Die Psychiatrie in Bremen pfeift auf dem letzten Loch. Diesen Eindruck erwecken Vertreter von Patienten und der Deutschen Gesellschaft für soziale Psychiatrie (DGSP).
Die Psychiatrie in Bremen pfeift aus dem letzten Loch. Diesen Eindruck erwecken Vertreter von Patienten und der Deutschen Gesellschaft für soziale Psychiatrie (DGSP). Es gebe zu wenig Personal, zu wenig fachliche Kompetenz und obendrein zu wenig Unterstützung vom Senat, heißt es. Seit rund zehn Jahren zweige die Gesundheit Nord (Geno) Millionen Euro in der Psychiatrie ab und verwende sie für den Ausgleich von Defiziten im medizinischen Bereich oder für Investitionen. Patientenfürsprecher Peter Kruckenberg fordert mehr Transparenz.
Man könne davon ausgehen, dass für die Krankenhäuser jährlich Beträge abgezogen werden, die dann der Psychiatrie fehlten, sagt Kruckenberg, der bis 2004 das Klinikum Ost leitete. In einem Bericht habe die senatorische Behörde zugegeben, dass sie nicht weiß, ob das von den Krankenkassen bereitgestellte Geld tatsächlich für Personal in der Psychiatrie eingesetzt wird. „Über das Ausmaß dieser Fehlfinanzierung hat die Behörde offenbar keine Untersuchung veranlasst“, so Kruckenberg.
Die Geno streitet den Vorwurf ab: „Es trifft (...) nicht zu, dass Gelder aus der Psychiatrie abgezogen‘ werden und in somatische Bereiche fließen“, teilt Sprecherin Karen Matiszick mit. „Vielmehr fließt das Geld in die Infrastruktur der Psychiatrie.“ Und selbst wenn das Geld in die somatischen Bereiche fließt, heißt es dazu in einer Reaktion aus dem Gesundheitsressort, komme dies auch psychisch kranken Patienten zugute, denn auch sie litten vielfach unter somatischen, also körperlichen Beschwerden. Genau aufschlüsseln lasse sich dies in einem Haus wie dem Klinikum Ost, in dem Somatik und Psychiatrie unter einem Dach angesiedelt seien, indes nicht, so ein Behördensprecher.
Behörde beklagt Fachkräftemangel
Doch es gibt noch mehr Kritik: Während die Arbeitsbelastung der Angestellten von Jahr zu Jahr wächst und auch die Patienten zunehmend die finanzielle Not der Geno zu spüren bekommen (siehe nebenstehenden Artikel), „weiß das Gesundheitsressort offenbar nicht, welcher Anteil der Mittel entsprechend der gesetzlichen Verordnung für die Patienten in der Psychiatrie eingesetzt wird“, mutmaßt Kruckenberg.
DGSP-Vorstand Sven Bechtolf schließt sich an: „Die Personalpolitik der Psychiatrie passt nicht zu den Bürgerschaftsbeschlüssen. Man hätte versuchen müssen, mehr sozialpsychiatrische Ärzte und mehr Pflegepersonal einzustellen.“Auf Anfrage teilt die Geno mit, dass derzeit 25 Stellen in der Psychiatrie nicht besetzt sind. Das, so Sprecherin Matiszick, sei aber keineswegs nur eine Frage der Finanzierung. Es liege auch am Fachkräftemangel. „Vor allem Psychiatrie-Pflegefachkräfte sind auf dem Markt derzeit kaum zu bekommen.“
Bereits 2013 hatte das Parlament einstimmig einen Plan verabschiedet, nach dem die Versorgung psychisch kranker Menschen im Land auf Vordermann gebracht werden könnte. Der Kern: Die Strukturen sollen bis 2020 so organisiert sein, dass Menschen mit psychischen Erkrankungen nach Möglichkeit ambulant behandelt werden. Klinikaufenthalte sollen vermieden werden. Doch: „Es hapert an der Umsetzung“, moniert Kruckenberg und meint damit die verpflichtende, patientenzentrierte Zusammenarbeit.
Kritik am Senat
Bislang, so der Patientenfürsprecher, sei es nicht gelungen, Verantwortlichkeiten zu schaffen und einen Verbund, dessen Mitwirkende Menschen mit psychischen Erkrankungen zuverlässig ambulant versorgen. In den Stadtteilen arbeite weiterhin jeder freie Träger vor sich hin. „Der Senat lässt es laufen“, kritisiert er. Aus dem Plan des Parlaments indes habe sich die Behörde nur einzelne Punkte herausgegriffen und verwirklicht. „Man muss aber alles zusammen im Kopf haben, um ein Versorgungssystem entwickeln zu können“, so Kruckenberg.
Nach seinen Worten fehlt dem Personal in der Psychiatrie der klare Auftrag, die Kürzungen zu beenden, außerdem „eine Analyse, welche Parlamentsvorgaben bereits umgesetzt sind und wie viel Personal nötig ist, um die offenen Punkte auf den Weg zu bringen.“ Noch immer gebe es zum Beispiel kein Konzept für die Zusammenarbeit der Verantwortlichen und Träger im Bremer Westen.
In Bremerhaven würden inzwischen Genesungsbegleiter auf den Stationen eingesetzt – in Bremen sei das aber noch nicht der Fall. Das soll sich aber ändern, heißt es dazu aus dem Gesundheitsressort. Die Geno arbeite zurzeit an der Umsetzung des Bürgerschaftsbeschlusses, habe ein erstes Konzept vorgelegt. Und bis Jahresende wolle sie ein Gesamtkonzept vorlegen.
Krisendienst sollte erhalten bleiben
Scharfe Kritik übt Kruckenberg auch an der Kürzung des psychiatrischen Krisendienstes für die Nacht. „Es ist unmöglich, dass dieser Dienst von heute auf morgen geschlossen wird, ohne etwas Neues anzubieten“ – und ohne zu wissen, welche Auswirkungen das habe. „Es kann sich einer umbringen oder er bringt jemanden anderes um oder Menschen landen in der Klinik“, nennt Kruckenberg mögliche Folgen. Die Überlastung der Angestellten im Krisendienst führt Kruckenberg auf Probleme im Management zurück. „Der Krisendienst war nicht optimal organisiert, aber er hatte seine Berechtigung.“
Der Patientenfürsprecher hebt dabei dessen direkte und präventive Wirkung hervor: „Es gibt Patienten, die brauchen fachliche Beratung vor Ort. Mit anderen löst man am Telefon Probleme für die Nacht oder das Wochenende“, sagt Kruckenberg, der selbst 15 Jahre im Krisendienst gearbeitet hat. „Eine Reihe von Patienten, die zu Hause sind, denen geht es gut. Sie wissen aber, wenn es schlimmer wird, dann kann ich anrufen.“
Alternativmodelle werden geprüft
Nach Angaben der Bremer Gesundheitsbehörde war die Umstrukturierung eine Reaktion auf die Arbeitsbelastung der Beschäftigten in der Psychiatrie. Daher sei eine Arbeitsgruppe zu dem Ergebnis gekommen, den nächtlichen Dienst einzuschränken und dafür die Ausstattung am Tag zu stärken. Nun würden zurzeit Alternativmodelle geprüft, so ein Sprecher: „Seit dem Wegfall des nächtlichen Krisendienstes kommen in der Regel ein bis zwei Patienten pro Tag mithilfe von polizeilichen Fachkräften in Bremer Kliniken. Ein Großteil davon verbleibt stationär.“