Spardebatte
Aargauer Regionalspitäler gehen zum Gegenangriff über: «Wir sind keine Büchsenfabrik»

Die Politik dreht an immer mehr Stellschrauben, um das Kostenwachstum im Gesundheitswesen einzudämmen. Dazu gehört die Debatte, ob eine Konzentration auf weniger Spitäler helfen könnte. Da wollen die Regionalspitäler nicht zuschauen, sie wehren sich vorbeugend.

Mathias Küng
Drucken
Kämpfen für ihre Spitäler (von links): Daniel Schibler (Spital Menziken), Katharina Hirt (Gesundheitszentrum Fricktal), Marco Beng (Spital Muri) und René Huber (Spital Leuggern)

Kämpfen für ihre Spitäler (von links): Daniel Schibler (Spital Menziken), Katharina Hirt (Gesundheitszentrum Fricktal), Marco Beng (Spital Muri) und René Huber (Spital Leuggern)

Alex Spichale

Im Aargau ist Sparen angesagt. Das äussert sich im Gesundheitsbereich darin, dass der Kanton die Spitaltarife einfriert und gleichzeitig von den Kantonsspitälern mehr Dividende will (vgl. nebenstehenden Artikel). Gleichzeitig wird aus Kostengründen die Zentralisierungsdiskussion lauter. All das alarmiert die Regionalspitäler. Sie fürchten, unter die Räder der «Zentralisierungsfanatiker» zu kommen, wie sie sagen. Nun haben sich die Asana-Spitäler Leuggern und Menziken, das Spital Muri und das Gesundheitszentrum Fricktal (GZF) zur Interessengemeinschaft «Nähe schafft Gesundheit. Ihr Spital in der Region» zusammengeschlossen.

Gesundheitszentrum Fricktal GZF Das Gesundheitszentrum Fricktal (GZF) besteht aus folgenden drei Standorten: den Spitälern Rheinfelden (Bild), Laufenburg und dem Fachärztehaus Frick. 2015 behandelte es 8053 Patienten stationär. Gleichzeitig hatte es 36 177 Eintritte ambulanter Patienten. Anzahl Mitarbeitende: 711, wovon 87 in Ausbildung.
4 Bilder
Asana-Spital Leuggern Das der Asana-Gruppe zugehörige Spital Leuggern im Zurzibiet hat aus Platzmangel das Projekt «Impuls» ins Leben gerufen. Es behandelte letztes Jahr 3 989 Akutpatienten stationär, verzeichnete 8 196 Eintritte von ambulanten Patienten. Das Spital zählt 272 Mitarbeitende, wovon 37 in Ausbildung.
Spital Muri (Kreisspital für das Freiamt) Das Spital Muri wird für 60 Millionen Franken um- und ausgebaut. Es nahm letztes Jahr die neue Intensivstation mit sechs (erweiterbar auf acht) Betten in Betrieb. In Muri wurden 7916 Patienten stationär und 37 633 ambulant behandelt. Das Spital zählt 742 Mitarbeitende, davon 106 in Ausbildung.
Asana-Spital Menziken Das Spital Menziken stellt als öffentliches Spital und regionales Gesundheitszentrum mit 130 Betten im Akutspital und Pflegeheim die stationäre Grundversorgung der Region Aargau Süd sicher. 2015 wurden 3821 Akutpatienten stationär und 8993 ambulant behandelt. 277 Mitarbeitende, wovon 35 in Ausbildung.

Gesundheitszentrum Fricktal GZF Das Gesundheitszentrum Fricktal (GZF) besteht aus folgenden drei Standorten: den Spitälern Rheinfelden (Bild), Laufenburg und dem Fachärztehaus Frick. 2015 behandelte es 8053 Patienten stationär. Gleichzeitig hatte es 36 177 Eintritte ambulanter Patienten. Anzahl Mitarbeitende: 711, wovon 87 in Ausbildung.

Aargauer Zeitung

In Lenzburg legten Vertreter der vier Spitäler dar, warum sie sich bedrängt fühlen und wie sie sich wehren wollen. Doch wer sind denn die «Zentralisierungsfanatiker»? Sitzen diese im zuständigen Departement, im Grossen Rat oder bei den Kantonsspitälern? In allen drei Bereichen gebe es solche Überlegungen, antwortet Marco Beng, CEO des Spitals Muri und CVP-Grossrat. Manche dächten, mit einer Zentralisierung werde es kostengünstiger. Beng: «Grosse Einheiten sind aber teurer als kleine.» Daniel Schibler, Direktor des Spitals Menziken, befürchtet, dass unter dem Kostenaspekt alles über den Haufen geworfen werden könnte. Natürlich seien die Kosten ein Aspekt, aber man müsse die Versorgung gesamthaft anschauen: «Wir sind keine Büchsenfabrik, es geht um Menschen mit Lebensmittelpunkt in ihrer Region.»

