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Krankenkasse: Manipulierte Krankenakten: Geldgier der Kassen hat gefährliche Folgen für Patienten
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Ein Hausarzt
dpa/Bernd Weißbrod Ein Hausarzt misst in seiner Praxis einer Patientin den Blutdruck.
  • FOCUS-online-Experte

Anscheinend halten Krankenkassen die Ärzte dazu an, falsche Diagnosen für höhere Zuschüsse zu stellen. Damit wird nicht nur das System geschädigt. Für den einzelnen Patienten kann es gravierende Folgen haben.

Manipulieren Ärzte die Diagnosen, damit die Krankenkassen mehr Geld erhalten? Der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkassen, Jens Baas, hat das in einem Gespräch mit der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung"  Es sei ein Wettbewerb zwischen den Kassen darüber entstanden, wer es schaffe, dass die Ärzte für die Patienten möglichst viele Diagnosen erstellen. Die Sprecher der Kassen weisen die Vorwürfe nacheinander alle von sich.

Das System wird geschädigt - und auch der Patient

Es ist ein heikles Thema. Das Problem einer manipulierten Diagnose wäre nicht nur, dass sich die Krankenkassen zu viel Geld aus dem Gesundheitsfonds erschleichen und damit die Allgemeinheit schädigen. Denn die Basis für die Zuweisung ist vereinfacht gesagt die Diagnose der Ärzte. Auch für jeden einzelnen könnte dieses Fehlverhalten weitreichende Konsequenzen haben.

Zur Person

David Matusiewicz ist Dekan des Hochschulbereichs Gesundheit & Soziales an der FOM Hochschule und leitet als Direktor das Forschungsinstitut für Gesundheit & Soziales (ifgs). Darüber hinaus ist er Gründungsgesellschafter des Essener Forschungsinstituts für Medizinmanagement (EsFoMed GmbH) und unterstützt als Gründer bzw. Business Angel punktuell Start-ups im Gesundheitswesen.

Die Versicherten können einen echten Schaden davontragen. Dies könnte der Fall sein, wenn jemand aufgrund einer Müdigkeit und Kopfschmerz zum Arzt geht und dieser die Symptome – womöglich noch ohne Wissen des Patienten - als (lukrativere) leichte Depression (F-Diagnose) kodiert.

Das kann zum Problem werden, wenn der Versicherte Jahre später eine Berufsunfähigkeitsversicherung abschließt und in der Selbstauskunft keine Angaben zu dieser Vorerkrankung macht - da er es de facto auch nicht weiß. Kommt es nun zum Leistungsfall und die Versicherung prüft die Krankenakten, zahlt sie wegen der nicht gemeldeten Vorerkrankung womöglich nicht.

Und das ist nur ein Beispiel, wie der Versicherte durch Up-coding geschädigt werden könnte. Auch könnte eine fehlerhafte Krankheitshistorie sich negativ auf den weiteren Verlauf der Behandlung bei anderen Ärzten auswirken, da hier eine falsche Aktenlage zu Grunde liegt.

Patienten haben ein Recht auf Einblick in die Krankenakte

Patienten sind dem jedoch nicht ausgeliefert. Das Patientenrechtegesetz aus dem Jahr 2013 und § 630g BGB geben ihnen das Recht, ihre Krankenakten einzusehen. Dem Patienten ist auf Verlangen unverzüglich Einsicht in die vollständige, ihn betreffende Patientenakte zu gewähren, soweit der Einsichtnahme nicht erhebliche therapeutische Gründe oder sonstige erhebliche Rechte Dritter entgegenstehen.

Soweit die Theorie. In der Praxis wird das Verlangen nach Einsicht in Krankenakten seitens der Patienten meist als zeitraubende Störung des medizinischen Routinebetriebs erlebt (Vgl. Ärzteblatt: http://www.aerzteblatt.de/archiv/58474).

Versicherte können sich auch an die Krankenkassen selbst wenden, um zu erfahren, was denn bei ihnen zu Abrechnungszwecken kodiert wurde. Hierzu sind Krankenkassen verpflichtet, den Versicherten einen Auszug aus den Daten nach 305 Abs. 2 SGB V zu geben. Die Krankenkassen sind hierbei verpflichtet, dem Versicherten über die in einem Zeitraum von mindestens 18 Monaten vor Antragstellung in Anspruch genommenen Leistungen und deren Kosten zu unterrichten.

Schon seit Jahren gibt es Betrugsvorwürfe

Der Verdacht falscher Codierungen ist nicht neu. Schon im Jahr 2009 kursierten Medienberichte darüber, dass einige Krankenkassen Selektivverträge mit Ärzten vor allem dazu nutzten, durch „optimierte“ Diagnose-Codierungen höhere Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds zu erhalten. Es sollen Ärzten Prämien geboten worden sein, damit sie noch einmal überprüfen, ob aus einer Verdachtsdiagnose doch eine gesicherte Diagnose gemacht werden kann. Die Umwandlung des Buchstaben „V“ in „G“ bei bestimmten Krankheiten hat nämlich einen erheblichen Einfluss darauf, ob die Krankenkasse Geld aus dem Gesundheitsfonds bekommt oder nicht.

Auch aus dem aktuellen Jahresbericht 2015 des Bundesversicherungsamtes geht hervor, dass mehrere Kassen sich hier nicht korrekt verhalten haben. Die jeweiligen Kassen wurden allerdings überwiegend aufsichtsrechtlich beraten und nur vereinzelt sind Fälle von weiteren rechtlichen Schritten bekannt.

Einzelne Kassen wie die AOK fordern schon seit Jahren die Einführung von einheitlichen und manipulationsresistenten Kodierrichtlinien in der ambulanten Versorgung. Bisher gibt es verschiedene Mechanismen und Überprüfungen der Aufsichtsbehörden und umfangreiche Kontroll- und Sanktionsmöglichkeiten.

Die Diagnose entscheidet über die Höhe der Zuweisung

Hintergrund für den Betrug ist der sogenannte technische Kern der Finanzierung der gesetzlichen Krankenkassen – der Morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA). Die Krankenkassen erhalten zur Deckung ihrer standardisierten Leistungsausgaben Zuweisungen aus dem Gesundheitsfonds, die für eine vom Bundesversicherungsamt (BVA) erstellte Liste von bestimmten Krankheiten gelten. Grundlage sind die konkreten Diagnosen der Ärzte und des Krankenhauses sowie zusätzlich die Arzneimittelverordnungen. Die Finanzlage der Krankenkassen ist also in einem hohen Maße abhängig vom Kodierverhalten der Ärzte.

Zusammenfassung

Zusammenfassend sollten die Kassen jetzt nicht unter Generalverdacht gestellt werden. Die Problematik ist schließlich seit Einführung des Morbi-RSA im Jahre 2009 bekannt. Es geht zum einen darum, einen fairen Wettbewerb der Kassen zu ermöglichen und hierzu zählen auch einheitliche Bewertungsmaßstäbe und gleiche Aufsichtspraktiken.

Wenn eine Krankenkasse sich dem entzieht, so bestraft sie durch höhere Leistungsausgaben am Ende das Gesamtsystem und das ist ein klarer Fall von Betrug. Zudem ist alleine der Versuch der Manipulation Verschwendung von Zwangsbeiträgen im System. Die Versicherten sollten sich selbstbewusst im System aufstellen und ihr Patientenrecht in Form der Einsichtnahme in die Patientenakte auf der Seite der Ärzte oder der Patientenquittung auf der Seite der Krankenkassen wahrnehmen.

Video: AOK-Boss droht mit höheren Beiträgen - wegen der Flüchtlinge

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