Die Universität geht neue Wege: Tanja C. Vollmer lehrt am TU-Institut für Architektur Psychologie für den Entwurf von Gebäuden.

Das Leben als Ganzes verstehen, nicht nur im Ausschnitt durch das Mikroskop – dieser hehre Ansatz war Basis und Antrieb ihres Studiums, ihrer Forschung und der praktischen Arbeit. „Ich habe mich schon immer für Zusammenhänge interessiert und war bereits früh von der Psychologie und dem menschlichen Miteinander fasziniert“, sagt Tanja Vollmer. Kurze Zeit hatte sie denn auch mal die Idee, Kriminalpsychologin zu werden. Doch Vollmers Vater, ein Kriminalbeamter, „hat mir dann davon abgeraten“ - und sie studierte Biologie sowie Psychologie.

Heute treffen wir die 47-Jährige an ihrem neuen Arbeitsplatz im Institut für Architektur an der TU Berlin. Dort lehrt die promovierte Biologin sowie in Wissenschaft und Praxis erfahrene wie renommierte Psychologin seit dem Sommersemester 2016 im „Fachbereich Entwerfen von Krankenhäusern und Gesundheitsbauten“ Architekturpsychologie. Ein neues Fach, mit dem die TU nach eigenen Angaben europaweit Neuland betritt und zudem neue Maßstäbe in der Entwurfslehre und -planung setzen will.

Mit Psychologie Räume für Patientenbedürfnisse entwerfen

Doch was ist Architekturpsychologie überhaupt? Gastprofessorin Vollmer lächelt, die Frage hört sie offenbar nicht zum ersten Mal: „Grundsätzlich ist es die Lehre von der Wechselwirkung zwischen dem Menschen, seinem Denken, Fühlen oder Handeln und der gebauten Umgebung.“ Wobei der Fokus ihrer Forschung nicht die gebaute Umgebung im städtebaulichen Bereich oder die Organisation von Arbeitsplätzen ist. Beides Bereiche, in denen die Psychologie allerdings die Architektur mehr leiten sollte.

Vollmers Schwerpunkt liegt vielmehr auf Gebäuden im Gesundheitsbereich - vor allem auf Räumen für kranke Menschen. Ob Arzt- oder Patientenzimmer, Therapie- und Untersuchungsräume oder Wartezonen in Kliniken - all diese Räumlichkeiten sollten nach den Ergebnissen ihrer Forschung und auch nach ihren Erfahrungen mit Patienten völlig anders geplant werden.

Schwer Erkrankte nehmen Räume anders wahr

So hat Tanja Vollmer, die lange Zeit wissenschaftliche Leiterin der Psychoonkologie im Universitätsklinikum Großhadern in München war, Studien durchgeführt, in denen sie untersuchte, wie schwerstkranke Menschen Räume wahrnehmen. Dabei fand sie heraus, dass sich durch Erkrankung die Raum-Wahrnehmung stark verändert.

Schon in der Gesprächstherapie mit Krebspatienten war der Psychologin aufgefallen, „dass Kranke ihre Empfindungen und Situationen meist mit räumlichen Metaphern beschreiben. Viele sprachen von räumlicher Enge, von tiefen, schwarzen Löchern, in die sie gefallen seien und ähnliches“, berichtet Vollmer.

„Vom bedarfsorientierten zum bedürfnisorientierten Entwerfen“

Basierend auf den Studien und den Erfahrungen mit Patienten in ihrer therapeutischen Praxis entwickelte sie eine neue Herangehensweise beim Entwerfen. „Dabei wird die Psychologie entwurfsleitend eingesetzt“, wie die Wissenschaftlerin sagt. Das heißt, die Erkenntnisse der Psychologie werden von Anfang an in der Planung berücksichtigt, ja, sie bestimmen sie sogar. „Es geht dabei um einen Prozess vom bedarfsorientierten zum bedürfnisorientierten Entwerfen“, nennt Vollmer das.

