Gesundheitswesen
Aargauer Spitäler fordern Deal: Sparen ja – aber nur gegen unternehmerische Freiheit

Der Kanton spart und sucht auch Mehreinnahmen. Die jüngsten Massnahmen alarmieren jetzt den Verband der Aargauer Spitäler, Kliniken und Pflegeheime. Denn die Spitäler stehen unter enormem Spardruck. Sie wollen dafür mehr unternehmerische Freiheit.

Mathias Küng
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Die Kantonsspitäler stehen unter grossem Kosten- und Spardruck und vor grossen Investitionen – zudem erwartet der Kanton von ihnen auch noch mehr Dividende.

Die Kantonsspitäler stehen unter grossem Kosten- und Spardruck und vor grossen Investitionen – zudem erwartet der Kanton von ihnen auch noch mehr Dividende.

Chris Iseli

Der Gesundheitsbereich ist nach Bildung und sozialer Sicherheit der drittgrösste Ausgabenposten des Kantons. Die Spitäler sind mit 670 Millionen Franken der grösste Kostenblock im Gesundheitsbereich.

Dass «Aarau» deshalb auf der Suche nach Sparmöglichkeiten genau auf diese schaut, sei nachvollziehbar, sagt Beat Huwiler, Geschäftsführer der Vaka, in der sich alle Aargauer Spitäler, Kliniken und Pflegeheime organisiert haben.

Und doch wendet sich der Verband höchst alarmiert an die Öffentlichkeit. Es gebe nämlich mehrere Kostentreiber, auf die sie keinen Einfluss hätten. Huwiler meint das Bevölkerungswachstum, den medizinischen Fortschritt, die Alterung der Gesellschaft, das Verhalten der Patienten, die Gesundheitspolitik des Bundes.

Die Kosten des Kantons steigen enorm. Dass er da die Kostenbremse zieht, ist doch verständlich? Dass gespart werden muss, ist für Vaka-Präsident, SVP-Grossrat und Gesundheitspolitiker Hans Dössegger selbstverständlich.

Man müsse aber genau hinschauen, woher die Mehrkosten kommen. 2012, im ersten Jahr der vom Bundesparlament beschlossenen neuen Spitalfinanzierung, trug der Kanton nämlich «nur» 47 Prozent der Spitaltarife der Grundversicherung, 53 Prozent trugen die Krankenkassen: «Jener tiefe Anteil rührte daher, dass der Kanton Aargau ein vergleichsweise günstiges Gesundheitswesen und tiefere Prämien hat.»

Gemäss Gesetz müssen alle Kantone ab 2017 mindestens 55 Prozent «ihrer» Spitaltarife übernehmen. Der Anteil der Krankenkassen sinkt entsprechend. Dössegger rechnet vor, von der seit 2010 bis 2016 eingetretenen Kostensteigerung im Spitalbereich in Höhe von 274 Millionen Franken seien «90 Prozent durch den eidgenössischen und den kantonalen Gesetzgeber ausgelöst worden».

Allein 91 Millionen davon seien ausgelöst durch die (ebenfalls neue) Mitfinanzierungspflicht des Kantons bei ausserkantonalen Behandlungen und für Behandlungen in Privatspitälern. Dazu kam die neue Mitfinanzierungspflicht für die stationäre Rehabilitation, welche vor 2012 alleine von den Kassen finanziert worden war.

Nur knapp 10 Prozent Mehrkosten stammten von den Spitälern selbst. Dazu gibt Vaka-Vorstandsmitglied und CVP-Grossrat Andre Rotzetter, zu bedenken, «dass die Fallzahlen auch aufgrund des Bevölkerungswachstums jährlich um 1,4 Prozent steigen».

Vor über 1 Milliarde Investitionen

Zwischen damals und heute gibt es einen grossen Unterschied. Dössegger: «Früher bezahlte der Kanton Erneuerungen/Neubauten von Spitälern. Diese müssen das Geld dafür mit der neuen Spitalfinanzierung heute selbst aufbringen.»

Bekannt ist, dass die Kantonsspitäler Aarau (KSA) und Baden (KSB) sowie die Psychiatrischen Dienste (PDAG) vor Investitionen von zusammen über 1 Milliarde Franken stehen. Dössegger: «Indem der Kanton diese Mittel nicht mehr selbst aufbringen muss, spart er enorm.»

Aktuell erwartet der Kanton von seinen Häusern einen Ebitda (Gewinn vor Steuern und Abschreibungen) von 10 Prozent, damit sie die anstehenden riesigen Investitionen stemmen können. Man optimiere und spare sehr, sagt dazu Vaka-Vorstandsmitglied Robert Rhiner, CEO des Kantonsspitals Aarau, am Beispiel von Aarau: «Wir gehen verantwortungsvoll mit den Personalkosten um.»

