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Arzneiverordnungsreport: AOK kritisiert Preispolitik

AOK-Chef Martin Litsch fürchtet mit Blick auf den Referentenentwurf des Arzneimittel-Versorgungsstärkungsgesetzes (AM-VSG) um die Finanzierbarkeit der Arzneimittelversorgung in Deutschland. Darin würden die Prinzipien des Arzneimittelmarkt-Neuordnungsgesetzes (AMNOG) aufgeweicht und statt der Interessen der Patienten vor allem die Gewinninteressen der pharmazeutischen Industrie in den Mittelpunkt gerückt. Das sagte er bei der Präsentation des Arzneiverordnungsreports (AVR) 2016 des Wissenschaftlichen Instituts der AOK heute in Berlin.

 

Die aktuellen Zahlen belegen: Preistreiber sind dem Report zufolge nach wie vor die patentgeschützten Medikamente. Seit 2006 ist demnach der Preis je Verordnung eines Patentarzneimittels von durchschnittlich 132 Euro auf 369 Euro im Jahr 2015 gestiegen – das entspricht einem Zuwachs von 180 Prozent. Das Inkrafttreten des AMNOG im Jahr 2011 konnte diesen Trend nicht aufhalten. Bei den generikafähigen Arzneien blieb der Preis dagegen nahezu stabil. Dieser bewegt sich laut AVR zwischen 27 und 30 Euro im genannten Zeitraum.

 

Mit rund 925 Millionen Euro im Jahr 2015 blieben die Einsparungen aus dem AMNOG ohnehin hinter den Möglichkeiten zurück, so die Kritik. Zwar seien diese von Jahr zu Jahr um etwa 300 Millionen Euro angestiegen, sagte der Herausgeber des Reports, Professor Ulrich Schwabe vom Pharmakologischen Institut der Universität Heidelberg. Die ursprünglich versprochene Entlastung von 2 Milliarden Euro sei jedoch erst in drei bis vier Jahren zu erwarten.

 

Umso weniger verständlich ist es Litsch zufolge, angesichts der vergleichsweise komfortablen wirtschaftlichen Situation der Pharmahersteller, ihnen im Entwurf des AM-VSG weitere Zugeständnisse einzuräumen. So sollen etwa die vereinbarten Erstattungsbeträge für neue Medikamente künftig vertraulich behandelt werden, um Auswirkungen auf das europäische Preisniveau zu verhindern.

 

Litsch hält dies weder für praktikabel noch für zielführend. «Dass intransparente Preise zu höheren Rabatten der Pharmaindustrie führen, ist keineswegs belegt, auch wenn die Pharmaindustrie das gerne glauben machen möchte», bemängelte er. Darüber hinaus werde damit Ärzten die Möglichkeit genommen, die Wirtschaftlichkeit von Arzneimitteltherapien zu bewerten. Fachkreise könnten nicht mehr über angemessene Erstattungspreise diskutieren. Und nicht zuletzt hätten auch Patienten ein Recht darauf, zu erfahren, was ihre Arzneimitteltherapie kostet.

 

Schwabe fand ebenfalls klare Worte für das geplante Gesetz. Es sei «von den Lobbyisten der Pharmaindustrie geschrieben» und schränke das AMNOG massiv ein. Es diene allein dem Zweck, das Hochpreisland Deutschland als Referenz für andere europäische Länder zu erhalten. «Die Kosten für diese Politik werden auf die deutschen Patienten abgewälzt», kritisierte Schwabe.

 

Der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des Bundesverbands der Arzneimittelhersteller, Hermann Kortland, weist die Vorwürfe zurück. Immerhin seien die Arzneimittelkosten im Vergleich zu anderen Posten – etwa den Verwaltungskosten der Krankenkassen – nur moderat gestiegen. Statt die Vorgaben für die Hersteller weiter zu verschärfen, sei es mit Blick auf den Entwurf des AM-VSG geboten, entwicklungshemmende Regelungen wie etwa die Verlängerung des Preismoratoriums um weitere fünf Jahre noch einmal zu überdenken.

Der Bundesverband der pharmazeutischen Industrie (BPI) bemängelte bereits im Vorfeld die Methodik, die dem AVR zugrunde liegt. So seien etwa die angestrebten Einsparungen von 2 Milliarden Euro das Ergebnis einer Modellrechnung über alle patentgeschützten Arzneimittel hinweg, sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer des BPI, Norbert Gerbsch, am 22. September in Berlin. Für den aktuellen Zeitpunkt sei nicht zu erwarten gewesen, dass das AMNOG das System vollkommen durchdrungen hätte. Zudem berücksichtige der AVR nicht die insgesamt 26 Marktrücknahmen, die laut Gerbsch bislang aus dem Verfahren resultierten. Die Mehrausgaben, die die Einführungen der Präparate mit sich gebracht hätten, seien zwar schwer abzuschätzen, aber dennoch Teil der Einsparungen aus dem AMNOG. (cm)

 

26.09.2016 l PZ

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