Krankenhauskeime : Es fehlt an Ernsthaftigkeit und Geld
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Bedrohung: Nach Angaben des Gesundheitsministeriums gehen rund eine halbe Millionen Infektionen auf Krankenhauskeime zurück. Bild: dpa
Krankenhauskeime sind eine Bedrohung, die jährlich bis zu 15.000 Menschenleben fordert. Zwar können Kliniken ihre Patienten nicht vor allen schützen – aber vieles besser machen.
Bekanntlich wird das Unglück vor allem dadurch so schlimm, dass es selten alleine kommt. Michael Bucher, 34, tanzte mit seiner Freundin Swing, als er eine unachtsame Bewegung machte. Es gab einen Knall aus der Richtung seiner Ferse, trotz der Musik war er zu hören. Seine Achillessehne war gerissen. Sie zusammenzuflicken ist eine Standardoperation heute. „Wir machen zwar mehr Blinddarm hier, aber das kriegen wir hin“, versicherte die Klinikärztin ihrem Patienten noch vor dem Eingriff.
Die Operation sei gut gelaufen, hieß es hinterher, aber dann begann das Fiasko erst. Am nächsten Tag wurde Buchers Fuß taub, dann begann er zu schmerzen. Sobald er aufstand und das Blut in sein Bein schoss, pochte es wie verrückt. Bucher, der eigentlich anders heißt, wurde entlassen, aber die Schmerzen ließen nicht nach. Als es nach einer Woche immer noch nicht besser war, untersuchte der Hausarzt sein Blut. Die Entzündungswerte waren außerordentlich hoch: das Ergebnis einer Infektion. Offenbar war ein Keim in die Wunde am Fuß gelangt.
Serie schmerzhafter Operationen
Um was für einen Erreger es sich handelte, das wusste zu jenem Zeitpunkt noch keiner. Der Hausarzt verschrieb dem Patienten ein Antibiotikum – aber die Pillen zeigten keinerlei Wirkung. Bucher ging wieder ins Krankenhaus, es war der zwölfte Tag nach der OP. Als die Ärzte dort nach der Wunde schauten, erschraken sie, und tags darauf begann eine Serie von Operationen, die sich über den gesamten Sommer des vergangenen Jahres zog. Alle paar Tage musste infiziertes Fleisch aus dem Fuß geschnitten werden, wochenlang zeichnete sich kaum eine Besserung ab. Nach jedem Eingriff hieß es, es sei nicht der letzte gewesen. Bucher bangte um seinen Fuß.
So nervenaufreibend und schmerzhaft all das auch für ihn war, ist Buchers Fall in der Statistik nur einer von vielen. Es benötigt zwar drei Bedingungen, damit es überhaupt zu einer Infektion kommt – es braucht erstens einen Erreger, der zweitens in die Blutbahn des Menschen gelangt und drittens dort zu einer Infektion führt. Trotzdem treten nach Angaben des Bundesgesundheitsministeriums jedes Jahr rund eine halbe Million Infektionen auf, die im Zusammenhang mit einer Behandlung im Krankenhaus stehen. Was im Fachjargon als nosokomiale Infektion bezeichnet wird, macht sich konkret als Harnwegsinfekt, als Lungenentzündung oder etwa, so wie bei Bucher, als Wundinfektion bemerkbar.
Wird man in Krankenhäusern kränker?
Sollte man heute also lieber einen großen Bogen um Krankenhäuser machen, weil man dort häufig noch kränker wird, als man vorher schon war?
Natürlich gibt es Keime, die einem das Leben vergällen können, überall. Wenn selbst gesunde Menschen von ihnen besiedelt sind, da lassen sie sich aus Kliniken schon gar nicht verbannen. Zumal sich Haut zwar desinfizieren lässt, sie als lebendige Materie aber niemals steril wird. Dazu kommt, dass es um das Immunsystem vieler Patienten, die in Kliniken liegen, nicht zum Besten bestellt ist. So ist man fast geneigt, die Infektionen als den Preis zu entschuldigen, den die moderne Medizin eben nun einmal hat – sie hebelt manchen natürlichen Schutz aus, den Haut, Hustenreiz oder Magensäure bieten. Indem sie Schnitte macht, Löcher bohrt, Medikamente gibt und Schläuche legt, bietet sie Erregern zahlreiche Chancen und künstliche Eintrittspforten.
Aber Kliniken weisen das Problem mit einer solch schlichten Erklärung nicht so einfach von sich, dafür ist die Lage zu ernst.10.000 bis 15.000 Menschenleben fordern die Infektionen jedes Jahr, darunter viele, weil gegen unempfindlich gewordene Keime kein Medikament mehr hilft. Das Infektionsschutzgesetz verpflichtet Krankenhäuser dazu, Maßnahmen zu ergreifen, die Erregern Einhalt bieten und mit denen sich Infektionen vermeiden lassen. Anders gesagt, Krankenhäuser müssen für Hygiene sorgen.
