spitalleitung die Vorwürfe praktisch vollumfänglich. Aussage steht gegen Aussage.

Fehlende Dokumente

Es gibt also zwei Versionen dieser Geschichte. Hier zunächst jene aus Patientensicht:

Eine der Spezialitäten des Neurochirurgen D. ist die Ozontherapie. Mittels Injektionen will er Patienten mit chronischen Rückenschmerzen eine Alternative zur Operation anbieten. Die Wirksamkeit der Behandlung ist aber umstritten. Die Grundversicherung jedenfalls übernimmt die Leistung nicht, weil sie wissenschaftlich zu wenig abgestützt sei. D. preist die Therapie seinen Patienten trotzdem als letzten Ausweg an. Vergütet bekommt er sie nicht. Um das zu ändern, soll er Rechnungen an die Krankenkassen gefälscht haben. Dies wirft ihm der Patient Beat Grieder* vor, der nach einem Bandscheibenvorfall wegen seiner unerträglichen Rückenschmerzen beim Arzt D. landete. 29 Mal habe ihm der Neurochirurg Ozon injiziert, geholfen habe es nichts. Im Gegenteil, die Schmerzen seien sogar noch schlimmer geworden. Rund 10 000 Franken hat die Therapie gekostet.

Auf den Abrechnungen von Grieder steht nichts von einer Ozonbehandlung. Stattdessen soll ihm ein Narkotikum in die Nervenwurzel injiziert worden sein. «Diese Therapie habe ich so nicht erhalten», sagt Grieder. Für den heiklen Eingriff brauche es einen Bildverstärker, damit der Arzt sehe, wo er mit der Nadel hineinsteche, und nicht versehentlich den Ischiasnerv verletze. Ein solches Gerät sei aber nie zum Einsatz gekommen. Alles sei immer sehr schnell gegangen, D. habe bisweilen sogar telefoniert während des Eingriffs. Welche Behandlung er wirklich erhalten hat, könnte seine Patientenakte zeigen. Doch der Arzt hat sein Vorgehen nicht dokumentiert. Und wie sich später zeigen sollte, war D. bei zahlreichen Patienten nachlässig.

Beat Grieder soll auch nicht der Einzige sein, bei dem D. falsch abgerechnet hat. Das sagt P., selbst ehemaliger Arzt am See-Spital. Der Neurochirurg hatte 2003 mit D. eine gemeinsame Schmerzklinik gegründet. Ein gutes Jahr nach der Gründung musste die Firma ihren Betrieb bereits wieder einstellen. Unter anderem weil sich D. nach Aussagen von P. immer wieder hohe Summen ausbezahlt haben soll. Tatsächlich wurde D. im Jahr 2011 vom Kantonsgericht Zug dazu verpflichtet, knapp 650 000 Franken an eine Inkassofirma zurückzuzahlen. So hatte er sich beispielsweise eine halbe Million Franken gegönnt als Bonus für den geschäftlichen Erfolg – zu einem Zeitpunkt, als die Firma ihre Türen bereits geschlossen hatte.

Die beiden ehemaligen Geschäftspartner hatten fortan nichts mehr miteinander zu tun: D. arbeitete am Zimmerbergspital in Horgen und P. im Sanitas-Spital. Doch der Zufall wollte es, dass die beiden wegen der Fusion der Spitäler wieder im gleichen Unternehmen tätig sein sollten. P. machte die Spitalleitung auf die unrühmliche Vergangenheit von D. aufmerksam und erwähnte auch, dass bei der Behandlung der Patienten nicht alles mit rechten Dingen zugehen solle. Gestützt wurde er dabei auch vom Ärztekollegium des See-Spitals, das eine Überprüfung von D. verlangte. Doch das alles habe nichts genützt, sagt P. Die Spitalleitung habe darauf verzichtet, genau hinzuschauen, schliesslich habe das Haus gut am Neurochirurgen verdient. Stattdessen habe man ihn nötigen wollen, eine Verschwiegenheitserklärung zu unterzeichnen. P. weigerte sich. Zwei Jahre später wurde er entlassen, weil er Patienten eine Zusatzrechnung für eine Operation ausgestellt hatte, was am See-Spital nicht erlaubt ist. P. gibt den Fehler zu, sagt aber, es sei legal, als Belegarzt mit einem Patienten ein Honorar auszuhandeln. Den Rauswurf bezeichnet er als Strafaktion.

Der Schmerzpatient Grieder jedenfalls hat kürzlich Strafanzeige gegen die Geschäftsleitung eingereicht, namentlich gegen Stiftungsratspräsident Walter Bosshard, Spitaldirektor Matthias Pfammatter und Chefärztin der Inneren Medizin, Barbara Federspiel, der D. unterstellt ist. Und Grieder fährt grobes Geschütz auf. Er wirft ihnen unter anderem schweren Wirtschaftsbetrug, ungetreue Geschäftsführung und Versicherungsbetrug vor. Die Staatsanwaltschaft Limmattal/Albis prüft derzeit, ob sie eine Untersuchung einleiten soll.

Für Grieder ist es kein Zufall, dass zahlreiche Patientendossiers unvollständig sind, das habe System. Offenbar werde versucht, etwas zu vertuschen.

