Winnenden

Klinik-Chef Nickel: Medizinisches Juwel mit roten Zahlen

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„Wenn sich der Rauch verzogen hat, geht es wieder in einen konstruktiven Dialog über“, sagt Geschäftsführer Marc Nickel. © Winterling / ZVW
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Marc Nickel war bei der Kreistagssitzung am vergangenen Montag in Großerlach ein gefragter Gesprächspartner bei den Kreisräten, hier im Gespräch mit Frank Nopper (CDU). © Winterling / ZVW
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Marc Nickel war bei der Kreistagssitzung am vergangenen Montag in Großerlach ein gefragter Gesprächspartner bei den Kreisräten. Hier im Gespräch mit Wolfgang Weigold (FDP-FW). © Winterling / ZVW
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Marc Nickel war bei der Kreistagssitzung am vergangenen Montag in Großerlach ein gefragter Gesprächspartner bei den Kreisräten. Hier im Gespräch mit Matthias Klopfer (SPD). © Winterling / ZVW

Winnenden. „Es wird noch viele Überraschungen geben“, kündigt Dr. Marc Nickel an. Angenehme, versteht sich. Nach den vielen unangenehmen Überraschungen beim Klinikumneubau ist Nickel vor einem Jahr als Sanierer geholt worden. Er sprach von einem „medizinischen Juwel“, das er zum Glänzen bringen wolle. Nach einem Jahr zieht er Zwischenbilanz. Das Juwel beginne zu leuchten.

Marc Nickels Zwischenbilanz als Geschäftsführer der Rems-Murr-Kliniken fällt erfolgreich aus. Was sich für einen Optimisten wie ihn beinahe von selbst versteht. Die beiden Krankenhäuser seien auf Wachstumskurs, die Kliniken bauen ihr medizinisches Angebot aus und suchen dringend Personal, die Betten sind voll, das Defizit fällt drei Millionen Euro geringer aus als erwartet. Die aktuell hoch kochende Diskussion über die Zukunft des Standortes Schorndorf erschüttert einen wie Nickel nicht.

In einem Sanierungsprozess, um den es sich bei den Krankenhäusern allen Erfolgsmeldungen zum Trotz immer noch handele, sei mit solchen Einschlägen zu rechnen. „Wenn sich der Rauch verzogen hat, geht es wieder in einen konstruktiven Dialog über“, sagt Nickel zum Positionspapier der Winnender Chefärzte, das viel Porzellan zerdepperte und für Streit sorgte – innerhalb des Krankenhauses zwischen Schorndorf und Winnenden wie auch im Landkreis. Der Entwurf eines Medizinkonzepts, der bereits in den letzten Zügen lag, wurde kurzerhand über den Haufen geworfen. Bei den Chefärzten hie wie dort dämmere bereits die Einsicht, dass es ohne die anderen nicht gehe, sagt Nickel, der als Streitschlichter gefordert ist. Vor dem Hintergrund des Wachstums beider Krankenhäuser sieht er jedoch überhaupt keine Notwendigkeit für eine Standortdiskussion. Vielmehr denkt er bereits über die heute 900 Betten hinaus, die es in Schorndorf und Winnenden derzeit gebe. „Das ist die normative Kraft des Faktischen“, sagt Nickel und weist auf den jüngsten Beschluss des Aufsichtsrats hin. In dem Medizinkonzept, das bis Herbst vorliegen soll, sollen zwei Standorte Vorrang haben.

„Für die Leistung hatten wir reichlich Personal“

Nickels Einstand vor einem Jahr fiel nicht nach Maß aus. Bei seiner Vorstellung hatte der neue Geschäftsführer mit Blick auf Umsatz und Personal bei seiner Vorstellung ein Missverhältnis entdeckt. Bei den 2100 Mitarbeitern sorgte dies für erhebliche Unruhe. „Für die Leistung hatten wir reichlich Personal“, sagt Nickel heute. „Durch das Wachstum hat sich dies verändert.“ Zwölf Prozent Umsatzplus im vergangenen Jahr haben die Diskussion um Jobs beendet. Es gibt genügend zu tun. Die Kliniken suchen inzwischen dringend Personal, Pfleger wie auch Ärzte. Kaum im Amt war Nickel sofort als Krisenmanager gefordert: Ein interner Brandbrief von Schorndorfer Pflegekräften war an die Öffentlichkeit gelangt. Sie beklagten einen „zunehmend würdelosen Umgang mit Mitarbeitern und damit einhergehend auch mit den Patienten“.