Neuauflage im Herbst

Das Departement Gesundheit und Soziales (DGS) hat letztes Jahr eine Neufassung der Gesundheitspolitischen Gesamtplanung (GGPL) in die Vernehmlassung gegeben. Aufgrund des kritischen Anhörungsergebnisses entstand in der Folge zunächst der kürzlich publizierte Strukturbericht, der die Gesundheitsversorgung im Aargau gesamthaft abbildet. Die überarbeitete GGPL ihrerseits kommt laut DGS-Kommunikationschef Balz Bruder noch vor den Herbstferien in den Regierungsrat. Gibt dieser grünes Licht, geht sie an den Grossen Rat. Doch will man damit nicht zuwarten, bis die Nachfolge von Susanne Hochuli geregelt ist? Ziel sei, antwortet Bruder, die GGPL noch in dieser Legislatur zu verabschieden. (MKU)

Die Regionalspitäler befürchten zudem, dass sie in der Spitalliste 2019 (die Verhandlungen dazu haben noch nicht begonnen) bei den Leistungsaufträgen eingeschränkt werden, wodurch sie auch für Ärzte an Attraktivität einbüssen würden. Ein wichtiges Kriterium für Leistungsaufträge sind minimale Fallzahlen. Das leuchtet doch ein? Das sieht René Huber, Direktor des Spitals Leuggern und ebenfalls CVP-Grossrat, genauso: Je mehr Fälle, desto mehr Erfahrung. Die Fallzahlen könnten aber täuschen, gibt er zu bedenken. Denn sie seien pro Spital definiert. In grossen Spitälern könnten sich diese eventuell auf fünf Ärzte verteilen, im Regionalspital auf einen.

Für Genesung rückverlegen?

Man wende sich nicht etwa gegen die Zentren, betont René Huber. Die Zusammenarbeit mit den Kantonsspitälern sei gut. Diese soll weiter gefördert und ausgebaut werden. Eine Konzentration seltener Behandlungen soll durchaus an ausgewählten Spitälern stattfinden. Aber, so Huber: «Oft auftretende, alltägliche Behandlungen gleichfalls zu zentralisieren, macht keinen Sinn. Vielmehr sollen diese Fälle von den Zentren den Regionalspitälern zugewiesen werden.» Das helfe den Zentren, sich auf die schwierigeren Fälle zu konzentrieren. Doch wie geht das? Soll ein Kantonsspital einen Patienten mit Knochenbruch ins Regionalspital schicken? Nein, lacht Huber. Aber Patienten, die länger im Spital bleiben müssen, könnten für die Genesungsphase ins Regionalspital ihrer Wohnregion rückverlegt werden.

Notfall: keine Sekunde verlieren

Ins selbe Horn stösst Katharina Hirt, stellvertretende CEO des GZF Fricktal. Die Gesundheitsversorgung müsse sich «an den Bedürfnissen der Bevölkerung und nicht an irgendwelchen Planvorgaben orientieren».

Auch Kantonsspitäler am Anschlag

Von den letzte Woche vorgestellten Massnahmen zur Sanierung des Finanzhaushalts sind auch die Kantonsspitäler Aarau und Baden betroffen. Das Departement Gesundheit und Soziales griff in die Tarifverhandlungen mit den Krankenversicherern ein. Es seien Verträge mit Arbeitstarifen erreicht worden, die «erheblich unter den bisherigen liegen». Konkret soll das Kantonsbudget dadurch in den kommenden vier Jahren um 3 bis 4,5 Millionen entlastet werden, was aber natürlich auf das Ergebnis der Spitäler drückt. Dennoch will der Kanton als Eigentümer gleichzeitig mehr Geld aus seinen Spitälern herausholen: Sie sollen neu 30 statt 20 Prozent eines allfälligen Gewinns oder 1,5 Prozent des Aktienkapitals als Dividende abliefern. Mit der bisherigen Ausschüttungsregel wären in den nächsten vier Jahren jeweils 2,3 Millionen Dividenden budgetiert worden, jetzt sind es 6,9 Millionen. Die Spitäler werden damit also jährlich 4,6 Millionen Franken weniger Reserven zurücklegen können. Dafür streicht der Kanton auch noch eine Million Beiträge an (alle) Spitäler für gemeinwirtschaftliche Leistungen, die nicht mit den Tarifen verrechnet werden können.

