Berufschancen für Mediziner : Freie Wahl für junge Ärzte
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Kontakt zum Alltag fehlt: Angehende Ärzte absolvieren ihre Ausbildung fast ausschließlich im Krankenhaus. Bild: Reuters
Jedes Jahr wächst die Zahl der Mediziner. Dennoch fehlen sie in Kliniken und immer öfter in der Provinz. Was läuft da schief, und was wird dagegen getan?
Der Arbeitsmarkt für Ärzte wächst und wächst und wächst. Jedes Jahr verzeichnet die Statistik der Bundesärztekammer ein Plus. Im vergangenen Jahr betrug es 1,7 Prozent. Bundesweit arbeiteten laut Bundesärztekammer 371302 approbierte Ärzte in Praxen, Krankenhäusern, dem öffentlichen Gesundheitswesen, in Verwaltung, Forschung oder Industrie. Anteilig die meisten von ihnen, 189622, verdienten ihr Geld im Krankenhaus. 150106 Mediziner kümmerten sich in der ambulanten Versorgung um ihre Patienten.
Das sind so viele Ärzte wie noch nie. Im Jahre 2000 waren es erst 294000 Mediziner, 120000 von ihnen arbeiteten in der Niederlassung, 140000 in den Krankenhäusern. Heute ist es also schon ein Viertel mehr. Und doch ist der Bedarf noch lange nicht gesättigt.
Mangel an deutschsprachigen Bewerbern
Dabei treibt der Notstand mitunter seltsame Blüten: Personalchefs in Krankenhäusern müssen auf Deutsch radebrechende Ärzte aus dem Ausland zurückgreifen, weil sie keine geeigneten deutschsprachigen Bewerber finden. In der ambulanten Versorgung müssen Patienten zuweilen Wochen oder Monate auf einen Facharzttermin warten, weil es zu wenige freie Termine gibt. Der Gesetzgeber hat den Kassenärzten deshalb vorgeschrieben, Terminservicestellen einzurichten.
Wie passt das zusammen: Die Statistik der Bundesärztekammer zählt immer mehr approbierte Ärzte, während freie Stellen unbesetzt bleiben und Kranke Gefahr laufen, nicht angemessen versorgt zu werden? Gründe für das Auseinanderlaufen von Nachfrage und Angebot gibt es viele. Da wären zu einem die Patienten.
Zwar wächst die Bevölkerung seit Jahren nicht mehr, das vergangene Jahr mit dem großen Zustrom der Migranten einmal ausgenommen. Dennoch nimmt in einer älter werdenden Gesellschaft wie der deutschen die Nachfrage nach ärztlicher Beratung und Betreuung zu.
Ärzte arbeiten heute weniger lang als früher
Neue Möglichkeiten zur Diagnose und Behandlung weiten zudem das Angebot medizinischer Leistungen grundsätzlich aus – die schier unaufhaltsame Zunahme diagnostizierter psychischer Krankheiten dürfte damit zu begründen sein. Auch die wachsende Zahl an Krankenhausfällen ist ein Spiegelbild all dessen.
Zudem arbeiten Ärzte heute weniger lang als früher. Das hat nicht allein mit der individuellen Einstellung zum Job – der vielzitierten Generation Y – zu tun. Überlange Dienste im Krankenhaus wurden verboten, auch um Patienten und Ärzte zu schützen. Das hat zu einer massiven Ausweitung der Stellen und kürzeren Arbeitszeiten geführt. Selbst niedergelassene Ärzte reduzieren ihre Öffnungszeiten. Wochenarbeitszeiten von 50 oder 60 Stunden, wie sie in deren Elterngeneration üblich waren, sind heute verpönt.
Auch Teilzeitarbeit nimmt zu. Patienten erkennen das an eingeschränkten Öffnungszeiten vieler Praxen. Personalabteilungen in Krankenhäusern suchen sich nach individuellen Wünschen der begehrten Arbeitskräfte zu richten, und das umso mehr, wenn sie nicht in den überaus begehrten urbanen Zentren liegen. Und das gilt nicht nur für junge Mütter.
Die Zahl der Ärztinnnen wächst überproportional
Da aber auch die Zahl der Ärztinnen überproportional wächst, führt die Betrachtung einer Statistik, die nur die Ärzte-Köpfe zählt, in die Irre. Das gilt erst recht vor dem Hintergrund, dass in den kommenden Jahren eine große Pensionierungswelle ansteht: Denn auch in der Ärzteschaft verabschieden sich die Babyboomer in der Ruhestand.
Das alles sind Faktoren, die die Arbeitsmarktchancen für angehende Mediziner in hellen Farben leuchten lassen. Nicht umsonst denkt die Politik über eine Reform des Medizinstudiums und darüber nach, wie man mehr jungen Ärzten den Dienst auf dem Land schmackhaft machen kann. Nicht zuletzt soll die Zahl der Studienplätze ausgeweitet werden.