Die Mitarbeiter sind für den Geschäftsführer der Schlüssel zum Erfolg. Wie wertvoll sie seien, wie leistungswillig und kompetent sie seien, diese Bemerkungen flicht Nickel immer wieder ins Gespräch ein. Sie zu informieren, an den Veränderungen zu beteiligen und mitzunehmen, darauf komme es an. Eine der Stellschrauben, an denen Nickel drehte, war dementsprechend, die interne Diskussionskultur zu verändern.

Eine der größten Baustellen des Klinikums ist die Notaufnahme, in der die Patienten lange warten und sich schlecht versorgt fühlen. Mit besserer Kommunikation und optimierten Arbeitsabläufen war es dort nicht getan, wie Nickel zunächst gehofft hatte. Anfang Juni wird umgebaut (siehe nebenstehend: „Die Notaufnahme in Winnenden wird umgebaut“).

Das Angebot der Klinken wird weiter ausgebaut, kündigt Marc Nickel an. „Da ist noch einiges im Köcher.“ Für die Orthopädie in Winnenden wird ein weiterer Chefarzt gesucht, der sich speziell um Wechselendoprothetik kümmert, also um Patienten, deren künstliches Hüftgelenk in die Jahre gekommen ist und ausgetauscht werden muss.

Im Hinterkopf hat der Betriebswirt Nickel als Sanierer immer, den Umsatz und die Erlöse zu steigern. Das hat in seinem ersten Jahr gut geklappt. Im ersten Quartal 2016 liegt der Umsatz ebenfalls zehn Prozent höher als im Vorjahr. Mehr Patienten sind ein Grund, höherwertige Leistungen ein weiterer, was auf neue Abteilungen zurückzuführen ist wie die Gefäßchirurgie und die Kardiologie in Winnenden oder die Viszeralchirurgie und die Wirbelsäulenoperationen in Schorndorf. Bezahlt werden Kliniken nach Fallpauschalen. Dies sollte sie zwingen, Leistungen möglichst wirtschaftlich zu erbringen. Die Pauschalen verleiten jedoch auch dazu, aus medizinischer Sicht unnötige Behandlungen durchzuführen, weiß der Mediziner Nickel um die Fehlanreize, die von den Fallpauschalen ausgehen können. „Das höchste Gut ist die medizinische Qualität“, betont Nickel. Alles andere sei nicht nachhaltig. „Im Kern geht es um eine exzellente Medizin.“

Schon von ihrem relativ geringen Marktanteil her betrachtet haben es die Rems-Murr-Kliniken nicht nötig, überflüssige Behandlungen durchzuführen. Der liegt bei rund 50 Prozent. Die Hälfte der Patienten aus dem Kreis wandert in Krankenhäuser im Umland ab. Noch. Mit weiteren Spezialisierungen sollen sie nach Winnenden oder Schorndorf gelockt werden.

„In zwei Jahren sollen die Kliniken auf soliden Füßen stehen“

2018 läuft Nickels auf zunächst drei Jahre befristete Tätigkeit aus. „In zwei Jahren soll das Unternehmen auf soliden Füßen stehen“, umreißt er seine Ziele. Voraussetzung sei eine Medizinstrategie, die klare Perspektiven böte – und zwar in kommunaler Trägerschaft. Ein Erfolgsfaktor seines ersten Jahres sei nicht zuletzt die Unterstützung durch den Gesellschafter gewesen, den Landkreis Rems-Murr, der trotz des Defizits von rund 30 Millionen Euro im vergangenen Jahr hinter seinen Krankenhäusern gestanden sei. Nickel hält es für realistisch, dass die Kliniken in absehbarer Zeit im operativen Geschäft schwarze Zahlen schreiben werden. 2015 lag das Defizit bei rund zehn Millionen Euro. Mittelfristig könnten sie durchaus aber einen Beitrag zu den Belastungen aus der Finanzierung des Neubaus (rund 20 Millionen Euro) leisten.


