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Gesundheit

Krankenhäuser geraten in Versicherungskrise

Baden-Württemberg / Lesedauer: 4 min

Veröffentlicht:20.03.2016, 17:46

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Krankenhäuser in Baden-Württemberg haben wachsende Probleme , Versicherer zu finden, die Schäden von Behandlungsfehlern tragen. Besonders gravierend sind die Schwierigkeiten bei Universitätskliniken. Für sie gibt es nur noch zwei Unternehmen, die überhaupt Policen anbieten. Deshalb steigen die Prämien massiv, auf den Kosten bleiben die Kliniken sitzen. Während Patientenschützer Klagen gegen Mediziner erleichtern wollen, warnen Vertreter von Krankenhäusern vor teuren Konsequenzen.

Jede Klinik versichert ihre Ärzte – für den Fall, dass diesen ein Fehler unterläuft. „Die Beiträge für diese Berufshaftpflicht steigen jährlich um 30 bis 40 Prozent, das ist deutschlandweit so“, sagt Matthias Einwag , Hauptgeschäftsführer der Krankenhausgesellschaft Baden-Württemberg. Grund ist der medizinische Fortschritt. Bei schweren Behandlungsfehlern überleben die betroffenen Patienten heute länger als noch vor zehn Jahren. „Selbst ein bei der Geburt schwerstgeschädigtes Kind kann heute eine normale Lebenserwartung haben“, sagt Michael Petry, Geschäftsführer des Versicherungsdienstes Ecclesia, das mehr als 40Prozent der 2200 deutschen Akutkrankenhäuser betreut. Die Versicherer müssen jahrzehntelange Pflege zahlen sowie Rente, weil der Betroffene nie arbeiten kann. Einzelne Großschäden kosten damit viel Geld. So verursachen 1,7 Prozent aller Behandlungsfehler mehr als Zweidrittel aller Kosten. 2012 zogen sich deshalb mehrere große Unternehmen aus dem Geschäft mit der Arzthaftpflicht zurück, unter anderem Zurich und die Sparkassenversicherung aus Stuttgart. Weniger Anbieter, sehr hohe Risiken: Die Kombination führte zu einer rasanten Prämiensteigerung. Nach Berechnungen der Ecclesia stiegen die Kosten für deutsche Krankenhäuser seit 2013 um bis zu 350 Millionen Euro.

Psychologischer Effekt

Welche Auswirkungen das neue Patientenrechtegesetz auf die steigenden Prämien hat, darüber streiten Experten. Es gilt seit Februar 2013 und soll Patienten gegenüber Ärzten und Kliniken stärken. Ein zentraler Punkt ist die Frage, wer beweisen muss, dass ein Behandlungsfehler zu gesundheitlichen Einschränkungen geführt hat. Wie bisher muss dies der Patient belegen, allerdings wurden die Regeln dazu etwas zulasten der Ärzte verändert. Dadurch, so Kritiker, würden mehr Patienten klagen und höhere Entschädigungen fällig. Versicherungsvermittler Michael Petry glaubt: „Das hat eher einen psychologischen Effekt auf die Versicherer. Ein Gesetz einzuführen, dauert. Aber ein bestehendes Gesetz ist rasch geändert.“

Für Erklärungen fehlt die Zeit

Patientenschützer fordern bereits Änderungen. Sie beklagen ein Ungleichgewicht zwischen medizinischen Laien und Ärzten. Der Nachweis, dass ein Schaden auf einen Fehler des Arztes zurückzuführen ist, sei schwer zu führen. „Außerdem stehen einem Betroffen und seinem Anwalt ein großer Haftpflichtversicherer mit dessen Spezialisten gegenüber“, sagt Zeljka Pintaric von der Patientenberatung des VdK Baden-Württemberg. In den Beratungen gehe es Betroffenen oft nicht darum, eine Klage zu gewinnen. Sie erwarteten vor allem eine Erklärung vom Arzt. Dazu fehlt im Klinikalltag oft die Zeit. Außerdem haben viele Ärzte Angst, ihren Versicherungsschutz zu verlieren, wenn sie Fehler zugegeben.

Wie hart die Versicherungskrise die Unikliniken trifft, wollen diese nicht offenlegen. Doch mit Tübingen, Ulm und Heidelberg bestätigen drei von vier Häusern im Land deutlich steigende Prämien. Die Konsequenzen benennt Krankenhaus-Verbandschef Einwag: „Wir bleiben auf den Kosten sitzen.“ Theoretisch könnten Krankenkassen diese in die Budgets mit einrechnen, die sie Kliniken zur Verfügung stellen. „So steht es in den Vorgaben. Bei der aktuellen Verhandlungsrunde im Land haben die Kassen es erneut abgelehnt, die Prämiensteigerung zu berücksichtigen“, so Einwag. Deren Argument: Versicherungsprämien machten nur etwa ein Prozent der Sachkosten eines Krankenhauses aus. „Wenn Sie in dem Bereich jährliche Steigerungen von mehr als einem Drittel haben, wirkt sich das schon aus“, kontert Einwag. Ansonsten haben Kliniken wenig Möglichkeiten, zusätzliche Kosten zu decken. Eigentlich geht das nur über Personaleinsparungen – um Fehler zu vermeiden, ist das aus naheliegenden Gründen keine gute Strategie.

Um das Problem zu lösen, gibt es mehrere Vorschläge: Etwa die Versicherungssteuer senken oder die Krankenkassen stärker beteiligen. Egal, welche Lösung man wählt: „Wir zahlen es alle“, bilanziert Michael Petry.

Info:

Prozesse um Behandlungsfehler dauern besonders lange. Das liegt daran, dass die Beweisaufnahme kompliziert ist und viele Gutachten nötig sind. In Baden-Württemberg fielen 2015 erstinstanzliche Urteile in mehr als 1300 solcher Prozesse. Hinzu kamen mehr als 200 Richtersprüche in Berufungsverfahren. An den Landgerichten dauerten sie durchschnittlich mehr als 19 Monate. Andere Zivilverfahren wurden in rund acht Monaten und damit deutlich rascher abgeschlossen. In vielen Fällen gehen die Fälle in die zweite Instanz. Dann ziehen sich die Verfahren im Durchschnitt noch länger, nämlich deutlich über drei Jahre. Andere Verfahren werden inklusive Berufsverhandlung in durchschnittlich 24 Monaten erledigt. Das zeigen Zahlen des Landesjustizministeriums. (tja)