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Hamburg

„Ich hätte die Krankenhäuser nicht verkauft“

In einer immer älter werdenden Gesellschaft muss Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks die Weichen stellen. Ein Gespräch über Pflege-WGs, unnötige Operationen und spanische Gurken

Im Aufzug, auf dem Weg in den zwölften Stock des Axel-Springer-Verlagshauses, fragt Cornelia Prüfer-Storcks (SPD), wann eigentlich Redaktionsschluss sei. In Hamburgs Senatorin für Gesundheit und Verbraucherschutz steckt noch immer eine Journalistin, obwohl sie das schon seit mehr als 30 Jahren nicht mehr ist. In den 70er- und 80er-Jahren schrieb sie für eine Regionalzeitung vor allem über die Gleichberechtigung der Geschlechter und die Vereinbarkeit von Familie und Beruf. „Wenn ich das mit heute vergleiche, muss ich feststellen: Es gibt doch gesellschaftlichen Fortschritt“, sagt Prüfer-Storcks. Heute gehe es immer mehr um die Vereinbarkeit von Pflege und Beruf.

Welt am Sonntag:

Wie hält sich eine Gesundheitssenatorin fit?

Cornelia Prüfer-Storcks:

Bei mir zu Hause habe ich ein Rudergerät. Das ist eine sehr schöne Art, sich zu bewegen. Es beansprucht den gesamten Körper, nicht nur vorwiegend die Beinmuskeln wie etwa beim Joggen. Und es gibt mir die Möglichkeit, auch mal später abends Sport zu treiben – unabhängig vom Wetter. Aber ich gebe zu: Ich habe es zuletzt viel zu selten genutzt.

Sie rüsten sich also nicht für einen Wettkampf mit Hobby-Ruderer Olaf Scholz.

(lacht) Nein, das versuche ich gar nicht erst.

Ein anderer Hamburger war kürzlich angriffslustiger: Ärztekammer-Präsident Frank Ulrich Montgomery warf einem „großen Hamburger Klinikbetreiber“ vor, dieser würde seinen Ärzten nur Boni zahlen, wenn sie genug Operationen durchführten. Alle wussten: Er meinte Asklepios. Die Stadt hält noch 25,1 Prozent an den Asklepios-Kliniken, sitzt im Aufsichtsrat. Müssen Sie da nicht eingreifen? Nachdem

Nachdem dieser Vorwurf auf dem Deutschen Ärztetag geäußert wurde, habe ich den Vorstand der Ärztekammer zu mir eingeladen und gebeten, mir Belege für solche Verträge vorzulegen. Dies war der Ärztekammer nicht möglich. Auch mit Asklepios haben wir selbstverständlich umgehend Kontakt aufgenommen. Mir, wie auch dem Aufsichtsrat gegenüber, wurde versichert, dass es solche Verträge nicht gibt. Diverse Chefärzte haben dies auch gegenüber den Medien bestätigt. Solche Verträge würden auch gegen das Sozialrecht verstoßen, wenn es sie gäbe. Es darf keinen finanziellen Anreiz geben, bestimmte Behandlungen durchzuführen, sondern eine Behandlung muss sich am medizinischen Bedarf der Patienten orientieren.

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Vor zwölf Jahren hat das Unternehmen Asklepios der Stadt zehn Kliniken abgekauft, gegen den Willen der Bevölkerung. 77 Prozent der Hamburger stimmten in einem Volksentscheid gegen die Privatisierung der Krankenhäuser. Juristisch wäre das heute gar nicht mehr möglich. Wie bewerten Sie das heute?

Der damalige CDU-Senat hat aus meiner Sicht allein schon deshalb nicht richtig entschieden, weil er das überdeutliche Ergebnis eines Volksentscheides missachtet hat. Wenn ich damals Verantwortung getragen hätte, hätte ich das nicht unterstützt. Es hätte auch andere Wege gegeben, die städtischen Krankenhäuser wirtschaftlich besser aufzustellen. Auch unter städtischer Führung. Aber es macht wenig Sinn, heute über ein „wie wäre es gewesen wenn“ zu diskutieren. Ich bin aber auch überzeugt davon, dass die vielfach negative Diskussion um Asklepios manchmal auch mit dem Verkauf gegen den Volksentscheid zu tun hat.

Die Menschen sind nicht nur nachtragend, sie werden auch immer älter. Wie lösen wir die Probleme, die damit zusammenhängen?

Wir haben in Hamburg glücklicherweise eine etwas andere Situation: Das Durchschnittsalter, das Deutschland jetzt schon erreicht hat, wird Hamburg erst im Jahre 2030 erreichen. Und Hamburg schrumpft nicht, sondern wächst wegen des hohen Zuzugs, insbesondere auch von Jüngeren. Deshalb bleibt die Stadt insgesamt jünger. Wir sind somit in der privilegierten Lage, die Entwicklung gestalten zu können, statt sie zu erleiden.

Wie wollen Sie das anstellen?

