Das Ausmaß der Mordserie am Delmenhorster Klinikum – es wird immer größer. Am Mittwoch wurde ein neuer Zwischenstand im Ermittlungsverfahren gegen den bereits verurteilten Krankenhaus-Mörder Niels H. bekannt gegeben.
Demnach besteht der dringende Verdacht, dass noch weitere Menschen durch die Hand des ehemaligen Krankenpflegers gestorben sind. Seit Beginn der Exhumierungen vor einem Jahr hat sich die Zahl der Fälle, in denen das verdächtige Medikament nachgewiesen wurde, inzwischen auf 24 summiert, wie die Polizeidirektion Oldenburg und die Staatsanwaltschaft Oldenburg mitteilten.
Die Beamten der Sonderkommission „Kardio“ haben demnach mittlerweile mehr als 80 Gräber auf verschiedenen Friedhöfen geöffnet. Das Ergebnis von 77 Exhumierungen liege nun vor, hieß es. In 24 Fällen habe der im Herzmedikament Gilurytmal enthaltene Wirkstoff Ajmalin nachgewiesen werden können. Staatsanwaltschaft und Sonderkommission gehen davon aus, dass der im Februar 2015 verurteilte Ex-Krankenpfleger Niels H. auch diese ehemaligen Patienten des Delmenhorster Klinikums durch das Verabreichen des Wirkstoffs getötet hat. Das Ajmalin konnte nachgewiesen werden, obwohl die betreffenden Patienten nicht mit dem Medikament Gilurytmal behandelt worden waren. Die Angehörigen der Verstorbenen seien über die Ergebnisse der Untersuchungen bereits informiert worden.
Die Zahl der möglichen Opfer von Niels H. könnte Polizei und Staatsanwaltschaft zufolge sogar noch weiter steigen. Denn die Ergebnisse sieben weiterer bereits erfolgter Exhumierungen stehen noch aus – „die toxikologischen Untersuchungen von Gewebeproben dauern noch an“, hieß es in der gemeinsamen Mitteilung. Die medizinische Begutachtung von Krankenakten aus dem Klinikum Delmenhorst sei derweil abgeschlossen. Die daraus noch resultierenden Exhumierungen sollen Ende Mai beendet sein, hieß es.
Untersucht wurden allein am Delmenhorster Klinikum insgesamt 200 Verdachtsfälle, wie Martin Rüppell von der Staatsanwaltschaft Oldenburg auf Nachfrage mitteilte. Dabei handelte sich um alle Patienten der Intensivstation des städtischen Krankenhauses, die dort zwischen Dezember 2002 und Juni 2005 während oder kurz nach den Diensten des Krankenpflegers starben, der vor seiner Zeit in Delmenhorst am Klinikum Oldenburg beschäftigt gewesen war und später in einem Altenheim in Wilhelmshaven arbeitete. Allerdings sind dies nur die Patienten, die nicht feuerbestattet wurden, denn danach lässt sich Ajmalin nicht mehr nachweisen. Ein Sachverständiger prüfte für die Staatsanwaltschaft mittels der Patientenakten alle in Frage kommenden Fälle. Er untersuchte, ob sich der Tod anhand des Krankheitsverlaufes plausibel erklären lässt oder nicht. Dafür musste er 181 Akten durcharbeiten, wie Rüppell weiter berichtete.
Und nun scheint es also, als deckten sich die bisherigen Ermittlungen und Funde mit der eigenen Aussage von Niels H. Im jüngsten Prozess hatte H., der bereits 2008 wegen versuchten Mordes zu einer siebeneinhalbjährigen Freiheitsstrafe und vergangenes Jahr dann noch einmal zu lebenslanger Haft verurteilt worden war, ausgesagt, dass er seiner Erinnerung nach 90 Patienten das Medikament Gilurytmal mit dem Wirkstoff Ajmalin gespritzt habe. Er wollte sie damit in eine lebensgefährliche Situation bringen und sie dann wiederbeleben, um sich zu profilieren. 30 Patienten hätten das nicht überlebt, sagte H. damals aus.
Dass er sich erneut vor Gericht verantworten muss, gilt als sicher. Die Frage ist nur: Wann? Polizei und Staatsanwaltschaft rechnen damit, dass die Ergebnisse der toxikologischen Untersuchungen der letzten Exhumierungen etwa Mitte Juni vorliegen. Dann, so hieß es am Mittwoch zum weiteren Vorgehen, sei geplant, der Öffentlichkeit einen detaillierten Sachstand zu den bis dahin vorliegenden Ermittlungsergebnissen mitzuteilen. Anschließend müssen allerdings noch die Untersuchungen zu den Verdachtsfällen am Klinikum Oldenburg vorgenommen werden.