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Plünderung

AOK beklagt Plünderung der Kassen

Bayern / Lesedauer: 4 min

Offenbar wenden Betrüger immer neue Strategien an – Jedes Jahr Millionenschaden
Veröffentlicht:20.08.2016, 06:33

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München - Der Anreiz, sich von den 328 Milliarden Euro (Stand: 2014), die im deutschen Gesundheitssystem jährlich bewegt werden, ein Stück abzuschneiden ist groß. Transparency Deutschland schätzt, dass durch Korruption zwei bis acht Prozent der Gelder versickern. Besonders aktiv bei der Aufdeckung von „Fehlverhalten im Gesundheitswesen“ ist die AOK Bayern. Gleichwohl macht man sich in der Münchener Zentrale keine Illusionen, dass man mit der hauseigenen „Fehlverhaltensstelle“ nur die „Spitze des Eisbergs“ freilegt.

Soviel Geld macht erfinderisch. Dominik Schirmer , Beauftragter der AOK Bayern zur Bekämpfung von Fehlverhalten im Gesundheitswesen, listete am Mittwoch in München eine Fülle von Tricks auf, mit denen Schwarze Schafe die Krankenkassen um Millionensummen betrügen. „Klassiker“ sind die Abrechnung nicht erbrachter Leistungen und von „Luftrezepten“, bei denen sich Apotheker und Versicherte die ergaunerten Beträge teilen.

Auch bei Hilfsmitteln wird getarnt und getäuscht: So lieferte ein Sanitätshaus selbst produzierte Anti-Dekubitus-Matratzen zum Stückpreis von 30000 Euro aus, die jedoch nicht den Anforderungen genügten. Eine Arztpraxis rechnete munter Krankengymnastik-Leistungen ab, obwohl die einzige dafür qualifizierte Mitarbeiterin wöchentlich nur drei Stunden beschäftigt war. Eine Hebamme erfand eine zweite Identität, die sich ebenfalls Leistungen honorieren ließ. Ein Physiotherapeut ließ sich Krankengeld auszahlen, rechnete aber gleichzeitig Leistungen ab. Und so weiter und so fort.

„Krebsmafia“ schlägt zu

Richtig teuer und ernsthaft kriminell wurde es im Fall der „Krebsmafia“. Zahlreiche Apotheken in ganz Deutschland bezogen aus Osteuropa Chemikalien, um diese selbst zu Zytostatika zusammen zu mischen. Die teuren Anti-Krebs-Mittel durften sie zwar selbst herstellen, aber die dafür bezogenen Grundstoffe waren weder geprüft noch zugelassen.

Zwischen 700 und 960 Euro kostet eine Tablette des Medikaments „Sovaldi“ zur Behandlung von Hepatitis C. Ein Patient benötigt über drei Monate hinweg täglich eine Tablette zur Behandlung. Gleichwohl verschrieb ein Mediziner die dreifache Dosis. Bei der AOK geht man jetzt diesem Fall nach.

Zwischen 2004 und 2015 habe allein die AOK Bayern, die 4,4 Millionen Versicherte zählt, einen Betrugsschaden von mehr als 60 Millionen Euro festgestellt und 41 Millionen Euro zurückgeholt, berichtete ihr Verwaltungsratsvorsitzender Matthias Jena . Damit liegt die AOK Bayern bundesweit an der Spitze. In den Jahren 2012 und 2013 trieb sie etwa ein Viertel der Summe ein, die alle gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland zusammen zurückholen konnten.

Vielfältig seien auch die aufgedeckten Verstöße im Pflegebereich, berichtete AOK Bayern-Vorstandsvorsitzender Helmut Platzer. Sie reichten von der Abrechnung nicht erbrachter Leistungen und Anfahrtspauschalen bis zur Manipulation abrechnungsrelevanter Unterlagen. Allein im Pflegebereich registrierte die AOK Bayern in den letzten fünf Jahren 1900 neue Verdachtsfälle mit einem festgestellten Schaden von 1,8 Millionen Euro.

Zentralregister gefordert

Auch im Interesse der vielen „weißen Schafe“ muss der Pflegedienst-Branche mehr auf die Finger gesehen werden, fordert die AOK. Dabei wirke es kontraproduktiv, dass sich die Kassen wegen eines von einem Pflegedienstleiters erstrittenen Urteils kein Führungszeugnis der Verantwortlichen einer solchen Firma mehr vorlegen lassen dürfen, beklagte Platzer.

Außerdem sollte ein bundesweites Zentralregister geschaffen werden, in dem alle Betrugsfälle dieser Art gespeichert werden. Derzeit sei es nicht einmal möglich, die Seriosität eines vom bayerischen Regierungsbezirk Schwaben nach Oberbayern übersiedelten Pflegedienst zu überprüfen. Betrüger könnten umso einfacher in ein anderes Bundesland weiterziehen und dort eine neue Zulassung beantragen, kritisierte Verwaltungsratsvorsitzender Jena: „Das ist völlig untragbar.“

Unterstützt wird die Forderung von Transparency International. Die Organisation fordert außerdem eine Verschärfung der Sanktionsmöglichkeiten bei Regelverstößen und mehr Kontrollbefugnisse des Medizinischen Dienstes der Kassen im Pflegebereich. Im April dieses Jahres hatten Schlagzeilen wie „Russische Pflegedienste plündern Sozialkassen“ für Aufsehen gesorgt. Die AOK Bayern will diesen Machenschaften nun auch mit dem intelligenten Softwareprogramm „Data Mining“ auf die Spur kommen. Das Programm kann Betrugsmuster digital erkennen.