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Telemedizin

Wenn der Doktor online kommt

Baden-Württemberg / Lesedauer: 7 min

Im Gesundheitswesen soll das E-Health-Gesetz die Digitalisierung vorantreiben
Veröffentlicht:26.10.2016, 18:14

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„4.0 heißt das Kürzel in der Industrie für den digitalen Aufbruch in die Zukunft. Im Gesundheitswesen sind wir noch weit davon entfernt“, sagt Hubert Forster , Pressesprecher der Techniker Krankenkasse in Stuttgart, und spielt dabei auf die Schwierigkeiten beim Ausbau der Telemedizin an. Wenn auf dem Land immer mehr Praxen schließen, hat die Vorstellung, den Hausarzt online aufzusuchen, durchaus Charme. Aber während in der Schweiz die Video-Sprechstunde längst Realität ist, gilt es hierzulande noch etliche Hindernisse zu überwinden.

Dass die Digitalisierung im Gesundheitswesen noch eher zögerlich verläuft, hat gute Gründe: „Der Transfer von sensiblen Patientendaten muss hundertprozentig sicher sein“, erklärt Hausarzt Frank-Dieter Braun aus Biberach. Denn so viel ist klar: Ein möglicher unbefugter Zugriff von außen würde die Entwicklung um Jahre zurückwerfen. Wie der Betrieb im Büro des 2. Vorsitzenden des Hausärzteverbandes Baden-Württemberg genau aussieht, schildert er an einem Beispiel: Arztbriefe von Kollegen aus Kliniken oder Facharztpraxen landen bei ihm derzeit entweder als Fax, als Postbrief oder mitunter auch als handschriftliches Schreiben, das der Patient persönlich mitbringt. Das Fax läuft immerhin schon automatisch in die EDV ein, die anderen Briefe müssen jedes Mal von seinem Team extra eingescannt werden. Denn in Brauns Praxis gibt es nur noch elektronische Karteikarten. Er würde sich deshalb glücklich schätzen, wenn es mehr an digitaler Kommunikation gäbe. Zwar bietet die Kassenärztliche Vereinigung (KV) schon das Sichere Netz an. Das ist für den Hausarzt aber derzeit noch keine Alternative: „Ich bin noch nicht an das KV-SafeNet angeschlossen, weil derzeit nur die Kassenabrechnung übermittelt werden kann. Sobald es irgendeinen Zusatznutzen gibt, mache ich mit.“

Hohe Investitionen

Damit die Digitalisierung voranschreitet, soll im nächsten Jahr der elektronische Arztbrief finanziell gefördert werden, wie das 2015 vom Bundestag verabschiedete Gesetz für sichere digitale Kommunikation und Anwendungen im Gesundheitswesen (E-Health-Gesetz) unter anderem vorsieht. Für den Ausbau der sicheren Telematikstruktur – das europaweit größte IT-Projekt im Gesundheitswesen – wurde eine Milliarde Euro locker gemacht. Damit soll ab 2018 nicht nur der vernetzte medizinische Austausch möglich sein, sondern auch die elektronische Gesundheitskarte vielseitiger genutzt werden können als bislang. Ziel des Ganzen: ein wirtschaftlicheres Gesundheitswesen und eine verbesserte medizinische Versorgung.

Als erster wichtiger Schritt in diese Richtung wurde Mitte dieses Jahres gefeiert, dass die Überwachung von Patienten mit einem Defibrillator oder einer kardialen Resynchronisationstherapie (CRT-System) als erste telemedizinische Leistung in den Einheitlichen Bewertungsmaßstab (EBM) aufgenommen wurde. Damit können Fachärzte die Funktionsfähigkeit bestimmter kardiologischer Implantate auch telemedizinisch überprüfen und abrechnen. Herzschrittmacher zählen allerdings noch nicht dazu. Außerdem wurde am 1. Oktober 2016 der bundeseinheitliche Medikationsplan eingeführt. Das bedeutet: Wer mehr als drei verordnete Medikamente gleichzeitig braucht, hat jetzt einen Anspruch auf eine durch den Arzt erstellte Übersicht. Das E-Health-Gesetz sieht vor, dass der Medikationsplan ab 2018 auf der elektronischen Gesundheitskarte gespeichert werden kann.

Die elektronische Gesundheitskarte (eGK) dient derzeit lediglich als Nachweis für den Anspruch auf Leistungen der gesetzlichen Krankenkasse und wird vom Arzt oder Zahnarzt zur Abrechnung benötigt. Bereits heute schon sind darauf die Versichertenstammdaten gespeichert. Ändern sich diese, wird die Karte von der Krankenkasse ausgetauscht. Künftig sollen die Gültigkeit der Karte online geprüft und die Versichertenstammdaten direkt aktualisiert werden. Darüber hinaus wird der Chip auf der Karte einen verschlüsselten Container haben, auf dem medizinische Daten gespeichert werden können. Die elektronischen Gesundheitskarten der zweiten Generation sind von der Gesellschaft für Telematikanwendungen (gematik) bereits zugelassen und werden derzeit getestet.