Die Verteidigung des Spitals

So weit die erste Version der Geschichte. Daneben gibt es aber auch jene der Spitalleitung:

Für Stiftungsratspräsident Bosshard hat die ganze Geschichte ihren Ursprung in der persönlichen Fehde zwischen den ehemaligen Geschäftspartnern. P. versuche D. zu diskreditieren und bringe damit das gesamte Spital in Verruf. P. habe denn auch, als man ihm die Akkreditierung entzogen habe, der Spitalleitung gedroht, an die Presse zu gehen. Sämtliche Vorwürfe bestreitet die Spitalleitung vehement. Nur etwas räumt sie ein: D. hat die Patientendossiers tatsächlich nachlässig geführt, und das gilt für zahlreiche Patienten und über längere Zeit. «Das ist natürlich absolut inakzeptabel», sagt Spitaldirektor Pfammatter. Deshalb habe man nun im See-Spital schärfere Kontrollen eingeführt, damit dies in Zukunft nicht mehr vorkomme. Dass die Dokumentationen von D. nachlässig seien, sei erst aufgefallen, als man die Dokumente aufgrund der Vorwürfe in der Presse kontrolliert habe, beteuert Bosshard.

Doch warum hat die Spitalleitung D. nicht schon damals unter die Lupe genommen, als sie von P. auf mögliche Missstände hingewiesen wurde? «Wir haben damals Gespräche geführt, sowohl mit D. als auch mit Patienten», sagt Bosshard. Die Vorwürfe hätten sich aber nicht erhärten lassen. Etwas anderes als die Nachlässigkeit bei der Dokumentation könne man D. auch heute nicht zur Last legen, seine Leistungen habe er stets korrekt abgerechnet.

Dass das Ozon nicht auf den Rechnungen erscheint, hat für die Spitalleitung einen einfachen Grund: D. gab es kostenlos ab, weil es die Krankenkassen ohnehin nicht bezahlt hätten. Da Ozon extrem kostengünstig ist, halte sich der finanzielle Schaden im Rahmen. Hätte D. das Mittel seinen Patienten trotzdem verrechnen wollen, hätte er das über eine Kostengutsprache tun müssen. Wegen des grossen administrativen Aufwands habe er darauf verzichtet. Auf die Wirkung des Ozons aber schwöre er nun einmal. Sie hätten am See-Spital viele Patienten, die mit der Therapie von wiederholten Betäubungsmittel-Infiltrationen gute Erfahrungen gemacht hätten, sagt Chefärztin Federspiel. Wie viel das begleitende Ozon dazu beigetragen habe, könne sie nicht sagen.

Nun behauptet der Patient Grieder aber ausserdem, er habe gar nie die verrechnete Behandlung mit der Injektion von Betäubungsmitteln erhalten. Das kann sich Direktor Pfammatter nicht vorstellen. Dass es für diesen Eingriff einen Bildverstärker brauche, stimme nicht in jedem Fall. Gemäss Fachliteratur könnten erfahrene Ärzte, zu denen D. zweifellos zu zählen sei, den Eingriff auch ohne durchführen.

Wer lügt?

Was ist nun von der ganzen Sache zu halten? Wer hat recht? Wer lügt?

Mit den Fakten, die bis jetzt auf dem Tisch liegen, lässt sich das nur schwer sagen. Dass D. seine Patientendokumentationen nicht sauber geführt hat, spricht nicht für ihn. Auf Ende September wurde sein Arbeitsverhältnis «in gegenseitigem Einverständnis» beendet. Ob und in welchem Ausmass er falsch abgerechnet hat, müssen die Ermittlungen klären, die zwei Krankenkassen nun aufgenommen haben. Dass sie sich der Sache angenommen haben, zeigt aber zumindest, dass ein begründeter Verdacht besteht. Auch erscheint die Argumentation von D. abenteuerlich, das Ozon gratis abgegeben zu haben. Das findet auch Thomas Vogl, Professor an der Universität Frankfurt, wo ebenfalls Ozontherapien angeboten werden. Auch wenn das Ozon günstig sei, stellten Herstellung und Vorbereitung doch einen gewissen Aufwand dar. Auch setze man für die Ozontherapie in der Regel einen Bildverstärker oder einen Computertomografen ein. «Die Begründung des Arztes mutet schon sehr seltsam an», sagt er.

Inwieweit die Spitalleitung in die Sache verstrickt ist, ist momentan schwierig zu sagen. Mit Sicherheit hätte sie bei D. schon früher genau hinschauen müssen, immerhin war sie vorgewarnt. Das wird auch von der Zürcher Gesundheitsdirektion kritisiert: «Offenbar haben im Fall des betreffenden Arztes die internen Kontrollmechanismen nicht respektive nicht frühzeitig genug gegriffen», sagt der Sprecher Daniel Winter auf Anfrage. Die Gesundheitsdirektion hat denn auch vom See-Spital einen Bericht zur Klärung der Vorwürfe verlangt und behält sich rechtliche Schritte vor.

Dass die Spitalleitung den mutmasslichen Betrug aber geduldet oder gar gedeckt haben soll, bleibt vorderhand Spekulation. Hier könnte erst ein allfälliges Verfahren der Staatsanwaltschaft Klärung bringen. Interessant wäre etwa zu wissen, wie viel Umsatz D. gemacht hat, wie viel er an seinen Patienten verdient hat und wie viel Geld ans Spital geflossen ist. Sagt die Spitalleitung die Wahrheit, müsste eine saubere Aufarbeitung des Falls auch in ihrem Interesse liegen. Denn sollte sie sich im stillen Kämmerlein mit den Versicherern auf einen Vergleich einigen, dann wird der Betrugsverdacht am See-Spital haften bleiben.

* Name geändert.

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