Anfang 2014 haben wir unser Demografiekonzept „Hamburg 2030“ veröffentlicht, an dem alle Behörden mitgewirkt haben. Dieses wollen wir nun unter Einbeziehung der Bevölkerung fortentwickeln. Im September wollen wir beispielsweise mit einem Online-Dialog starten. Jeder kann auf diesem Weg an der Diskussion teilhaben, wie sich die Stadt entwickeln soll.

Worum geht es in dem Konzept konkret?

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Unser Blick geht unter anderem in die Stadtteile und die Quartiere. Was braucht man dort für das Zusammenleben der Generationen? Es geht um die Fragen: Was ist nötig für ein demografiefestes Quartier, welche Dienstleistungen, welche Geschäfte, welche Unterstützung? Wo ist Barrierefreiheit wichtig? Es geht also weit über Seniorenpolitik hinaus, sondern betrifft beispielsweise auch Familien mit Kindern. Denken Sie nur an die Kinderwagen. Oder: Wie planen wir Neubauten, um von Anfang an etwa einen ambulanten Pflegedienst zu berücksichtigen? Wo bauen wir große Wohnungen, damit ambulante Pflege-Wohngemeinschaften dort unterkommen können? Ältere Menschen wollen vorzugsweise in ihrer gewohnten Umgebung bleiben. Deshalb benötigen wir neue Wohnformen, damit ältere Leute nicht zwangsläufig aus ihrer Wohnung raus und in ein Pflegeheim einziehen müssen.

Ihre Kollegen aus anderen Bundesländern müssen vor Neid erblassen, dass Sie noch so viel Zeit haben, dieses gesellschaftliche Problem zu lösen.

Da haben wir in der Tat einen großen Vorteil. Das gilt übrigens auch für die medizinische Versorgung: Wenn ich erzähle, dass wir zwar Versorgungsquoten von deutlich über 100 Prozent, aber keine gleichmäßige Verteilung von Arztpraxen in der Stadt haben, und dann anmerke, dass dies als Unterversorgung empfunden wird, findet das wenig Zustimmung von anderen Ministerinnen und Ministern. Teilweise wird in Hamburg diesbezüglich auf recht hohem Niveau geklagt.

Es heißt, gute ambulante Versorgung reduziert die Zeit, die man im Krankenhaus verbringen muss. Trotzdem werden Hamburgs Kliniken bis 2020 um 530 Betten aufgestockt. Das ist die Größe eines ganzen Krankenhauses. Warum diese große Investition?

Die Krankenhausplanung basiert auf den Auslastungszahlen und den Leistungen, die in der Vergangenheit erbracht wurden. Auf Basis dieser Daten wird eine Prognose erstellt, wie sich das in den einzelnen Fächern entwickeln wird. Da gilt es abzuwägen: Einerseits werden immer mehr Leistungen ambulant erbracht, selbst kleinere Operationen. Dafür müssen keine Betten geplant werden, sondern die Zahl kann verringert werden. Andererseits steigt das Durchschnittsalter der Bevölkerung und nimmt die Versorgung des Umlands durch Hamburger Krankenhäuser immer weiter zu. Schon jetzt kommt jeder dritte Patient, der in den hiesigen Krankenhäusern behandelt wird, nicht aus Hamburg. Unterm Strich ist der Ausbau der Betten vorwiegend eine Reaktion auf diese Entwicklung.

Dies ist nur möglich, weil der vorläufige Doppelhaushalt für die Jahre 2017/18 satte 25 Millionen Euro mehr für die Krankenhausinvestitionen möglich macht. Etwa die Hälfte dieser Summe würde aus Bundesmitteln kommen, einem Strukturfonds, der nach Ansicht der Hamburgischen Krankenhausgesellschaft für den Abbau, nicht für den Ausbau von Betten bereitgestellt wurde. Können Sie uns das erklären?

Wie fast immer hilft ein Blick in das Gesetz. Dort steht in den Fördergrundsätzen: Bettenabbau ist ein Grund, um Mittel aus dem Strukturfonds zu nutzen, ja. Aber es gibt noch andere, wie etwa die Konzentration von Versorgungsleistungen. Nehmen wir beispielsweise an, zwei Krankenhäuser bieten eine bestimmte spezielle Behandlung an. Nun einigen sie sich, dass nur noch eine Klinik diese Behandlung in Zukunft durchführt. Stattdessen konzentriert sich die andere Klinik auf ein anderes Gebiet, das zuvor ebenfalls beide gemacht haben. Das ist im Interesse der Qualität, aber auch der wirtschaftlichen Krankenhausbehandlung.

Die Krankenhäuser haben sich weitaus mehr Betten gewünscht.

Das ist richtig. Wir haben in unserer Prognose bewusst unterstellt, dass wir noch ein Potenzial an Ambulantisierung in Hamburg haben, das noch nicht ausgeschöpft ist. In Berlin und München wurde dies schon stärker realisiert. Wir gehen davon aus, dass sich die Entwicklung auch hier so vollziehen wird.

Die Krankenhäuser forderten unter anderem zusätzliche Betten in der Psychiatrie. Warum sind Sie dem nicht nachgekommen?

