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Ärzte wollten nicht helfen, nur ihre Haut retten

Wieder sorgt ein Skandal in italienischen Krankenhäusern für Aufregung. In Reggio Calabria sollen Mediziner für Abtreibungen ohne Zustimmung der Mütter und den Tod von Neugeborenen verantwortlich sein

Die Ermittler der Antimafia-Staatsanwaltschaft in Kalabrien trauten ihren Ohren nicht. Eigentlich waren sie gefährlichen Bossen der ’Ndrangheta auf den Fersen. Doch was sie entdeckten, war mindestens genauso grausam: Mehrere Ärzte, Pfleger und anderes Personal im städtischen Krankenhaus der kalabrischen Stadt Reggio Calabria haben jahrelang vertuscht, was sich in ihren OPs abgespielt hatte.

In großem Stil sollen sie Unterlagen und Patientenakten gefälscht und vernichtet haben. Die Ermittler sprachen von einem groß angelegten „System der Vertuschung, in das der ganze medizinische Apparat verwickelt war“.

Pfusch, der Säuglingen das Leben kostete oder zu schweren Behinderungen bei Babys und Verstümmelungen bei einer Mutter geführt hatte. Selbst der Antimafia-Chefermittler, Staatsanwalt Federico Cafiero De Raho, war so erschüttert, dass ihn die Beweislage „an die berüchtigte Klinik des Doktor Mengele“ erinnere. Der Arzt Josef Mengele hatte in Auschwitz Versuche an Insassen des Konzentrationslagers vorgenommen. Bei einem Lauschangriff, der eigentlich dem mutmaßlichen ’Ndrangheta-Boss Giorgio De Stefano galt, hörten die Fahnder einem Gespräch zu, das der Clanchef mit seinem Neffen führte. Aber die beiden lieferten nicht – wie von den Fahndern erwartet – Informationen zu den üblichen Mafiageschäften, Geldwäsche oder Drogenhandel. De Stefano hatte den Chefarzt der örtlichen Gynäkologie, Alessandro Tripodi, in der Leitung. Es ging bei dessen Gespräch um unbequeme Todesfälle in der Geburtsstation.

Die Ermittler wurden neugierig, belauschten auch die Kollegen aus dem Krankenhaus. Sie hörten von zwei Neugeborenen, die gleich nach der Geburt – offensichtlich aufgrund grober ärztlicher Fehler – verstorben waren. Man müsse die „Akten in den Schränken vergraben“, dann würde das niemand erfahren, sagten die Ärzte.

Ein anderes Kind ist seit der Geburt schwerbehindert, es lebt im vegetativen Stadium. Jemand hatte vergessen, es in den Brutkasten zu legen und mit zusätzlich notwendigem Sauerstoff zu versorgen, obwohl bei der Mutter schon vor der Geburt deutliche „Anzeichen“ und „Herzstillstand“ diagnostiziert worden waren. Der verantwortliche Arzt berichtet dem Mafiachef am Telefon: „Das Kind hat den Sauerstoff mit 53 Minuten Verspätung bekommen.“ Einer Gebärenden wurde im Kreißsaal die „Gebärmutter herausgelöst, weiß der Teufel, wie“, heißt es in einem anderen Telefonat. „Der Bauch ist noch auf und zerfleddert, das ist irre!“

In zwei bisher bekannten Fällen wurden Abtreibungen ohne die Zustimmung der Mütter eingeleitet. Ein Opfer ist die Schwester von Chefarzt Tripoli. Er fürchtete eine genetische Krankheit beim Fötus der Schwester und beschloss gemeinsam mit den Kollegen eine Abtreibung. Jetzt protestiert die Schwester: „Ich hätte trotz einer Krankheit niemals meine Einwilligung zu einer Abtreibung gegeben.“

Vier Ärzte des Bianchi-Melacrino-Morelli-Krankenhauses wurden jetzt unter Hausarrest gestellt, weitere sieben wurden vom Dienst suspendiert. Die Begründung im Haftbefehl lautet: Die Ärzte hätten nicht helfen, sondern nur „die eigene Haut retten“ wollen.

Italiens Gesundheitsministerin Beatrice Lorenzin, selbst junge Mutter, sprach von einer „skandalösen Situation“. Sie hat erst vor Kurzem eine Taskforce für Italiens Gesundheitssystem ins Leben gerufen. Kontrolleure des Ministeriums, die zukünftig sowohl den medizinischen als auch den Verwaltungssektor des Landes auf Korruption prüfen sollen.

In Italien ist Ärztepfusch in Krankenhäusern keine Seltenheit. Jährlich sterben etwa 50 Frauen bei der Geburt, in westlichen Ländern sind es im Schnitt nur 20. Immer wieder kommt es auch zu Skandalen, wenn Ärzte oder Schwestern eigenmächtig über Leben oder Tod der Patienten entscheiden.

Manchmal pfuschen allerdings auch die Ermittler: Die Krankenschwester Faust Bonino, die am 31. März in der toskanischen Stadt Piombino verhaftet worden war, wurde am Mittwoch wieder entlassen. Die Justiz wollte herausgefunden haben, dass sie 13 Patienten im städtischen Krankenhaus mit Injektionen ermordet haben soll. Aber es stellte sich heraus, dass den zuständigen Staatsanwälten stichhaltige Beweise fehlten und sie die Indizien willkürlich zusammengestellt hatten.

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