Wehren sich gemeinsam (von links): Markus Rothfuß, Bärbel Leiser, Carmen Maier, Reinhardt Schmid und Markus Barth. Foto: Morlok

Diakoniestationen im Kreis kritisieren: Kasse kürzt häusliche Pflege und gefährdet ambulante Versorgung.

Kreis Freudenstadt - Die Vorwürfe zur umstrittenen Fragebogenaktion der DAK-Gesundheit gingen bereits durch die Medien und wiegen schwer. Vertreter der Diakoniestationen im Kreis werfen der Kasse vor, in vielen Fällen die Zahlung für ärztlich verordnete Leistungen verweigert zu haben, die von ambulanten Pflegediensten übernommen werden.

Die Vorwürfe gegen die DAK: Bei den meist älteren, chronisch kranken Patienten wurden mittels eines Fragebogens die ärztlichen Ver- und Anordnungen angezweifelt, die Pflicht zum Ausfüllen des Fragebogens suggeriert und in einem Schnellverfahren die Leistung verweigert. Konkret geht es meist um Insulingaben, das Anziehen von Kompressionsstrümpfen, das Verabreichen von Medikamenten und Augentropfen sowie das Anlegen von Kompressionsverbänden mit gleichzeitigem Verbandswechsel.

Dies ist eine medizinische Versorgung, die grundlegende fachliche Kenntnisse voraussetzt. Außerdem werfen Diakonie und Caritas der DAK vor, dass diese Patienten auffordere, Verwandte und Nachbarn in die Pflege einzubeziehen. Auch wenn im näheren Umfeld niemand erreichbar ist, wird von der Krankenkasse, die mit "Gesundheit" im Logo wirbt, erst mal gekürzt.

So berichtet Markus Rothfuß, Pflegdienstleiter bei der Diakoniestation Baiersbronn, beim Pressegespräch von einer 83-jährigen Patientin, die weder Mann noch Kinder hat und im dritten Stock eines sonst unbewohnten Hauses wohnt, dass man ihr nach Zusendung des Fragebogens die Dienstleistung des Anziehens der Kompressionsstrümpfe nur noch für 14 Tage gewährte. Anrufe bei der DAK durch Rothfuß brachten lediglich die Erkenntnis, dass die Sachbearbeiterin dazu nichts sagen könne und auch niemanden kenne, der Auskunft geben kann. "Wir sollen der Dame ab 13. August unsere Leistungen privat in Rechnung stellen, und die Patientin soll halt später versuchen, sich das Geld von der DAK-Gesundheit wieder zurückzuholen", habe die Frau am DAK-Service-Telefon geraten.

Carmen Maier und Bärbel Leiser, Vertreterinnen der Diakoniestation Dornstetten, Glatten, Schopfloch, berichten von ähnlichen Fällen. Als man in einem Fall gegen diese "Leistungsverweigerung" Widerspruch einlegen wollte, riet der örtliche Sachbearbeiter, dies sein zu lassen, da es sonst vor das Sozialgericht gehe und dann mindestens ein halbes Jahr bis zu irgendeiner Entscheidung dauere. Nur durch die Hartnäckigkeit der Kinder dieser Patientin wird sie nun weiterversorgt.

Fritz Franz: Kasse schielt nicht nach dem Mensch, sondern ihrem Vorteil

Fritz Franz vom Stadtseniorenrat Freudenstadt stellt fest, dass die DAK in diesem Moment nicht nach dem Menschen, sondern nach ihren eigenen Vorteilen schielt. Auch durch die letzte Position im DAK-Fragebogen "Bitte schildern Sie uns, warum die beantragten Maßnahmen nicht in der Arztpraxis erbracht werden können" sieht sich Franz auf einem "finanziellen Verschiebebahnhof". "Hier bricht unser Krankenkassen-Sozialsystem zusammen." Franz sieht das Zusammenspiel von ambulanten Diensten, Kassen und Patienten in Gefahr. "Durch den Fragebogen kam Sand in das bisher so reibungslose System."

Ganz abgesehen davon, ob es einem Patienten, Angehörigen oder Nachbarn zugemutet werden kann, Leistungen wie das Anlegen von Kompressionsstrümpfen, die oft hochgehen bis in die Nähe des Intimbereichs, zu erbringen oder über sich ergehen zu lassen, bewegt sich der Fragebogen in einem datenschutzrechtlich bedenklichen Bereich. Es werden Dinge abgefragt, die einen Versicherungsträger schlicht nichts angehen. Mit aus diesem Grund hat sich der Bundesdatenschutzbeauftragte in diesen Fall eingeschaltet.

