Kranke Spitäler im Appenzellerland

Der Kanton Appenzell Ausserrhoden muss die Chirurgie an seinem Spital in Heiden schliessen. Der Grund: hohe Defizite, zu geringe Fallzahlen. Das Problem stellt sich auch anderswo.

Jörg Krummenacher, Herisau
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Auch am Spital in Appenzell Innerrhoden geht die Rechnung nicht auf: Die Geburtenabteilung musste geschlossen werden. (Bild: Keystone)

Auch am Spital in Appenzell Innerrhoden geht die Rechnung nicht auf: Die Geburtenabteilung musste geschlossen werden. (Bild: Keystone)

Es geschieht selten im beschaulichen Appenzell Ausserrhoden, dass öffentliche Angestellte protestierend auf die Strasse gehen. Vor zwei Wochen aber haben sich in Heiden rund 300 Personen zu einer Kundgebung versammelt, nachdem bekanntgeworden war, dass das Spital Heiden seine chirurgische Abteilung auf Anfang 2017 schliessen und an die nahe Privatklinik am Rosenberg, die zur Hirslanden-Gruppe gehört, auslagern müsse. Seither fürchtet Heiden um die Zukunft «seines» Spitals, manche der 280 Angestellten bangen um ihren Job. Der Grund für den vom Verwaltungsrat beschlossenen Schritt: Das Spital hat im System mit Fallpauschalen zu wenig Fälle, sprich Patienten, um kostendeckend wirtschaften zu können.

Skandal wegen hoher Spesen

Das Spital Heiden ist Teil des Spitalverbunds Appenzell Ausserrhoden, zu dem ein zweites Akutspital und ein psychiatrisches Zentrum, beide in Herisau, gehören. Seit 2012 ist der Spitalverbund als selbständige öffentlichrechtliche Anstalt organisiert. Für 2015 musste er ein Defizit von 9,7 Millionen Franken hinnehmen, wobei ein um 5,4 Millionen höherer Personalaufwand – bei gleichbleibenden Erträgen – ins Auge stach.

Das passte ins Bild eines Verwaltungsrats, der sich selber grosszügig Sitzungsgelder und Spesen ausbezahlte, was bei Bekanntwerden für einen veritablen Skandal sorgte. Einzelne Verwaltungsräte liessen sich 3000 Franken für Sitzungen an einem Tag gutschreiben. Vizepräsidentin war alt Bundesrätin Ruth Metzler. Rücktritte und Rückzahlungen folgten. Seit gut einem Jahr ist ein beinahe vollständig erneuerter Verwaltungsrat im Amt.

Hohe Spitaldichte

Weil die Regierung ebenfalls mit einem Vertreter im Verwaltungsrat präsent ist, geriet sie gleich mehrfach in die Kritik. Vergangenen Montag hat nun das Kantonsparlament eine Motion seiner Finanzkommission erheblich erklärt, mit der die Regierung verpflichtet wird, eine Revision des Spitalbundgesetzes zu prüfen und den Spitälern mehr unternehmerische Handlungsfreiheit zu verschaffen. Zudem sei die Fixierung auf die derzeitigen Spitalstandorte zu hinterfragen. Seit längerem arbeitet die Regierung an einer neuen Eignerstrategie, die im November präsentiert werden soll.

Kranke Spitäler im Appenzellerland

Ob gesetzliche Anpassungen am Grundproblem etwas ändern, ist allerdings fraglich. Die Spitaldichte in und um das Appenzellerland ist (zu) gross, ebenso die Konkurrenz. Das gilt auch für Privatspitäler, etwa für die Klinik am Rosenberg und die nur wenige Kilometer entfernt in Speicher vor einem halben Jahr neu eröffnete Berit-Paracelsus-Klinik in Speicher.

Die Situation dürfte für den Kanton zur Folge haben, dass er seine Spitäler mit höheren Abgeltungen für sogenannte gemeinwirtschaftliche Leistungen stützen muss. Sonst gilt: gesundschrumpfen, spezialisieren, kooperieren. Der Ausserrhoder Gesundheitsdirektor Matthias Weishaupt nutzte die Parlamentsdebatte, um darauf hinzuweisen, dass zahlreiche weitere öffentliche und private Spitäler mit ähnlichen Problemen wie dasjenige in Ausserrhoden zu kämpfen hätten. Als Stichworte nannte er Finanzierungslücken, Personalmangel vor allem beim ärztlichen Personal und bei Spezialisten sowie erhöhte Fluktuationen in Kaderpositionen.

Keine Geburten in Appenzell

Den schmerzlichen Prozess des Abspeckens hat der kleinere der beiden Appenzeller Kantone bereits hinter sich. 2012 musste Innerrhoden seine Geburtenabteilung schliessen. Zu gross war der Kostendruck, zu gering die Zahl der Geburten mit rund 150 pro Jahr. Heute gebären Innerrhoderinnen in Ausserrhoden oder St. Gallen. Die Abnabelung der Geburtenabteilung führte zu emotionalen Debatten, auch an der Landsgemeinde.

Innerrhoden betreibt sein Spital in Appenzell mit Belegärzten und versucht, die Grundversorgung auch dank Kooperationen mit dem Spitalverbund Ausserrhoden und dem Kantonsspital St. Gallen aufrechtzuerhalten. Dennoch geht auch hier die Rechnung nicht auf: Das jährliche Defizit beträgt 2 bis 3 Millionen Franken, 2015 blieben die Einnahmen wegen zu geringer Fallzahlen unter den Erwartungen.

Spitalverbund würde sich anbieten

Diese Woche hat Innerrhoden nun einen Projektwettbewerb für einen Neubau auf dem Gelände seines zum Teil veralteten Spitals in Appenzell lanciert. Das Kostendach beziffert die Regierung mit 35 Millionen Franken. Im Vergleich mit Spitalbauten in anderen Kantonen ist das wenig. Für einen Kanton, dessen jährliches Investitionsbudget durchschnittlich 10 Millionen Franken beträgt, aber ein happiger Brocken.

Angesichts dieser Ausgangslage würde sich ein Spitalverbund der beiden Appenzeller Kantone anbieten. Über eine solche Lösung wurde vor drei Jahren denn auch intensiviert diskutiert; einig wurden sich die beiden Kantone jedoch nicht. Strittig war insbesondere ein Orthopädie-Schwerpunkt am Spital Appenzell. «Es zeigte sich», bemerkte dazu die Innerrhoder Gesundheitsdirektorin Antonia Fässler, «dass das Spital Appenzell und der Spitalverbund Appenzell Ausserrhoden in diesem Bereich nicht nur Konkurrenten sind, sondern es auch bleiben werden.»

Wenig deutet indes heute darauf hin, dass sie sich eine Konkurrenzierung weiterhin leisten können. Womöglich wäre es an der Zeit, die Gespräche wieder aufzunehmen.

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