Herzkatheteruntersuchung zu spät veranlasst – der Patient stirbt!

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1. Ausgangsfall

Der BGH hat in seinem Beschluss vom 22.12.2015 – VI ZR 67/15 klargestellt, dass eine unterlassene Behandlungsmaßnahme auch dann ein Behandlungsfehler sein kann, wenn sie nicht „zwingend“ geboten war, sondern ihr Unterlassen im Zeitpunkt der Behandlung lediglich medizinischen Standards zuwiderlief.

Im vorliegenden Fall klagte die Ehefrau des verstorbenen Patienten gegen den behandelnden Arzt und das Krankenhaus auf Schadensersatz und Schmerzensgeld, weil der Arzt u.a. eine gebotene Herzkatheteruntersuchung zu spät veranlasst und der Patient zu früh aus dem Krankenhaus entlassen worden sei.

Im Zeitraum von November 2007 bis April 2008 suchte der Ehemann der Klägerin den beklagten Arzt mehrfach zunächst wegen Atemnot auf. Der Beklagte überwies ihn sodann mit Verdacht auf Herzinfarkt an das beklagte Krankenhaus. Dort wurde er u.a. medikamentös mittels Gabe von Marcumar behandelt und wieder entlassen. Doch die Beschwerden verschlimmerten sich, sodass eine erneute stationäre Aufnahme und eine weitere medikamentöse Behandlung im Krankenhaus erfolgte. Die Kurzatmigkeit persistierte jedoch hartnäckig, sodass bei einer erneuten Vorstellung eine Röntgenaufnahme der Lunge und ein CT mit Verdacht auf Zwerchfellentzündung veranlasst wurden. Das CT ergab, dass sich Wasser in der Lunge befand, weshalb der Ehemann der Klägerin zur Punktion in das beklagte Krankenhaus überwiesen wurde.

Trotz erfolgter Lungenpunktion und Antibiotikagabe verschlechterte sich der Zustand des Patienten weiter, sodass er sich im Januar 2008 wieder bei dem beklagten Arzt vorstellte. Es wurden in der Folge wieder Wasseransammlungen im Bereich der Lunge festgestellt, allerdings ohne eine pathologische Ursache finden zu können. Erst Anfang April 2008 wurden im beklagten Krankenhaus Echokardiografien durchgeführt, welche zu dem Befund einer schweren operationsbedürftigen Mitralklappeninsuffizienz führten. Eine am 04.04.2008 vorgenommene Herzkatheteruntersuchung bestätigte diesen Befund und ergab die Notwendigkeit einer Bypassoperation. Der Patient wurde am 04.04.2008 zunächst aus dem Krankenhaus wieder entlassen und stellte sich am 08.04.2008 im A-Krankenhaus vor. Allerdings konnte die geplante Operation nicht mehr vorgenommen werden, weil der Ehemann der Klägerin am 10.04.2008 verstarb.

Die Klägerin macht u.a. geltend, dass die Herzkatheteruntersuchung wesentlich früher hätte durchgeführt werden müssen. Weiterhin hätte das beklagte Krankenhaus den Kläger am 04.04.2008, als die schwere Mitralklappeninsuffizienz bereits festgestellt worden war, nicht wieder entlassen dürfen, sondern den Kläger direkt zur stationären Aufnahme in das A-Krankenhaus überweisen müssen. Bereits im Dezember 2012 habe bei dem Ehemann eine massiv gestaute Halsvene vorgelegen, die dem beklagten Arzt als Indiz für eine hochgradige Klappeninsuffizienz hätte dienen und ihn zur Vornahme entsprechender Befunderhebungsmaßnahmen, wie der Herzkatheteruntersuchung, veranlassen müssen. Dieses Vorgehen war nach dem medizinischen fachärztlichen Standard von dem behandelnden Arzt, laut eines Sachverständigengutachtens, zu erwarten gewesen.

Die nicht rechtzeitige Vornahme der nach medizinischem Standard gebotenen Herzkatheteruntersuchung war laut BGH behandlungsfehlerhaft. In der Folge hat der BGH den Beschluss des Berufungsgerichts aufgehoben und den Rechtsstreit an dieses zurückverwiesen.

2. Kommentar

Die Klarstellung des BGH ist konsequent, denn ein Behandlungsfehler liegt per Definition dann vor, wenn der behandelnde Arzt von dem allgemein anerkannten medizinischen Behandlungsstandard zum Zeitpunkt der Behandlung abweicht, vgl. Senat, NJW 2003, 2827 = VersR 2003, 1256; BGHZ 188, 29 = NJW 2011, 1672 Rn. 9, 12. Auch nach bisheriger Ansicht, konnte eine solche behandlungsfehlerhafte Abweichung in einem Unterlassen liegen. Nur die Anforderungen an die unterlassene medizinische Behandlung hat der BGH herabgesetzt. Musste die Behandlungsmaßnahme zuvor „zwingend“ geboten sein, genügt nun ein einfaches „Gebotensein“ nach den medizinischen Standards. Es verwundert, dass diese Klarstellung nicht bereits viel früher erfolgt ist, denn es ist nicht nachvollziehbar, weshalb ein Arzt, der eine nach medizinischem Standard erforderliche, aber nicht zwingend gebotene Behandlung, unterlässt, keinen Behandlungsfehler begehen soll, wenn der Behandlungsfehler als jegliches Abweichen vom medizinischen Standard definiert ist.

Darüber hinaus ist es wegen der Komplexität des menschlichen Organismus und der Vielzahl an Einflussfaktoren auf den Krankheitsverlauf oftmals, auch für den behandelnden Arzt, im Vorfeld nicht absehbar, wie sich das Unterlassen einer bestimmten Behandlungsmaßnahme im weiteren Behandlungsverlauf auswirkt. Der BGH minimiert deshalb mit seiner Klarstellung die Haftungsunsicherheit, denn nun ist es auch für den Behandelnden eindeutig, dass gebotene Behandlungsmaßnahmen auch vorgenommen werden müssen. Geboten ist eine Behandlungsmaßnahme dann, wenn sie nach dem aktuellen fachmedizinischen Erkenntnisstand von dem behandelnden Arzt erwartet werden kann.

3. Fazit

Sofern Sie deshalb vermuten, dass ein Arzt eine bestimmte Behandlungsmaßnahme nicht oder verspätet vorgenommen hat und Ihnen oder einem Angehörigen daraus ein Schaden entstanden ist, so konsultieren Sie unbedingt einen arzthaftungsrechtlich spezialisierten Rechtsanwalt. Dieser wird mittels Einholung eines Sachverständigengutachtens prüfen lassen, ob es sich bei der unterlassenen Behandlungsmaßnahme um einen Behandlungsfehler handelt und Ihre Ansprüche auf Schmerzensgeld und Schadensersatz durchsetzen.

Ass. iur. Winter M.A.


Rechtstipp aus dem Rechtsgebiet

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