Gesundheitstourismus soll noch wichtiger werden

Die touristische Ausrichtung auf medizinische Angebote gilt als grosser Trend. Nun werdenHotel-Klassifikationen angepasst. Gleichzeitig planen Spitäler eigene Hotels.

Davide Scruzzi
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Noch Spital oder schon Hotel? Ein Zimmer für Privatpatienten in einer Privatklinik in Zürich. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Noch Spital oder schon Hotel? Ein Zimmer für Privatpatienten in einer Privatklinik in Zürich. (Bild: Karin Hofer / NZZ)

Die Gesundheit ist für Schweizer Touristiker kein neues Feld, wenn man an die lange Tradition der Thermalbäder denkt. Derzeit erhält dieser Bereich aber neue Konturen. Jüngstes Beispiel ist die Anpassung der Hotelklassifizierung des Branchenverbands Hotelleriesuisse. Sie soll auch eine bessere Anbindung an Angebote privater und kantonaler Spitäler ermöglichen.

Potenzial für 150 Betriebe

Der bisher unmittelbar mit dem Vorhandensein von Schwimmbädern gekoppelte Hotelbegriff «Wellness» wird neu definiert: mit einer für verschiedene Dienstleistungen offenen Bezeichnung «Wellness» sowie mit dem neuen Begriff «Medical Wellness». Während sich blosse Wellness-Hotels auf einer allgemeineren Ebene für die Gesundheit der Gäste empfehlen werden, sollen die neuen Medical-Wellness-Hotels auf medizinische Leistungen ausgerichtet sein, «erbracht durch Ärzte oder medizinische Fachleute», so der neue Hotelleriesuisse-Kriterienkatalog.

Als Paradebeispiel gilt das «Grand Resort Bad Ragaz», in dessen Räumen 70 Ärzte ihre Dienste anbieten. Die Palette reicht von plastischer Chirurgie über Orthopädie und Hilfe bei unerfüllten Kinderwünschen bis hin zu Ernährungsoptimierung und seelischer Gesundheit. Thomas Allemann von Hotelleriesuisse schätzt, dass es ein Potenzial für rund 150 Betriebe gibt, die sich – auch mit einem kleineren Angebot – als Medical-Wellness-Hotels positionieren könnten. Wichtig sei auch die Vernetzung mit Kliniken. Hotels könnten sich darauf spezialisieren, Personen, die in ambulanter oder stationärer Behandlung in Kliniken sind, weitere Betreuung zu bieten und auch Angehörige zu beherbergen. Um diese Vernetzung von Hotellerie und Kliniken mit Kombiangeboten voranzutreiben, trifft sich Allemann nun mit Vertretern der Plattform Swiss Health, die 2010 von Schweiz Tourismus und der Standortförderung des Bundes gegründet wurde, um international für Kliniken zu werben.

Es gibt auch regionale Initiativen. So in der Zentralschweiz mit der von der Wirtschaftsförderung Luzern vor fünf Jahren mitbegründeten Koordinationsstelle Lucerne Health, die für einige Abteilungen des Luzerner Kantonsspitals, der Hirslanden- und der Cereneo-Klinik wirbt.

Die vier Angestellten von Lucerne Health übernehmen die Betreuung der Gäste, die in Hotels und Kliniken residieren; dazu gehören auch Übersetzungsdienste. In Luzern regte sich anfangs Widerstand gegen einen finanziellen Beitrag der Stadt an Lucerne Health. Die SP befürchtete eine Vernachlässigung einheimischer Patienten. Walter Stalder, Präsident von Lucerne Health, spricht von bis zu hundert Personen, die jährlich betreut werden.

Das klingt nach wenig, beschert aber viel Wertschöpfung, kosten doch Behandlung und Logis oft mehrere hunderttausend Franken pro Person. Das einstige Ziel von rund 300 Patienten im Jahr erweist sich aber als schwer erreichbar. Die Zahlen schwankten stark, so Stalder. Zu Jahresbeginn habe die Frankenstärke das Geschäft behindert; viele Patienten seien in Euro-Länder ausgewichen. Zahlreich seien russische Gäste. Zudem gebe es auch Personen aus Nahost, wenn die medizinische Versorgung unter Konflikten leide. Aus China registriert Stalder erste Anfragen. In den 16 Kliniken der Hirslanden-Gruppe lassen sich jährlich 4000 «internationale Patienten» behandeln. Sie sorgen für vier Prozent des Umsatzes. Die Leute stammten vorwiegend aus Deutschland, Russland sowie dem Nahen Osten, sagt Claude Kaufmann von der Hirslanden AG. Am häufigsten seien Behandlungen in der Onkologie, Orthopädie, Kardiologie und Urologie. In den letzten Jahren gab es eine Zunahme; nun spürt man die Euro-Schwäche. Die Patienten kommen aufgrund von Bemühungen via Swiss Health sowie dank ausländischen Agenturen und Kontakten mit Ärzten im Ausland.

Laut Conrad Engler vom Spitalverband H+ kommen Ausländer nicht nur wegen der Qualität der Behandlung: «Ein wichtiger Faktor ist auch die Diskretion abseits der Heimat, was nicht nur bei psychischen Leiden für viele wichtig ist.» Statistisch lasse sich der Medizintourismus kaum beziffern, weil die häufigen ambulanten Behandlungen vom Bund nicht erhoben würden.

Dreisterne-Haus neben Spital

Die neuen Konzepte für Patientenhotels in Basel und Genf deuteten aber auf eine steigende Bedeutung ausländischer Patienten hin, so Engler. Die Verantwortlichen vor Ort relativieren dies. Das Universitätsspital Basel prüft für die Realisierung eines Patientenhotels die Zusammenarbeit mit privaten Partnern. Es gelte, für einen Teil der Spitalaufenthalte die Hotelunterbringung als Ergänzung oder komfortablere wie auch günstigere Alternative zur stationären Behandlung einzuführen. Patienten aus dem Ausland seien aber nicht die Hauptzielgruppe, heisst es. Inwieweit die Krankenversicherungen dann auf solche Modelle bei Schweizer Grundversicherten eingehen, sei noch abzuklären, erklärt Sabina Heuss vom Universitätsspital. Man behandle jedes Jahr etwa 50 Patienten aus dem Ausland, allerdings oft für mehrere Behandlungen. Die teilweise sehr reichen Patienten residierten mit ihren Angehörigen während der meisten Zeit in Luxushotels.

In Lausanne wird beim Universitätsspital ein Dreistern-Hotel mit 115 Zimmern realisiert, wo ab nächstem Jahr Patienten mit geringeren Pflegebedürfnissen samt Angehörigen einen Teil des Spitalaufenthaltes verbringen können. Das Projekt, das von einem privaten Partner, der Reliva Patientenhotel AG, mitgetragen werde, sei aber nicht auf Patienten aus dem Ausland ausgerichtet, betont Spital-Sprecher Darcy Christen. – Laut Branchenkennern ist es für öffentliche Spitäler weiterhin politisch heikel, Investitionen als gezielte Massnahmen für Patienten aus dem Ausland zu deklarieren.