Anspruchsvolle Vorgaben

Das sind harte Bedingungen. Das Kantonsspital Baden erzielte im vergangenen Jahr zwar einen Gewinn von 21 Millionen, was über den Erwartungen des Kantons als Eigner für die kommenden Jahre lag. Das Kantonsspital Aarau hingegen schaffte es mit einem Überschuss von 2 Millionen nur knapp überhaupt zurück in die Gewinnzone, nachdem es 2014 einen Verlust von über 30 Millionen eingefahren hatte. Und dies in einer Zeit, wo Investitionen von mehreren 100 Millionen Franken zu finanzieren sind. Nach seiner eigenen Definition wäre das Kantonsspital Aarau, von dem der Regierungsrat eine höhere Dividendenausschüttung erwartet, heute nicht kreditwürdig. «Eine angemessene nachhaltige Finanzierungsfähigkeit gilt für Spitäler der Akutsomatik aufgrund eines langfristigen Businessplans mit einer Ebitda-Marge von 10 Prozent als erfüllt», schreibt der Regierungsrat in der Beantwortung eines Vorstosses im Grossen Rat. Die Ebitda-Marge ist das Verhältnis des Gewinns vor Zinsen und Abschreibungen zum Umsatz. Sie lag beim Kantonsspital Aarau letztes Jahr bei unter 6 Prozent, Baden erreichte gerade die geforderten 10 Prozent. Wenn weiter auf die Tarife gedrückt und gleichzeitig höhere Ablieferungen an den Kanton verlangt werden, dürfte es also für beide Häuser – vorsichtig ausgedrückt – anspruchsvoll werden.

Wie realistisch die Vorgaben sind, wird sich weisen. Auf jeden Fall zeigen sie exemplarisch das Dilemma, in dem der Kanton in seiner Mehrfachrolle als Mitfinanzierer der Spitalkosten, Spitaleigentümer und Genehmigungsinstanz für die Spitaltarife steckt. Hier setzt das am Dienstag vom Grossen Rat überwiesene FDP-Postulat an: Der Regierungsrat soll in einem Bericht Wege für eine Entflechtung dieser Interessenskonflikte aufzeigen, dabei soll auch der Verkauf der Spitäler an private Betreiber zur Diskussion gestellt werden. (Urs Moser)

Jeder und jede kenne doch die Situation, so Hirt: «Beim Krankheitsnotfall oder Unfall darf keine Sekunde verloren gehen, wollen wir möglichst rasch optimal und professionell versorgt und behandelt werden. Die Regionalspitäler erfüllen dieses wichtige Bedürfnis.» Denn sie sind in der Nähe des Wohn- und Arbeitsortes der Menschen. Nochmals Hirt: «Passiert etwas, kann die Behandlung im Spital in der Region oftmals wesentlich schneller erfolgen als in einem fernen Zentrumsspital.» Zudem sicherten sie eine «qualitativ hochstehende, umfassende Notfall- und Grundversorgung. Und ausserdem fühlten sich Patienten in vertrauter Umgebung wohler. Untermauern kann Hirt ihre Aussage mit einer gfs-Umfrage: 81 Prozent der Befragten befürworten in jeder Region ein Spital, das die wichtigsten spezialisierten Behandlungen anbietet.

2000 Mitarbeitende

Nicht zu vergessen sei, so Daniel Schibler, Direktor des Spitals Menziken, dass die Spitäler in ihren Regionen wichtige Wirtschaftsfaktoren sind. Alle zusammen haben letztes Jahr mit 2000 Mitarbeitenden, darunter 265 Auszubildenden, fast 24 000 Patienten stationär behandelt. Man sichere zudem Hunderte von Arbeitsplätzen in der Region.

Sollten die Regionalspitäler mit 24-Stunden-Notfallstationen und Rettungsdienst an allen 365 Tagen des Jahres ihre Aufgabe verlieren und die Patienten künftig in die Zentren gebracht werden, würde dies Patiententransporte verlängern und das Verkehrsaufkommen noch mehr erhöhen.