Inzwischen werden regelrechte Kampagnen aufgelegt, um die begehrten Mediziner von morgen zu ködern, für die nach aktuellen Umfragen Geld im ohnehin gutbezahlten Arztberuf keineswegs die wichtigste Triebfeder ist. Besonders aktiv um den Nachwuchs kümmern sich die niedergelassenen Ärzte. Sie haben einen systemischen Mangel: Während des Studiums kommen die angehenden Ärzte mit der Arbeit des niedergelassenen Arztes kaum in Kontakt: Sie büffeln an der Uni und besuchen Lehrkrankenhäuser. Auch den Facharzt machen sie am Krankenhaus.
Unis bieten Kurse zur Praxisgründung an
Die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) hat deshalb vor zwei Jahren eine Kampagne mit dem Appell: „Lass Dich nieder“ gestartet. Nicht ohne Hintersinn wird dabei gefragt: „Kann man Niederlassung lernen?“. Das ist natürlich nur Rhetorik, wirbt die Website doch gleich für einen „Kurs zur erfolgreichen Praxisgründung“. An manchen Universitäten, etwa in München und Erlangen, gehört das schon zum Lehrangebot.
Mentoren stehen aus der KBV-Homepage per E-Mail für Fragen Rede und Antwort. Dort finden sich Hinweise für Job- und Famulatur-Börsen. Fragen jenseits der medizinischen Wissenschaft werden aufgerufen und beantwortet. Etwa: „Ist der Antrag auf Zulassung als niedergelassener Arzt, ohne den man keinen Kassenpatienten abrechnen kann, wirklich ein ,Antrag fürs ganze Leben‘?“ Junge Ärztinnen berichten, wie sie schwanken und wanken, ob sie dem Krankenhaus oder der Praxis den Vorzug geben sollen.
Junge Ärzte arbeiten lieber als Angestellte
Und wenn in niedergelassener Praxis arbeiten, dann wie? Wie viel unternehmerische Verantwortung erfordert ein solches Vorhaben, oder startet man doch lieber ohne hohe Investitionen gleich zu Beginn der Berufskarriere? Was unterscheidet die Einzelpraxis von der Praxisgemeinschaft und die wiederum von der Gemeinschaftspraxis? Oder wäre die Anstellung als Arzt in einem Versorgungszentrum oder bei einem niedergelassenen Praxisinhaber die bessere Alternative?
Schließlich arbeiten immer mehr junge Ärzte gerne als Angestellte. Auch in der Niederlassung steigt die Zahl jener Ärzte, die feste Wochenarbeitszeiten und flache Hierarchien bei einem geregelten Einkommen den Fährnissen und Chancen einer selbständigen Berufstätigkeit als Mediziner vorziehen. Um Studenten mit dem Alltag des niedergelassenen Arztes bekanntzumachen, finanzieren in Thüringen Kassen und Kassenärzte einen eigenen „Ärztescout“. Der Scout ist in diesem Fall eine Dame und die heißt Christin Walther. Seit einem Jahr steht die Gesundheitswissenschaftlerin an der Uniklinik Jena angehenden Medizinern Rede und Antwort. Sie wolle „Medizinstudenten und jungen Ärzten helfen, aus dem vielfältigen Förderangebot das jeweils passende herauszufinden“, sagt Walther. Denn die ambulante Medizin habe im Studium ja „nicht oberste Priorität“.
Regionen und Kommunen bieten finanzielle Starthilfe
Manche Praxisgründung oder Übernahme in unterversorgten Regionen wird von Kommunen, Kassen und Ärzteorganisationen bezuschusst. Wer als Mediziner in die tiefe Provinz geht, muss zwar beim Freizeitangebot womöglich zurückstecken, kann aber auf mancherlei finanziellen Anschub und viel Hilfe setzen.
Walther holt dafür Praktiker an die Uni, etwa den Chef des Hausarztverbands zum „Speed-Dating“. Sie organisiert Informationsbörsen, baut ihren Infostand auf Jobmessen auf oder veranstaltet Ausflüge mit Studenten in die Versorgungsrealität der Republik. Zum Beispiel mit einem Besuch im Landkreis Ilmenau. Dort tingelt sie mit angehenden Ärzten durch diverse Praxen oder schaut sich im öffentlichen Gesundheitsdienst und in einem Medizinischen Versorgungszentrum um. „Werbung allein genügt nicht“, sagt Walther. Es komme auch darauf an, bei den jungen Ärzten „Befürchtungen vor der eigenverantwortlichen Tätigkeit in der eigenen Praxis abzubauen“.