Aber was sagt die Schätzung des Gesundheitsministeriums, wonach ein Drittel der Infektionen vermeidbar wäre, über die Zustände an deutschen Kliniken aus?
Um sich ein Bild davon zu machen, wie Keimbekämpfung in der Praxis funktioniert, hätte es sich angeboten, einen Krankenhaushygieniker bei seiner Arbeit vor Ort in einer Klinik zu begleiten. Aber Anfragen im Auftrag der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung bei acht Kliniken im Rhein-Neckar-Raum ergaben: Fehlanzeige. Gerne würde man eine Teilnahme ermöglichen, wurde immer wieder beteuert, aber leider müsse man absagen. Mal wegen eines anstehenden Personalwechsels, mal aufgrund von Unklarheiten bei den Begehungsterminen, mal weil es zu kompliziert sei, eine Genehmigung von der Geschäftsführung zu erhalten.
Sind die Krankenhäuser nun überfordert, sind sie einfach nur vorsichtig – oder haben sie etwas zu verbergen? Keine Frage, Keime sind ein heikles Thema. Nirgends wurde das so deutlich wie am Mannheimer Universitätsklinikum, das vor eineinhalb Jahren nach den Berichten über Haare, Knochensplitter und tote Fliegen im Operationsbesteck über Wochen hinweg in den Schlagzeilen blieb. Hygienische Mängel an Kliniken wurden natürlich auch schon anderswo offenbar, in Fulda etwa, in München oder in Karlsruhe. Skandale entzünden sich fast immer an verschmutztem OP-Besteck oder anderen medizinischen Apparaten.
Kliniken müssen Beratungen durch Hygieniker beanspruchen
Ist es das, was einen bei einer Begehung erwartet würde und besser nicht öffentlich wird? „Tote Fliegen im OP habe ich noch nicht gesehen“, antwortet Constanze Wendt, Krankenhaushygienikerin aus Heidelberg. „Aber dass ein Instrument nicht hundertprozentig aufbereitet worden ist, so etwas gibt es. Und selbst wenn es nicht ganz so weit kommt: Der Belastungsgrad von Krankenhäusern ist wahnsinnig hoch. Jedes von ihnen hat Bereiche, von denen es weiß: Hier läuft es nicht so gut.“
Dass Wendt unbekümmert solche Dinge sagen kann, liegt daran, dass sie sich nicht einer bestimmten Klinik zuordnen lässt. Die Medizinerin mit einem Facharzt in Mikrobiologie und einem in Hygiene ist für ein Labor tätig und besucht regelmäßig Krankenhäuser in Deutschland und der Region, die keinen eigenen Hygieniker haben. Dazu muss man sagen, dass eigentlich jede Klinik mit mehr als 400 Betten einen hauptamtlichen Hygieniker beschäftigen sollte, während die große Mehrheit der kleineren Kliniken dazu angehalten ist, regelmäßig die Beratung eines Hygienikers in Anspruch zu nehmen. Das sehen die „Empfehlungen“ der Kommission für Krankenhaushygiene und Infektionsprävention beim Robert-Koch-Institut so vor, die gesetzlich verankert sind. Weil es aber nicht genügend Personal gibt, das diesen Bedarf deckt, besucht Wendt auch manchmal größere Häuser.
Wie oft sie vorbeikommt, hängt von der Größe der Einrichtung und der Anzahl der Risikobereiche ab, zu denen beispielsweise Intensiv- und Frühchenstationen zählen, aber auch Endoskopie und Zentralsterilisation. Manche Kliniken besucht sie alle zwei Wochen, andere alle zwei Monate.
Nicht nur im Operationssaal lassen sich Gefahrenherde ausmachen
Wenn sie vor Ort ist, gilt ihr Interesse längst nicht nur dem Operationssaal. Regelmäßig nimmt sie auch das übrige Gebäude in Augenschein, all die Räumlichkeiten zwischen Keller und Dach. Was zum Alltag vieler Krankenhäuser gehört, hat sie auf Fotos festgehalten, die sie ihren Gutachten beifügt. In ihrem Büro im fünften Stock des Medizinlabors Limbach zeigt sie ein paar von ihnen. Da kann man zum Beispiel Pappkartons voller Sterilgut erkennen, die auf dem Boden eines Lagers stehen und auf denen ein Wasserrand noch vom Wischen desselben zeugt; ein Beistelltisch mit Blutspuren, der im Klinikflur stehen blieb; ein Teil eines Beatmungssystems, das schon im Rachen eines Patienten steckte und auf seinem Nachttisch vergessen wurde; ein Raum mit sauberen Kitteln neben einem schmutzigen Bett.