Winnenden. Die Notaufnahme war seit der Eröffnung des Winnender Klinikums im Sommer 2014 ein Notfall. Lange Wartezeiten sorgten für viel Verdruss bei den Patienten. In fünf bis sechs Monaten soll der Umbau der Notaufnahme abgeschlossen sein.

Anfang Juni beginnt der Umbau. Die Kliniken investieren einen hohen sechsstelligen Betrag, damit die Notaufnahme endlich funktioniert. Einer der Gründe für die langen Wartezeiten war, dass zu viele Patienten selbst mit kleinen Wehwehchen in die Notaufnahme strömten. Sie wunderten sich, dass sie stundenlang warten mussten – und mit ihnen die ernsten Fälle. An Abenden und an den Wochenenden sind jedoch Patienten mit Grippe, verstauchten Knöcheln oder starken Kopfschmerzen ein klarer Fall für die Notfallpraxis der niedergelassenen Ärzte im benachbarten Gesundheitszentrum.

Mit dem Umbau wird dieser Geburtsfehler der getrennten Notaufnahme des Klinikums und der Notfallpraxis beseitigt. „Die Patienten sollen gar nicht merken, ob sie in der Notfallpraxis oder in der Notaufnahme sind“, sagt Klinikengeschäftsführer Dr. Marc Nickel. Drei Aufnahmeplätze sorgen dafür, dass die Patienten an den richtigen Platz sind.

Das Problem mit überquellenden Notaufnahmen teilt das Klinikum mit vielen Krankenhäusern. Es ist nicht zuletzt ein finanzielles Problem für die Kliniken. Die Pauschale von 32 Euro je Patient decken die Kosten nicht, sagt Marc Nickel. Nichtsdestotrotz haben die Notaufnahmen einen Versorgungsauftrag und dürfen Patienten nicht einfach wegschicken. „Jeder, der kommt, wird als Notfall kategorisiert.“ Egal ob es sich um einen echten Notfall handelt oder um einen Fall für den Hausarzt.

Auch intern sollen die Abläufe in der Notaufnahme neu gestaltet werden. Am 1. Juli bekommt die Abteilung einen eigenen Chefarzt. Dr. med. Torsten Ade leitet bisher am Klinikum Esslingen die Notaufnahme.

Marc Nickel

Dr. Marc Nickel ist seit 1. April 2015 Geschäftsführer der Rems-Murr-Kliniken. Angesicht der roten Zahlen und der Verzögerungen des Umzugs nach Winnenden hatte der Aufsichtsrat der beiden Krankenhäuser in einer nichtöffentlichen Sitzung die Reißleine gezogen und Jürgen Winter entlassen.

Bereits zuvor war die Unternehmensberatung Oberender ins Haus geholt und mit der Sanierung der Kliniken beauftragt worden. Marc Nickel gehörte zu dem Sanierungsteam. Der Interimsgeschäftsführer mit einem Vertrag bis 2018 hat erst Medizin und danach Betriebswirtschaft studiert. Er war medizinischer Leiter der Euromed-Clinic, arbeitete als Geschäftsführer des Klinikums Kempten und ist seit 2013 Unternehmensberater bei Economedic.

Das Rems-Murr-Klinikum in Winnenden und die Rems-Murr-Klinik Schorndorf sind Krankenhäuser der Zentral- beziehungsweise Regelversorgung. In 20 Fachkliniken mit insgesamt 911 Betten werden jährlich rund 40 000 Patienten stationär versorgt. Beschäftigt werden rund 2100 Mitarbeiter. Mit dem im Sommer 2014 bezogenen, rund 300 Millionen Euro teuren Neubau in Winnenden hatte der Landkreis die Hoffnung verbunden, aus den roten Zahlen herauszukommen. Das Gegenteil ist der Fall: 2015 liegt das Defizit bei rund 30 Millionen Euro.