Kommentar

Die erdrückende Last der Gesundheitskosten

Mit mehr oder weniger tauglichen Massnahmen versuchen die Kantone die Kostensteigerung im Gesundheitswesen in den Griff zu bekommen. Noch aber geht man den wirklich unangenehmen Fragen aus dem Weg.

Jan Hudec
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Gerade im Gesundheitswesen ist es für die Kantone mit dem Sparen nicht so einfach. Denn ihr Handlungsspielraum ist stark begrenzt. (Bild: Peter Gut)

Gerade im Gesundheitswesen ist es für die Kantone mit dem Sparen nicht so einfach. Denn ihr Handlungsspielraum ist stark begrenzt. (Bild: Peter Gut)

Wir optimieren uns. Wir machen Hormon-Yoga, trainieren unsere Faszien und essen Superfoods. Wir gehen an die frische Luft, verzichten aufs Rauchen und meiden Stress. Doch Krankheiten sind geduldig, irgendwann erwischen sie jeden. Also landet der schmerzende Bauch im Notfall, der stechende Schädel im Magnetresonanztomografen (MRI), und das abgenutzte Knie wird durch ein Metallgelenk ersetzt. Gilt das Versprechen auf das Jenseits nicht mehr, muss das Diesseits umso stärker ausgekostet werden. Wenn also Gesundheit unsere Religion ist, dann sind Spitäler unsere Kathedralen. Und wie das mit Kathedralen so ist: Sie sind teuer.

An die steigenden Krankenkassenprämien hat man sich genauso gewöhnt wie ans rituelle Gejammer darüber. Doch mittlerweile sehen sich auch die Kantone durch das Kostenwachstum im Gesundheitswesen in die Enge getrieben. Neben den Prämienzahlern tragen sie die Hauptlast. So hat der Bund seine Ausgaben in den letzten Jahren deutlich reduziert, und auch der Kostenschlüssel zwischen Versicherern und Kantonen verschiebt sich im Spitalbereich zuungunsten der Kantone. Kein Wunder also, geraten die Gesundheitskosten in Zeiten knapper Kassen ins Visier der Kantonsparlamentarier. Die Verteilkämpfe beginnen.

Was kann man sich leisten?

Exemplarisch zeigt sich das derzeit im Kanton Zürich. 1,8 Milliarden Franken will der Kanton in den Jahren 2017 bis 2019 sparen, um die Staatsrechnung auszugleichen. Unter Druck kommen neben dem Gesundheitswesen auch die Bildung und der öffentliche Verkehr, wobei noch unklar ist, welche Sparmassnahmen ergriffen werden. Klar ist aber jetzt schon, dass die Debatte um die sogenannte Leistungsüberprüfung für Zürich eine der spannendsten dieses Jahres wird. Weil es eben nicht um trockene Zahlenhuberei geht, sondern darum, was man sich künftig noch leisten kann und wo man Prioritäten setzen will. Braucht es ein Langzeitgymnasium? Gibt es Gebiete, die man vom öffentlichen Verkehr abschneiden kann? Wie gut muss die medizinische Versorgung ausgebaut sein?

Gerade im Gesundheitswesen ist es für die Kantone mit dem Sparen nicht so einfach. Denn ihr Handlungsspielraum ist stark begrenzt. Sie müssen einen fixen Anteil an die Spitalkosten ihrer Einwohner leisten. Und auch auf die Spitaltarife haben sie keinen direkten Einfluss, weil diese zwischen Krankenkassen und Spitälern ausgehandelt werden. Und so schiessen denn allerhand Ideen ins Kraut, wie man die Kosten sonst senken könnte.

Im Kanton Waadt beispielsweise müssen Spitäler die Bewilligung einer Kommission einholen, wenn sie ein teures Gerät wie ein MRI anschaffen wollen. Natürlich ist es nicht von der Hand zu weisen, dass radiologische Leistungen ein gutes Geschäft für die Spitäler sind und die entsprechenden Apparate mehr genutzt werden als nötig. Trotzdem kann es nicht angehen, dass Spitäler, die eigentlich in einem wettbewerblichen Umfeld agieren, sich derart in ihre Geschäftspraxis dreinreden lassen müssen. Wenn schon, müsste man bei den Tarifen ansetzen, wobei dies auf nationaler Ebene zu geschehen hat. In Luzern versucht die Regierung derweil den Staatshaushalt zu sanieren, indem sie im eigenen Kantonsspital neuerdings mehr Gewinn abschöpft. Die Rechnung geht nicht auf: Denn dem Spital steht eine Milliardeninvestition in die Infrastruktur bevor. Entgegen früheren Beteuerungen ist jetzt aus Luzern zu vernehmen, dass der Kanton dem Spital dabei wohl doch wird unter die Arme greifen müssen. Andere Kantone, so Basel-Stadt oder Aargau, reduzieren die Subventionen an die Spitäler. Tatsächlich werden in vielen Kantonen unter dem Deckmantel der gemeinwirtschaftlichen Leistungen Millionen in die Krankenhäuser gepumpt. Den Zürchern kommt entgegen, dass die Spitäler vergangene Woche einen überraschend tiefen Tarif akzeptiert haben. Dass sie dazu bereit waren, ist nicht zuletzt auch dem Spardruck geschuldet. Die Ziele des Sparprogramms sind damit aber noch längst nicht erreicht.