Was wir in diesem Bereich erleben, ist nach meiner Ansicht zum Teil eine Fehlversorgung. Diese haben wir unter anderem deshalb, weil es bislang Fehlanreize in der entsprechenden Vergütung gibt. Menschen werden stationär behandelt, weil in der ambulanten oder teilstationären Versorgung in den Krankenhäusern die Vergütung nicht stimmt. Wir wollen deshalb, dass Krankenhäuser und Krankenkassen gemeinsam neue Wege gehen. Die Versorgung muss sich daran orientieren, was der Mensch tatsächlich braucht. Aus medizinischer Sicht ist es bei psychischen Erkrankungen oft besser, wenn der Patient ambulant behandelt wird und in seinem sozialen Umfeld bleiben kann. Das macht aber auch eine bessere Überleitung der Betroffenen zu niedergelassenen Therapeuten notwendig.

Wirtschaftliche Fehlanreize führen auch schnell zu unnötigen Operationen. Wird hierzulande zu viel operiert?

In einigen Bereichen ja, das sagen selbst chirurgische Fachgesellschaften.Ganz offensichtlich wird dies, wenn man einen regionalen Vergleich zieht: In manchen Regionen werden etwa Kindern in deutlich höherem Maße die Mandeln herausgenommen als in anderen. Medizinisch ist das nicht erklärbar. Ich setze mich deshalb dafür ein, dass wir keine Überkapazitäten haben, die durch Operationen gefüllt werden müssen, sondern dass wir Krankenhäuser so planen und vergüten, dass Spezialisierung möglich und die Grund- und Notfallversorgung auskömmlich ist. Bei vielen Behandlungen kommt es nicht darauf an, dass die Betroffenen sofort in irgendein Krankenhaus, sondern in angemessener Zeit in das richtige Krankenhaus kommen.

Bei der Ehec-Krise, ganz am Anfang Ihrer Zeit als Senatorin, galt das gleichermaßen. Wir fragen uns seitdem: Haben Sie etwas gegen Gurken aus Spanien?

Diese eindeutig falsche Unterstellung begleitet mich in gewisser Weise seit der Ehec-Krise, wenngleich sie durch Wiederholungen nicht richtig wird. Wir steckten 2011 mitten in der Ehec-Krise und alle, egal ob öffentlicher Gesundheitsdienst, Lebensmittelkontrolleure oder Ärztinnen und Ärzte suchten fieberhaft nach der Ursache der vielen schweren Erkrankungen und Todesfälle. Genau in dieser Phase haben wir in Hamburg auf Gurken aus Spanien einen Ehec-Erreger gefunden.

Aber es gibt doch verschiedene Ausprägungen des Erregers, manche sind gefährlicher, andere weniger.

Auf diesen Gurken befand sich ein hochgiftiger Serotyp. Deshalb mussten wir völlig unabhängig von der Ehec-Krise eine öffentliche Warnung aussprechen, und zwar sofort. Wir konnten nicht darauf warten, bis die letzten Labor-Untersuchungen abgeschlossen waren, um zu benennen, um welchen Typen es sich genau handelt. Erst deutlich später stellte sich heraus, dass offensichtlich Sprossen die Ursache der Erkrankungen waren. Zu unserer Entscheidung, vor den Gurken zu warnen, gab es keine Alternative. Alles andere wäre fahrlässig gewesen.

Ein Gemüseproduzent aus Andalusien hat die Stadt Hamburg wegen Ihrer Warnung auf Schadenersatz in Höhe von 2,28 Millionen Euro verklagt. Das Verfahren ist jetzt am Oberlandgericht Hamburg anhängig.

Ja, das ist richtig. Wir sind aber nach wie vor von der Richtigkeit unseres Vorgehens überzeugt und werden diesen Prozess deshalb auch weiter führen.

Auf einer der vielen Pressekonferenzen während der Ehec-Krise passierte noch etwas, was eine Menge über Sie als Person verrät: Nach Ihrem Wort an die Presse, einer zehnminütigen freien Rede, stellte ein Kameramann eines öffentlich-rechtlichen TV-Senders zähneknirschend fest, dass die Kamera nicht lief. Wissen Sie noch, wie Sie reagiert haben?

Ja, daran kann ich mich noch erinnern. Ich habe das Ganze dann noch einmal wiederholt.

Einfach so?

Unmittelbar vor der Pressekonferenz hatte ich die letzten Ergebnisse der Labor-Untersuchungen erhalten. Ich hatte deshalb kein Redemanuskript. Es hilft in einem solchen Fall natürlich, wenn man sich in einer Materie gut auskennt und verschiedene Fakten schnell abrufen kann, weil man sie im Kopf hat.

Braucht eine Gesundheitssena-torin eine Epidemie, um glänzen zu können?

Nein. Ich bin heilfroh, wenn in Hamburg oder anderswo keine Epidemie grassiert. Sie wissen ja auch, Schlagzeilen folgen oft der Regel: „Only bad news are good news.“ Ohne Skandal oder wie im genannten Fall eine Epidemie steht man als Politiker eben auch nicht unbedingt im Mittelpunkt der Berichterstattung. Aber das ziehe ich gerne vor.

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