Silke Schnack ist wütend. „Wütend und empört, wie hier Versicherte unter Druck gesetzt werden“, sagt sie. Anlass für ihren Ärger ist ein Schreiben der Krankenkasse DAK, das ihre 89-jährige Mutter erhalten hat. Zweimal am Tag kommt ein ambulanter Pflegedienst zu Silke Schnacks Mutter nach Hause, um ihr morgens und abends Kompressionsstrümpfe an- und auszuziehen. Einmal in der Woche werden außerdem die Medikamente für die kommenden sieben Tage gerichtet. Die Mutter ist schwer herzkrank und muss auch wegen weiterer Erkrankungen Arzneimittel einnehmen. Die Kosten für den ambulanten Pflegedienst übernimmt die DAK, Basis dafür ist eine ärztliche Versorgung vom Hausarzt der Mutter.
In dem Schreiben teilt die Krankenkasse mit, dass die Leistungen nicht mehr übernommen würden – es sei denn, ein beigelegter Fragebogen werde ausgefüllt, auf dessen Grundlage neu entschieden werde. Neben dem Ton des Schreibens sind es vor allem die Fragen, die Silke Schnack wütend machen. Ihre Mutter soll unter anderem beantworten, warum sie die beantragte Leistung nicht selbst übernehmen kann, welche Personen in ihrem persönlichen Umfeld leben – dazu gehörten auch Freunde und Nachbarn –, welche dieser Personen die Maßnahmen übernehmen könnten. Und: Ob sie ihre Wohnung verlassen kann, um die Arztpraxis aufzusuchen.
„Dass eine Krankenkasse freundlich nachfragt, ob eine Leistung noch notwendig ist, dafür habe ich Verständnis“, sagt Kerstin Schnack. „Aber dass man einfach die Namen von Nachbarn angeben soll, die anstatt des Pflegedienstes die Leistungen übernehmen sollen, das ist eine absolute Frechheit und verletzt den Datenschutz.“ Ihre Mutter habe sich so sehr unter Druck gesetzt gefühlt, dass sie die Ablehnung akzeptieren wollte. Kerstin Schnack nicht, sie ruft bei der Kasse an und empört sich. „Das ist ja nur ein Nachfragen“, erhält sie als Antwort – und bekommt wenige Tage später eine weitere schriftliche Ablehnung der Kostenübernahme.
Ein unerhörter Vorgang
Für Elisabeth Goetz von der Unabhängigen Patientenberatung Bremen (UPB) ist das „ein unerhörter Vorgang“. „Eine Krankenkasse darf nachfragen, ob im Haushalt eine Person lebt, die entsprechende Maßnahmen übernehmen könnte. Aber dies auf Freunde und Nachbarn auszuweiten, ist gelinde gesagt abenteuerlich“, sagt die UPB-Geschäftsführerin. Vor allem betreffe dies auch das Richten von Medikamenten. Im Krankenhaus dürften dies nicht Krankenschwestern in Ausbildung übernehmen, sondern nur examiniertes Personal. „Die Notwendigkeit bescheinigt der Arzt mit der Verordnung für den ambulanten Pflegedienst“, so Goetz. Das Vorgehen der Kasse lege nahe, dass es vor allem um Sparmaßnahmen gehe. Betroffenen empfiehlt sie, auf ein solches Schreiben unbedingt schriftlich Widerspruch einzulegen. „Auf keinen Fall sollte man telefonisch irgendwelche Informationen weitergeben.“
Das Schreiben an Silke Schnacks Mutter ist kein Einzelfall. Inzwischen haben sich mehrere Angehörige an den WESER-KURIER gewendet. Und auch bundesweit löst das Vorgehen der DAK Empörung aus. In Baden-Württemberg etwa haben Pflegedienste und Verbände der Kasse vorgeworfen, Geld auf Kosten alter und kranker Menschen sparen zu wollen. Der Bundesverband privater Anbieter sozialer Pflege (bpa) hat laut einer Erklärung den Bundesdatenschutzbeauftragten eingeschaltet.
Die Krankenkasse erklärt ihr Vorgehen damit, „dass seit einiger Zeit Anträge zur häuslichen Krankenpflege intensiver untersucht werden, da in den Abrechnungen der Pflegedienste Unstimmigkeiten aufgefallen waren“, sagt DAK-Sprecher Rüdiger Scharf aus der Hamburger Zentrale. Zum Teil seien Leistungen abgerechnet worden, die medizinisch nicht notwendig gewesen seien. In vielen Fällen sei das An- und Ablegen von Kompressionsstrümpfen abgerechnet worden, obwohl dies vorher nicht verordnet worden sei. Im ersten Halbjahr 2015 habe es in Bremen 7200 Anträge zur häuslichen Krankenpflege gegeben, die Quote der Ablehnungen liege derzeit mit 3,5 Prozent deutlich unter dem Bundesschnitt von sechs Prozent. Dennoch räumt der DAK-Sprecher ein, dass bei „ein, zwei Fragen in dem Fragebogen über das Ziel hinausgeschossen worden ist“. Der Bogen, der an 15 Prozent der Betroffenen verschickt worden sei, werde überarbeitet.
Silke Schnack und ihre Mutter haben schließlich schriftlich Widerspruch gegen die Ablehnung eingelegt – mit Erfolg. „Vor einigen Tagen ist die Kostenübernahme gekommen“, sagt sie. Außerdem habe die Krankenkasse angeboten, entstandene Auslagen etwa durch Anwaltskosten zu übernehmen.