Krank in die Reha

"Blutige Verlegung" aus dem Krankenhaus

Die Reha-Patientin Anneliese Pech mit ihrer Therapeutin.
Die Reha-Patientin Anneliese Pech mit ihrer Therapeutin. © Deutschlandradio / Anna Corves
Von Anna Corves · 10.03.2016
Im Fachjargon spricht man von einer "blutigen Verlegung". Gemeint ist folgende Situation: Um Kosten zu sparen, entlassen Krankenhäuser die Patienten früher als es noch vor zehn Jahren der Fall war. Die Reha-Kliniken sind so gezwungen, mehr medizinische Aufgaben zu übernehmen.
Über Olaf Gabriels Knie zieht sich eine frische längliche Wunde, ihre Ränder rechts und links sind mit schwarzen Tacker-Nadeln eng zusammengeklammert. Kein schöner Anblick, aber Schwester Heike Matzner nickt anerkennend:
"Och, das sieht doch schon wirklich sehr gut aus. Es ist nichts nachgelaufen, kein Sekret. Klammern sitzen auch alle. Keine Rötung…"
"Genau, jetzt fängt’s an zu jucken. Das ist ein schönes Gefühl, weil man ja weiß: wenn’s juckt, dann heilt es…"
Endlich. Die Wunde hat beiden viel Ärger beschert. Vor Wochen war Olaf Gabriel schon einmal in der Brandenburgklinik. Der 46-Jährige hatte ein künstliches Knie-gelenk bekommen, sollte es in der Reha trainieren. Aber am Abend vor seiner Ankunft stürzte er auf die OP-Wunde. Die Nähte im Fleisch rissen.
Heike Matzner hat sich zur Wundmanagerin weitergebildet, aus Bedarf: Die meisten Patienten, die zur orthopädischen Reha kommen, haben Wunden, die noch geklammert oder genäht sind. Früher war das anders. Da wurden die Patienten im Schnitt fünf Tage länger im Krankenhaus behandelt. Werden sie zu früh entlassen, müssen sie von der Reha in die Klinik zurückverlegt werden, ist das ärgerlich für sie selbst - und teuer fürs System. Schwester Heike erlebt das öfter, in der Orthopädie, aber auch in der Kardiologie:
"Wenn man sieht: Da ist ne Wundheilungsstörung, es ist auch ein Keim drin. Und ich bekomm den frisch aus dem Krankenhaus - das kann ich dann nicht verstehen, weil man sieht ja im Krankenhaus: Die Wunde zeigt eindeutig ne Infektion und er kommt trotzdem in die Reha."
In der Rehabilitation sollen Patienten eigentlich trainieren: für die Arbeit oder zumindest für das Leben Zuhause. Im Untergeschoss der orthopädischen Abteilung gibt es dafür spezielle Behandlungsräume.

Selbstständig innerhalb einer Woche

Annelies Pech hat Krankengymnastik bei Physiotherapeutin Heike Bork. Die 84-jährige hat sich ihre Hüfte mehrfach gebrochen, die Gelenke wurden erneuert, sind jetzt mit einer Art Metallkorsett geschient. Seit fünf Tagen ist sie in der Reha.
"Was haben Sie denn am Wochenende gemacht?" "Am Sonnabend hatte ich einen Moralischen." "Ach herrje." "Da dachte ich, wat soll denn das alles. Aber dann kriegte ich Besuch...und dann habe gedacht: Es muss ja weitergehen. Jetzt hab ich's so weit geschafft, nech."
Im Rollstuhl eingeliefert, schiebt sie jetzt sich schon mit dem Rollator durch die Gänge – und erntet dafür Lob von Chefarzt Horst Reich.
"Sie sind mit dem Rollator unterwegs?!?" "Ja!" "Da bin ich aber platt.... nix mehr Gehbock?" "Unterwegs, seit gestern."
Aber trotz aller Fortschritte: Alleine ins Bett zu gehen, schafft Annelies Pech noch nicht, auch im Bad braucht sie Hilfe von Schwestern.
"Wir haben es oft mit Patienten zu tun, die in den ersten Tagen gerade in der Lage sind,sich im Zimmer zurechtzufinden. Da haben wir diesen Korridor von einer Woche, wo wir sagen: Der Patient muss innerhalb von einer Woche im Haus selbstständig sich bewegen können, die Speiseräume, Therapieräume erreichen. Tut er das nicht – und das ist genau diese Woche, die oft zu früh verlegt wird – ist er eigentlich nicht rehafähig."

Weniger Zeit für Reha-Ziele

Ihn ärgert, dass die Rehaklinik den Mehraufwand an pflegerischer Hilfe nicht bezahlt bekommt, der auch durch die früheren Verlegungen aus den Krankenhäusern anfällt. Annelies Pech allerdings hat sich gefreut, aus der Klinik zu kommen.
"Da liegt man mit vier Mann im Zimmer, die hat sich drei Mal geduscht in der Nacht, Fenster auf, keine Rücksicht genommen. Da ist man eigentlich froh, wenn man raus ist."
Physiotherapeutin Heike Bork nickt. Auch sie sieht Vorteile:
"Wenn wir die Patienten früher aus dem Krankenhaus bekommen, können wir sie auch schneller mobilisieren. Das macht natürlich auch Sinn. Im Krankenhaus kommt ein Therapeut, der macht mit ihnen einmal die Gymnastik.... und hier geht’s gleich los. Mit Sporttherapie etc."
Sie bedauert vielmehr, dass hinten raus Zeit fehlt. Denn es werden auch nur noch kürzere Aufenthalte bewilligt als früher. Alles in allem haben Patienten und Mitarbeiter rund zwei Wochen weniger Zeit, um die Rehaziele zu erreichen.
Deswegen ist die 84-jährige Frau Pech jetzt auch schwer im Stress, hat von morgens bis abends Therapien im Plan:
Sie will hier rausholen, was geht, sagt sie noch, bevor sie den Rollator Schrittchen für Schrittchen von dannen schiebt. Der Arzt blickt ihr nach.
"Die Verdichtung von medizinischen Leistungen fordert natürlich den Patient. Und es gibt dann immer wieder Schnittstellen, wo man die Natur nicht überholen kann."
Mehr zum Thema