Patient muss einwilligen

Aber ganz wichtig in diesem Zusammenhang: Die Speicherung der medizinischen Daten wird nur dann vorgenommen, wenn der Patient dies wünscht. Andererseits drohen ab 1. Juli 2018 jenen Ärzten und Zahnärzten pauschale Kürzungen der Vergütung, die nicht an der Online-Prüfung der Versichertenstammdaten teilnehmen.

Dass ein Teil der Bevölkerung den digitalen Neuerungen gegenüber durchaus aufgeschlossen ist, zeigt eine Analyse der Bertelsmann-Stiftung zur Video-Sprechstunde. Danach würden 45Prozent der Bundesbürger öfter oder zumindest gelegentlich Video-Kontakt mit dem Haus- oder Facharzt aufnehmen. Für die Analyse wurde eine Umfrage unter fast 1600Bundesbürgern im Sommer 2015, über 80 Literatur- und Studienquellen sowie Experteninterviews ausgewertet. Als häufigste Pro-Argumente erwähnten die Befragten: das Vermeiden langer Wartezeiten auf einen Arzttermin sowie die Angst vor Ansteckungen im Wartezimmer. Auch die Möglichkeit des Kontakts mit dem Arzt zu unüblichen Zeiten wurde hervorgehoben. Mit dem Berufsverband der Deutschen Dermatologen (BVDD) hat die Techniker Krankenkasse in Kooperation mit dem IT-Unternehmen Patientus ein bundesweites Projekt zur Erprobung von Online-Videosprechstunden gestartet.

Viele Ärzte lehnen Videokonferenzen ab

Hautarzt Dirk Meyer-Rogge aus Karlsruhe hat vor einem halben Jahr solch eine Video-Sprechstunde eingerichtet. „Man kann den Fortschritt nicht aufhalten. Deshalb sollte man ihn auch mitgestalten. Es gibt außerhalb von Europa schon genügend schlechte Beispiele. Das wollen wir verhindern“, sagt er. Seine Erfahrungen sind bislang gemischt: So schrecken manche Patienten zurück, wenn sie für die Online-Behandlung zuerst zahlreiche Unterschriften leisten müssen. „Da kommen ihnen dann doch große Bedenken, was mit ihren Daten passiert.“ Das nächste Problem ist die technische Ausstattung. Benötigt werden entweder Notebook oder PC, ein Headset und eine kleine Kamera. „Jüngere haben aber meist gar keine PCs mehr. Sie sind fast nur noch mit dem Smartphone unterwegs“, sagt der Hautarzt. So können ausgerechnet die Digital Natives die virtuelle Sprechstunde gar nicht in Anspruch nehmen. „Außerdem sehe ich bei einer online-Sprechstunde nicht alles, was ich im Sprechzimmer sehe. Deswegen arbeite ich virtuell vor allem mit Bestandspatienten. Die kenne ich, über diese habe ich viele Informationen.“ Dass sich die Dermatologen für das Modellvorhaben mit der TK erwärmen konnten, liegt laut Meyer-Rogge auf der Hand: „Es gibt wohl auch kein anderes Fach, wo man so viele Sachen visuell erkennen kann.“

Insgesamt lehnten laut Bertelsmann-Analyse im Sommer 2015 noch zwei Drittel der Ärzte die Videokonferenzen mit Patienten ab. Gegenargumente sind laut Studie die Furcht, rund um die Uhr erreichbar sein zu müssen, die noch fehlende spezifische Vergütung für die Leistung und auch rechtliche Bedenken. Denn in der Berufsordnung heißt es zur Behandlung via Telekommunikation: „Ärztinnen und Ärzte dürfen individuelle ärztliche Behandlungen, insbesondere auch Beratungen, nicht ausschließlich über Print- und Kommunikationsmedien durchführen. Auch bei telemedizinischen Verfahren ist zu gewährleisten, dass eine Ärztin oder ein Arzt die Patientin oder den Patienten unmittelbar behandelt.“

Direkter Kontakt bei Erstdiagnose

Nun haben die Befragten bei der Bertelsmann-Studie auch zu erkennen gegeben, dass sie auf den direkten Arzt-Kontakt gar nicht verzichten wollen. Vor allem für die Erstdiagnose würden fast alle einen Arzt aufsuchen. So stellt sich immer mehr heraus, dass Video-Konsultationen vor allem gut geeignet wären für Rückfragen, Beratungen, Befundbesprechungen und das Einholen von Zweitmeinungen. Zudem könnten sie ein Instrument für die langfristige Begleitung chronisch kranker Patienten sein. Zudem könnten sie Vorteile bringen für unterversorgte ländliche Regionen. In der Analyse wird auch festgestellt, dass dafür die Berufsordnung gar nicht geändert werden müsste, sondern allenfalls an die modernen Herausforderungen angepasst.

Ministerium macht Druck

Das Gesundheitswesen ist also zweifellos im Umbruch. Die Digitalisierung schreitet voran, nicht zuletzt auch, weil das Bundesgesundheitsministerium Druck macht. Bei der Verabschiedung des E-Health-Gesetzes erklärte Gesundheitsminister Hermann Gröhe mit Nachdruck: „Viel zu lang wurde schon gestritten. Deshalb machen wir Tempo durch klare gesetzliche Vorgaben, Fristen und Anreize, aber auch Sanktionen, wenn blockiert wird.“ Die Botschaft ist klar.