"Fakt ist, dass die Patienten teils so verunsichert sind, dass vor lauter Angst vor weiteren Repressalien der 91-Jährige seiner Frau halt die Augentropfen selbst reinzittert", weiß Reinhardt Schmid, Geschäftsführer der Diakonie Freudenstadt aus eigener Erfahrung zu berichten. "Die Patienten wollen nichts Besonderes – sie wollen nur die Leistungen, die ihnen gesetzlich zustehen", ergänzt der Freudenstädter Pflegedienstleiter Markus Barth.

Völlig anders sieht Daniel Caroppo, DAK-Pressesprecher im Land, die Dinge. "Die DAK-Gesundheit in Baden-Württemberg weist die aktuellen Vorwürfe von Diakoniestationen und Pflegediensten entschieden zurück. Im ersten Halbjahr 2015 hat die Kasse allein in Baden-Württemberg 67 000 Anträge auf häusliche Krankenpflege erhalten. Davon hat sie rund 94 Prozent bewilligt. Die Gesamtausgaben für die DAK-Gesundheit für die häusliche Krankenpflege beliefen sich im vergangenen Jahr auf über 514 Millionen Euro, davon 66 Millionen im Südwesten. Damit gibt sie bundesweit 95 Millionen Euro mehr für diesen Leistungsbereich aus, als der Durchschnitt aller Krankenkassen", teilte er gestern auf Anfrage unserer Zeitung mit. "Die DAK ist jedoch gesetzlich verpflichtet, im Interesse ihrer Versicherten, die Anträge auf häusliche Krankenpflege zu prüfen", so Caroppo weiter. Dies sei eine rechtliche Vorgabe, erklärt er in seiner Stellungnahme. Er weist darauf hin, dass die Verordnung des Arztes nach Entscheidung des Bundessozialgerichts nur als Empfehlung gilt und nicht eine notwendige Prüfung der Krankenkassen ersetzt.

"In den vergangenen acht Jahren sind die Kosten für den Bereich der häuslichen Krankenpflege jährlich um zehn bis 20 Prozent gestiegen. Das ist deutlich höher als in allen anderen Leistungsbereichen der Krankenkasse und kann nicht alleine mit Demografie und Morbidität erklärt werden. Hinzu kommen verstärkt Auffälligkeiten bei Abrechnungen von einzelnen Pflegediensten. Nach Prüfungen der DAK-Gesundheit wurden zum Teil Leistungen abgerechnet, die medizinisch nicht notwendig waren. So wurden zum Beispiel allein in Baden-Württemberg seit 2014 in insgesamt 1255 Fällen das An- und Ablegen von Kompressionsstrümpfen abgerechnet, obwohl dieses medizinische Hilfsmittel vom Arzt vorher überhaupt nicht verordnet wurde."

Auch erste Kassenärztliche Vereinigungen (KV) raten ihren Ärzten in diesen Fällen, die Stelle zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen einzuschalten. So berichtet die KV in Bremen offen davon, dass Pflegedienste aktuell immer wieder versuchen würden, auf die Verordnung des Arztes offensiv einzuwirken. Sie rät ihren Ärzten, einer solchen "Korrektur" nicht nachzugeben, wenn sie medizinisch nicht indiziert sei und spricht dabei von einer "Luftverordnung". Dagegen wehren sich die Betroffenen aus dem Kreis Freudenstadt.

Die DAK betont aber ausdrücklich, dass bei der Mehrheit der Leistungserbringer die Abrechnungen korrekt seien. Fehlverhalten sei auch angesichts der Zahlen kein Massenphänomen in Baden-Württemberg. "Auch andere Krankenkassen prüfen den Bereich der häuslichen Krankenpflege. Dazu gehört die Abfrage, ob bestimmte Leistungen beispielsweise durch Angehörige übernommen werden können. Berechtigte Kritik an einzelnen Formulierungen in dem von der DAK-Gesundheit eingesetzten Fragebogen hat die Kasse zum Anlass genommen, die Schreiben kurzfristig zu ändern und den Bogen in dieser Form nicht mehr einzusetzen" so Caroppo. Reinhardt Schmid erklärt hingegen, dass der Fragebogen nur geringfügig angepasst wurde und noch immer ein wirksames Werkzeug der Verunsicherung sei.

Die Krankenkasse will das Gespräch mit den Pflegediensten und Wohlfahrtsverbänden in Baden-Württemberg suchen. Ein erster Gesprächstermin ist am 20. August in Stuttgart. Die Verantwortlichen der Diakonie im Kreis raten ihren Patienten, falls sie einen Fragebogen bekommen, diesen unausgefüllt dem Pflegepersonal mitzugeben und sich nicht allzu viele Sorgen zu machen. "Wir sorgen mit unserem diakonischen Profil für Versorgungssicherheit. Und dies muss einfach gehen."