Die Kantone können sicher einiges tun, um ihre Verantwortung wahrzunehmen. So sollten sie aufhören, selbst Spitäler zu führen, egal, ob diese dann von Gemeinden oder Privaten übernommen werden. Die Mehrfachrolle als Regulator, Schiedsrichter in Tarifstreitigkeiten, Leistungserbringer und Kostenträger ist problematisch. Allzu leicht ist man dazu verführt, das eigene Spital zu bevorteilen. Zudem muss der Druck auf die Tarife hochgehalten werden. Das Beispiel Zürich zeigt, dass dies erfolgreich sein kann. Und schliesslich sollten die Subventionen auf jene Bereiche beschränkt werden, die nicht genügend von der Fallpauschale abgedeckt und gleichwohl im öffentlichen Interesse sind wie die Weiterbildung von Ärzten. Selbst wenn die Kantone aber ihre Möglichkeiten ausschöpfen, können sie die Probleme nicht alleine lösen.

Natürlich stehen die Gesundheitskosten seit Jahren auf der nationalen Agenda. Aber man sollte sich den Fragen wieder mit etwas mehr Verve widmen, gerade auch den unangenehmen. Und dazu braucht es das Engagement von allen Beteiligten. Das fängt bei den Patienten an. Dass sie mündig geworden sind und nicht mehr blindlings den Ärzten folgen, ist eine erfreuliche Entwicklung. Allerdings ist damit auch die Anspruchshaltung gestiegen. Der Philosoph Jean-Pierre Wils und die Ethikerin Ruth Baumann-Hölzle haben das in der NZZ einmal so beschrieben: «Nicht die Behandlung einer Erkrankung steht im Vordergrund, sondern die Verbesserung der Gesundheit.» So würden heute immer mehr alterstypische Einschränkungen potenziell als Krankheit und damit als verbesserungsbedürftig betrachtet. Ein mündiger Patient zu sein, bedeutet aber auch, seine Verantwortung wahrzunehmen. Sich die Frage zu stellen, ob man auf Kosten der Allgemeinheit wirklich mit jedem Problem zum Arzt rennen soll, ob man stets alles medizinisch Mögliche voll ausschöpfen will. Gerade deshalb ist eine öffentliche Debatte nicht nur über die Qualität der Medizin, sondern auch über die Konsequenzen der Kostensteigerung so wichtig.

Die heiklen Fragen

In erster Linie ist aber die nationale Politik gefragt. Taugliche Ideen, wie man das Kostenwachstum bremsen könnte, gibt es viele. Gute Ansatzpunkte finden sich dort, wo Überkapazitäten und Fehlanreize bestehen. So ist es beispielsweise klar, dass ambulant durchgeführte Behandlungen günstiger sind als stationäre. Spitäler werden für ihren stationären Bereich heute aber oft besser entgolten. Es braucht deshalb dringend eine Revision von Tarmed, dem Tarif für ambulante Leistungen.

Neben der Umsetzung von solchen technischen Massnahmen wird man aber auch nicht umhinkommen, sich sehr viel heikleren Fragen zu stellen. So müssen medizinische Eingriffe vermehrt auf ihr Kosten-Nutzen-Verhältnis hin analysiert werden. Daten dazu gibt es seit der Einführung der Fallpauschale genug. Sie werden aber noch viel zu wenig genutzt. Man wird definieren müssen, welche Eingriffe und Behandlungsschritte sinnvoll sind, und dabei Bestehendes infrage stellen. In welchen Fällen ist eine MRI-Untersuchung angebracht? Und ist es beispielsweise richtig, dass in der Lehre umstrittene Prostata-Screenings von der Grundversicherung bezahlt werden?

Das sind unpopuläre Themen, an denen sich Politiker ungern die Hände verbrennen. Schnell wird man gebrandmarkt als einer, der Leistungen rationieren will, der eine Zwei-Klassen-Medizin fördert. Und tatsächlich hat man damit auch vor den Stimmberechtigten einen schweren Stand. Trotzdem muss man diese Probleme anpacken. Während früher die medizinischen Möglichkeiten die Grenze setzten, obliegt dies heute vermehrt der Gesellschaft. Wie lange soll jemand künstlich am Leben gehalten werden, wenn es keine Aussicht mehr auf Heilung gibt? Ist es richtig, bei einem Neunzigjährigen, der im Sterben liegt, noch eine teure Chemotherapie zu machen? Dass der monetäre Aspekt in solchen Diskussionen nur einer unter vielen sein kann, ist selbstredend.

Was wir uns nicht leisten können, ist, die Augen vor diesen Fragen zu verschliessen. Sonst laufen wir Gefahr, dass sich entweder die Rationierung irgendwann ohne gesellschaftliche Legitimation durch die Hintertür schleicht oder die Kosten auf ein Mass steigen, das gerade die Kantone dazu zwingt, in anderen Bereichen wie der Bildung oder dem Sozialwesen schmerzhafte und mitunter unerwünschte Einschnitte zu machen.