Doch Zürich und Solothurn zahlten heute schon besser: «Wir verlieren gute Leute ans Kinderspital Zürich und ans Kantonsspital Olten.» Rhiner versteht auch nicht, warum der Kanton mit den Versicherern «rückwirkend tiefere Tarife ausgehandelt und diese den Spitälern oktroyiert hat».

Mit den von den Spitälern zuvor selbst ausgehandelten Tarifen wären sie auf Kurs, ist er überzeugt: «Jetzt liegt entweder ein genügender Ebitda für Investitionen oder eine höhere Dividende drin, aber sicher nicht beides.»

Hans Dössegger kann nicht nachvollziehen, warum der Kanton Verhandlungen mit den Kassen geführt habe. Das sei gar nicht seine Aufgabe und schon gar nicht gesetzeskonform. Jetzt könnten die Spitäler froh sein, wenn sie noch einen Ebitda von 5 Prozent erreichen, womöglich gar nur eine schwarze Null.

So sei aber kein Geld für Investitionen da. Andre Rotzetter sagt, man habe einiges geschluckt, spare selbstverständlich, das Mögliche sei aber ausgeschöpft: «Wenn noch mehr dazukommt, gefährden wir das Aargauer Gesundheitswesen substanziell.»

Behandlungen in der allgemeinen Abteilung seien nicht mehr kostendeckend, sagt Hans Dössegger, und formuliert einen harten Vorwurf: «Der Kanton schädigt so seine Betriebe in ihrer Substanz.»

Protest gegen Codier-Prüfung

Tiefere Zahlungen für gemeinwirtschaftliche Leistungen (vgl. Artikel rechts) akzeptiere man, sagt Rhiner weiter. In den Spitälern versteht man aber nicht, warum der Kanton, um zu sparen, eine eigene Codier-Prüfstelle für Spitalrechnungen will.

Dössegger: «Die Spitäler müssen die medizinischen Codierungen von einem unabhängigen Institut periodisch prüfen lassen. Auch die Krankenkassen prüfen richtigerweise die Rechnungen genau. Diese Kontrollen ergeben heute kaum mehr Abweichungen. Die Kantonsspitäler verstehen deshalb nicht, warum der Kanton noch eine Kontrolle will.»

Dössegger sieht darin ein unbegründetes Misstrauen. Er glaubt nicht, dass man damit bis 3 Millionen Franken sparen kann, aber: «Nach meiner Erfahrung löst der Kanton mit einer solchen Zusatzstelle in nachgelagerten Bereichen – hier in den Spitälern – fünf bis zehn neue Stellen aus. Ich sehe hier aber keinerlei Zusatznutzen.»

«Wir haben kürzere Spiesse»

Der Bund will mit der neuen Spitalfinanzierung mehr Wettbewerb. Der Kanton Aargau hat dies exakt umgesetzt, indem die Spitäler alle Investitionen selber tragen müssen. Und jetzt klagen sie. Stehen sie denn nicht mehr dazu?

«Doch, wir wollen Wettbewerb. Dass der Aargau die Investitionen nicht mehr zahlt, ist richtig», sagt Dössegger. Allerdings halten sich nicht alle Kantone daran: «Weil etwa St. Gallen seine Spitäler immer noch massiv subventioniert, Zürich Spitälern die EDV stellt oder sie wie im Falle des Triemlispitals gar selber neu baut usw., haben unsere Häuser kürzere Spiesse.»

Der erfolgte Systemwechsel zur neuen Spitalfinanzierung in Richtung mehr regulierter Wettbewerb sei der richtige Weg, zeigt man sich im Spitalverband überzeugt. Der Anpassungsprozess brauche aber Zeit. Dössegger: «Politische Eingriffe stören diesen Übergang nur.»

Was meint er damit? Aarau versuche mehr und mehr, seine Spitäler zentral zu steuern.
Dössegger: «Das hatten wir in der Schweiz während Jahrzehnten, es hat sich nicht bewährt. Der Wettbewerb läuft faktisch erst seit etwa zwei Jahren. Wir haben noch viel zu wenig Erfahrungszahlen. Es wäre falsch, das System schon wieder zu kippen.»

Beat Huwiler stösst ins selbe Horn. Wenn der Kanton so hohe finanzielle Anforderungen stelle, müsse er den Spitälern unbedingt mehr unternehmerische Freiheit geben. Und zu guter Letzt seien Spitäler nicht nur ein Kostenfaktor, sondern hätten einen hohen volkswirtschaftlichen Nutzen, betont er. Denn sie gehören gesamthaft zu den grössten Arbeitgebern und Bezügern von Dienstleistungen, was den Regionen sehr zugutekomme.