Yokohama:Vergiftete Infusion

The exterior of Oguchi Hospital is pictured in Yokohama

Tod statt Heilung: Im Oguchi-Krankenhaus in Yokohama ging offenbar monatelang ein Giftmischer um.

(Foto: Kyodo/Reuters)

In einer japanischen Klinik sterben auffällig viele ältere Patienten, 46 binnen drei Monaten. Bis sich mal jemand die Infusionsbeutel genauer anschaut.

Von Christoph Neidhart, Tokio

Die Männer wurden vergiftet, das ergab die Obduktion zweier 88-jähriger Patienten, die kurz hintereinander im Krankenhaus Oguchi in Yokohama im vierten Stock gestorben sind. Die Polizei suchte nicht lange: Sie fand zehn noch unbenutzte Infusionsbeutel mit winzigen Löchern in der Gummidichtung. Die Infusionslösung war mit einem tödlichen Desinfektionsmittel versetzt. Der Täter ist unbekannt.

Im vierten Stock des Krankenhauses sind seit Anfang Juli 46 Patienten gestorben, an einem einzigen Augusttag fünf, im September einmal vier. Das Oguchi-Krankenhaus in Yokohama pflegt viele todkranke Alte, die Häufung der Todesfälle fiel deshalb erst nicht auf. Bis Klinikchef Yoichi Takahashi eine Krankenhausinfektion befürchtete. So kam es zur Obduktion der beiden vergifteten 88-Jährigen. Seit die Polizei ihre Untersuchung aufgenommen hat, ist im vierten Stock niemand mehr gestorben. Weil in Japan die Toten meist verbrannt werden, lassen sich die Todesumstände der anderen Patienten nicht mehr zurückverfolgen.

Das Personal vieler japanischer Krankenhäuser und Altersheime ist überfordert und unterbezahlt. Dazu kommt eine in der Gesellschaft tief sitzende Verachtung von chronisch Kranken, Behinderten und Greisen. Die Japaner sollen sich nützlich machen, auch im Alter noch. Können sie das nicht mehr, sagte Vize-Premier Taro Aso vor einiger Zeit, dann sollten sie lieber bald sterben, statt dem Staat zur Last zu fallen. Das Gesundheitsministerium registriert jedes Jahr mehr Misshandlungen alter Patienten. Voriges Jahr stieß ein junger Pfleger drei alte Patienten vom Balkon eines Krankenhauses. Sie seien ihm auf die Nerven gegangen, sagte er bei seiner Verhaftung. Im Juli erstach ein geistesgestörter ehemaliger Pfleger in einer Klinik 19 Schwerbehinderte. Er habe sie von ihrem miserablen Leben erlöst, sagte er.

In der japanischen Mythologie gibt es das "Ubasute", das "Wegwerfen" alter Frauen. Laut der Legende wurden sie in den Bergen ausgesetzt. Nachweise, dass dies tatsächlich einmal geschah, gibt es keine. Insbesondere keine Skelettfunde dort, wo es nach der Legende getan worden sein soll. Aber die Mär sitzt weiter tief im Bewusstsein Japans.

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