Solingen Krankenhäuser in der Zwickmühle

Solingen · Der Medizinethiker Professor Giovanni Maio hielt einen Vortrag am städtischen Klinikum. Er sagt: "Ökonomie dient dazu, Medizin zu ermöglichen."

Die Medizin in Deutschland steckt in der Klemme: Sie soll Patienten heilen und zugleich wirtschaftlich arbeiten. Um dieses Dilemma aufzulösen, hatten das Klinikum und sein Förderverein den Medizinethiker Prof. Dr. Giovanni Maio von der Universität Freiburg zu einem Vortrag eingeladen. Sein Thema lautete: "Patientenwohl als ethischer Maßstab für das Krankenhaus". Klinikum-Aufsichtsrat Kai Sturmfels stellte den Wissenschaftler beim Pressegespräch vor als "einen der exponiertesten Medizinethiker in Deutschland".

Aufsichtsrat Kai Sturmfels erklärte zu den ökonomischen Zwängen, denen das Klinikum unterworfen ist: "In der Theorie sollen die Fallpauschalen die Betriebskosten decken." Deshalb seien die Kliniken bestrebt, die Verweildauer der Patienten zu verkürzen. Gleichzeitig bezifferte Sturmfels die Deckungslücke der öffentlichen Zuschüsse für Investitionen in Gebäude und Geräte in NRW auf 800 Millionen und deutschlandweit auf 3,3 Milliarden Euro. "Wir müssen eine schwarze Null schreiben und den Versorgungsauftrag wahrnehmen", fasste er zusammen. Dadurch werde es für das ärztliche Personal schwieriger, Zeit für Zuwendung und Empathie gegenüber den Patienten aufzubringen.

Professor Giovanni Maio griff das Problem auf: "Es führt kein Weg daran vorbei, den Heilberufen die Möglichkeit zu geben, patientennah tätig zu sein", betonte er. Wenn der Kontakt des Pflegepersonals zu den Patienten durch Bürokratie erschwert werde, drohe eine Entfremdung der Mitarbeiter von ihrem Arbeitgeber. Schließlich hätten diese ihren Beruf aus Überzeugung gewählt, Menschen helfen zu wollen, und nicht, um Gewinne zu optimieren. Für Maio ist die Rangfolge: "Ökonomie dient dazu, Medizin zu ermöglichen." Das heißt konkret, dass Abläufe und Organisation verbessert werden sollten - aber nicht zum Selbstzweck, sondern um gewonnene Zeit für den Patienten zu nutzen. Maio sieht eine Ursache des Problems im System selbst. Die Kliniken würden subtil dafür bestraft, wenn sie komplizierte Patienten aufnähmen, und durch einfache Fälle belohnt. "Die Anreize sind so, dass eine menschliche Medizin erschwert wird", sagt der Wissenschaftler.

Prof. Dr. Peter J. Heering, der stellvertretende Ärztliche Direktor des Klinikums, bestätigt das. "Die Anreize, eine gewisse Patientenselektion zu betreiben, sind da, und dagegen ist anzukämpfen."

Heering sieht noch eine andere Gefahr für das Klinikum: "Die ärztlichen Mitarbeiter könnten überall woanders Stellen bekommen. Für sie ist eine ethisch verantwortungsvolle Medizin wichtig, die haben keine Betriebswirtschaft studiert." Er ist sich der Vorzüge eines kommunalen Klinikums bewusst, in dem solche Problemlagen mit dem Aufsichtsrat diskutiert werden können. Kai Sturmfels betont, das Klinikum weise keine Patienten ab, und es gebe keine "blutigen Entlassungen". Die Einladung von Professor Maio zeige, dass beim Aufsichtsrat ein Problembewusstsein vorhanden sei. "Wir befinden uns in einem freundschaftlichen Diskurs mit den Ärzten."

Aufsichtsratskollege Hans-Joachim Müller-Stöver ergänzt: "Ein Vortrag wie dieser gibt die Gelegenheit innezuhalten. Wir dürfen nicht selektieren zwischen guten und schlechten Patienten."

(bjd)
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