Alles Dinge also, die nicht in derselben Liga wie schmutzige Skalpelle spielen – und die dennoch das Potential haben, zur Bedrohung zu werden. Spritzen sind zwar einzeln eingeschweißt, aber wenn man sie aus einem schimmeligen Karton holen muss, kann es eben doch passieren, dass Sporen an sie gelangen. Und wenn der Infusionsständer nicht in einem Raum eigens für Dinge steht, die zum Patienten gehen, sondern in einem Entsorgungsraum direkt neben Schmutzwäsche und Mülleimern, kann es sein, dass er nicht keimfrei bleibt, wenn er plötzlich dringend gebraucht wird. Fehlende Zeit und fehlender Platz – die Risikofaktoren, denen Wendt bei ihren Begehungen begegnet, sind letztlich Folge von fehlendem Geld.
Personal häufig Ursache für Keimübetragung
Als externe Hygienikerin kann sie keine verbindlichen Weisungen geben, aber Beratung leisten – in Zeiten knapper Mittel zählen die richtigen Prioritäten. Die Nachttische der Patienten müssen täglich geputzt werden, die Deckenlampen im Flur aber vielleicht nicht unbedingt; im Zweifelsfall ist wichtiger, dass Windeln, Spritzen und Handtücher täglich geliefert werden, damit sie nicht auf dem Boden herumstehen, als dass die Papierkörbe in den Büros jeden Morgen geleert werden.
Mit der Minimierung solcher Gefahrenquellen allein ist es jedoch nicht getan. Denn in den meisten Fällen sind es die Hände des Personals, die die Keime übertragen. Wendt interessiert sich deshalb nicht nur für den Verbrauch von Desinfektionsmitteln der Häuser, die sie besucht, sie koordiniert auch Programme zur Händehygiene – obwohl sie um den begrenzten Erfolg weiß, den viele Maßnahmen haben. „Aus Untersuchungen weiß man, dass die Händehygiene direkt nach Schulungen in 70 Prozent der Fälle funktioniert, in denen sie geboten wäre. Aber ein bis zwei Monate später sinkt die Quote wieder“, berichtet Wendt, die den regelmäßigen Griff zum Desinfektionsmittel gerne automatisiert sehen möchte. „Beim Kontakt mit Blut oder Ausscheidungen – also dort, wo die Idee ist, sich selbst zu schützen – funktioniert die Händehygiene relativ gut. Es ist die Umgebung der Patienten, in der sie oft vergessen wird, so dass Keime beispielsweise von einem Bett zum anderen befördert werden.“
Nur 0,3 Prozent der Erreger sind multi-resistent
In Zukunft, meinen manche, könnte sich die Situation in den Kliniken noch verschärfen. Der Anteil von Patienten, der von einem Krankenhausaufenthalt eine Infektion davonträgt, ist mit 3,5 Prozent zwar seit Jahren konstant, aber das Problem der Erreger, denen mit Antibiotika kaum beizukommen ist, steigt insgesamt: „Der MRSA-Keim nimmt zwar ab, aber sogenannte gramnegative Bakterien wie E.coli oder Klebsiella werden immer häufiger multiresistent“, sagt Wendt.
Auch wenn es im besten Fall erst gar nicht zu einer Infektion kommen sollte, beruhigt zumindest für den Moment eine Hochrechnung, die im vergangenen Jahr im „Deutschen Ärzteblatt“ erschienen ist. Demnach werden sechs Prozent aller Krankenhausinfektionen von Keimen hervorgerufen, gegen die zwar mehrere Antibiotika machtlos sind – aber nicht alle von ihnen, so dass noch immer manche wirken. Nur 0,3 Prozent der Krankenhausinfektionen gehen auf multi-resistente Erreger zurück, gegen die kein Mittel mehr hilft.
Bei Michael Bucher übrigens schlugen die Antibiotika doch noch an. Bei all seinem Pech klingt es zynisch, überhaupt von Glück zu sprechen. Aber dass die Mittel wirkten, erwies sich als Segen. Weil Extremitäten immer schlechter als die Körpermitte durchblutet sind, hatten die Pillen nichts ausrichten können. Aber als die Ärzte beim Operieren die Wunde direkt mit dem Wirkstoff spülten, brachte das den Erfolg.
Nach fünf Operationen war Bucher die Entzündung los, die schlimmsten Strapazen hatten ein Ende. Es folgte die Rekonstruktion einer neuen Achillessehne, dann konnte der Fuß endlich zugenäht werden. Aber bis er wieder tanzen kann, dauert es noch.