Da Krebspatienten beispielsweise die Wartezonen in Krankenhäusern meist eng, dunkel und überfüllt wahrnehmen und davon gestresst sind, sei hier Weite wichtig verbunden mit der Möglichkeit zum Ausblick nach draußen. Die Situation vieler Schwerstkranker ist oft schon per aussichtslos. „Sie brauchen das Gefühl, räumlich einen Ausweg zu sehen“, so Vollmer.

Der individualisierte Einsatz von Licht

Das und vieles mehr lasse sich durch gezielte Entwürfe bei der Planung des Raums erreichen. Ein weiterer wichtiger Aspekt sei auch der individualisierte Einsatz von Licht. So mache es keinen Sinn, wenn ins Arztzimmer das Tageslicht durch große Fenster so in den Raum falle, dass der Patient geblendet wird und dem Mediziner nicht in die Augen schauen könne.

Beosnders seien auch die Lichtbedürfnisse in der Psychotherapie. „Dort hat man herausgefunden, dass atmosphärisches Licht, also gedämmtes warmes Licht und Tageslicht, positiven Einfluss haben. Für die Therapie depressiver Patienten brauche ich nachweisbar in einem Raum mit Neonlicht weit mehr Therapiestunden, um auf ein bestimmtes Behandlungsniveau zu kommen, als wenn ich ein anderes Licht nutze.“

Architektur muss die Bedürfnisse der Menschen berücksichtigen

Kurzum: Das bislang übliche schematische Umsetzen konventioneller Raumprogramme hat ausgedient, es braucht immer individuelle Entwurfsverfahren, die die Bedürfniosse der Nutzer von Räumen berücksichtigt.

Psychologen seien bislang durchaus schon als Impulsgeber oder Theorievermittler für Vorträge oder Lehraufträge in die Architekturfakultäten eingeladen wurden, sagt Tanja Vollmer. In ihrem Fach gehe es aber um mehr als Impulse oder Anregungen. Das völlig Neue an der zunächst nur für ein Jahr eingerichteten Professur, die Vollmer als halbe Stelle ausübt, sei eben die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Architekten. Die Psychologie eben nicht mehr in der ihr oft noch zugeordneten Rolle einer „Soft-Disziplin“, sondern als gleichwertiger Partner der technisch orientierten Planer.

Praktische Erfahrungen mit dem eigenen Entwurfs- und Studienbüro in Rotterdam

In diesem Zusammenspiel hat Vollmer durchaus auch praktische Erfahrungen. 2008/2009 gründete sie mit der holländischen Architektin Gemma Koppen das in Rotterdam beheimatete Entwurfs- und Studienbüro „Kopvol Architecture and Psychology“. Das erste „richtig große Projekt“ der beiden Frauen waren ihre innovativen und preisgekrönten Architekturkonzepte für das gerade in Bau befindliche „Princess Maxima Onkologie Center“ in Holland, aktuell wird in Freiburg eine Kinder- und Jugendklinik realisiert, für die Koppen und Vollmer auch das innovative Raumkonzept entwickelt haben – so erhält das Krankenhaus beispielsweise einen neu entworfenen Rooming-In-Raum für Kinder und Eltern oder auch einen „Anti-Warteraum“.

So nennen die Planerinnen den offenen zweigeschossigen Abenteuerraum, der kranken Kindern neue Möglichkeiten und Platz zur Ablenkung und ausreichend Bewegung im Krankenhaus bieten soll.

„Ich wollte schon immer nach Berlin“

Mit der Gründungspartnerin ihres Büros, der Architektin Gemma Koppen, recherchierte und veröffentlichte Vollmer auch die unterdessen schon als Standardwerk geltende Publikation „Die Erkrankung des Raumes“. Wer allerdings glaubt, die Architekturpsychologin Vollmer lebe in Berlin in einer nach ihren Ansätzen gestalteten Wohnung, irrt. „Ich hatte noch gar keine Zeit, mich darum zu kümmern“, antwortet die TU-Professorin auf die Frage, wie sie denn selbst wohne. „Ich lebe hier noch immer im Hotel und suche eine Wohnung, was hier ja derzeit nicht gerade einfach ist.“ Gleichwohl , der Ruf nach Berlin kam gerade richtig. „Ich wollte schon immer nach Berlin, hier schlägt mein Herz“, sagt Vollmer.