Entlassmanagement

In die Freiheit entlassen?

Stuttgart - 14.05.2016, 06:55 Uhr

Beim Thema Entlassung gilt es viele bürokratische Hindernisse aus dem Weg zu räumen. (Foto: doomu / Fotolia)

Beim Thema Entlassung gilt es viele bürokratische Hindernisse aus dem Weg zu räumen. (Foto: doomu / Fotolia)


Zukünftig soll es Krankenhausärzten erlaubt sein, spezielle Entlassrezepte auszustellen. Dies soll eine nahtlose medizinische Versorgung von Patienten direkt im Anschluss an einen Klinikaufenthalt ermöglichen -  auch mit Arzneimitteln. An sich eine gute Sache, wären da nicht… DAZ.online-Redakteurin und Apothekerin Celine Müller hat sich so ihre Gedanken gemacht.

GKV-Versorgungsstärkungsgesetz: Das klingt nach Tatendrang! Im Juli 2015 um den Absatz 1a ergänzt, sieht § 39 SGB V seither nämlich ein Entlassmanagement vor. Prima! Weiterhin heißt es, das Entlassmanagement sei Teil der Krankenhausbehandlung. Was wiederum vermuten lässt, in wessen Zuständigkeitsbereich es fällt: In den der Klinik. Somit begleitet das Krankenhaus den Patienten nun bei der Aufnahme, teilweise zumindest schon – während der Behandlung – und jetzt auch bei der Entlassung. Bald, hoffentlich.

Kritische Schnittstellen von der stationären zur ambulanten Versorgung sollen nahtlos überbrückt werden. Als kritisch gelten diese deshalb, weil die Patienten nach einer durchschnittlichen Verweildauer von 6,5 Tagen am Tag ihrer Entlassung meist mitnichten vollständig genesen sind. Obendrein fühlen sie sich häufig mit den vielen Informationen und bürokratischen Formalitäten überfordert: Neue Diagnosen, Arzneimittel und Therapien. 

Das neue Gesetz sollte den Krankenhausärzten unter anderem die Möglichkeit geben, Arzneimittel im Zuge der Patientenentlassung zu verordnen, um so zumindest eine fortdauernde, sichere Arzneimittelversorgung zu gewährleisten.

Patienten fühlen sich alleingelassen

Oberstes Ziel sollte das Patientenwohl sein. Das könnte man zumindest meinen. Und dass das stiefmütterliche Thema der Entlassung nun endlich gesetzlichen Nährboden bekommt, weckt ja durchaus Optimismus. Ist doch „Entlassen” seit jeher ein eher verlassener Versorgungsbereich. Patienten fühlen sich gerade an diesem Punkt häufig allein gelassen.

Aufatmen also seitens derjenigen, die ein solches Entlass-Prozedere bereits einmal durchlebt haben. Gleichermaßen seitens der Apotheker, die sich regelmäßig am Freitagnachmittag hilflosen Patienten gegenüber sehen. Ohne Arzneimittel. Ohne Rezept. Mit ganz viel Glück aber zumindest mit einem Entlassbrief. Dann weiß der Apotheker zumindest, welche „Wassertablette” unter die präzise Beschreibung „klein, weiß, rund” des Patienten fällt. Das soll bald der Vergangenheit angehören? Herrliche Aussichten!

Doch die Euphorie ob des Tatendrangs und der Weitsichtigkeit seitens des Gesetzgebers wird rasch in ihre Schranken gewiesen. Denn noch bevor überhaupt ein Krankenhausarzt in die Verlegenheit kommt, irgendetwas zum Zwecke des Patientenwohls zu verordnen, lesen wir im Gesetzestext einen Satz weiter: Das Krankenhaus kann sich dieser – vielleicht lästigen Pflicht – per Vertrag sozusagen entledigen und das Entlassen nun doch wieder den Vertragsärzten überlassen. Outsourcing. Interessant. Wo darin nun nämlich dann die Vereinfachung für den Patienten und die Gewährung dessen lückenloser Therapie zu suchen sein soll, vor allem die Veränderung zur bisherigen Situation, erschließt sich mir noch nicht in Gänze. Vielleicht geht das aber auch nur mir so.


Ich weiß, dass ich nichts weiß.

Sokrates


Oder: Klar ist, dass vieles nicht klar ist

Was darf wer, wie, wann in welcher Menge verordnen, abgeben und für welchen Zeitraum? Sokrates findet die passenden Worte.

Wie das „Arzneiverordnungsblatt”, so heißt das innovative Stück, gestaltet ist, weiß man zwar noch nicht. Eine Verordnung, wie wir sie von Muster 16 kennen, wird es definitiv nicht sein. Doch die Arzneimittel-Verschreibungsverordnung soll schon mal greifen. Gut. Aber natürlich auch nur, so denn überhaupt verschrieben werden wird. Das gilt es erst, wie könnte es auch anders sein, nach „medizinischen und organisatorischen Aspekten eingehend zu prüfen”. 

Im Zuge dessen ist nämlich noch nicht einmal eindeutig geregelt, wann überhaupt ein Rezept ausgestellt werden darf. Oder die Krankenhausapotheke beziehungsweise die krankenhausversorgende Apotheke die benötigte Menge an Arzneimitteln doch wieder direkt mitgibt. 

Beide Möglichkeiten stehen hier „nebeneinander”. „Wenn mit der Mitgabe von Arzneimitteln die Behandlung abgeschlossen werden kann”, ist die Mitgabe vor dem Wochenende oder bevorstehenden Feiertag aus wirtschaftlichen Gründen der Verordnung im Entlassmanagement vorzuziehen. „Weitere Konstellationen sind denkbar”, in denen die Mitgabe vor dem Wochenende oder bevorstehendem Feiertag einer Entlassverordnung vorzuziehen sein kann, sagt der Gemeinsame Bundesauschuss (G-BA). 

Die Rechnung ohne den Arzt gemacht. Die Apotheke stellt ohnehin keine.

Wenn der wohl seltene Fall dann eintritt, und es kommt zu der Rarität einer Rezeptausstellung im Krankenhaus: Wer ist überhaupt befugt dazu? Assistenzärzte haben noch keine Arztnummer. Die muss aber auf das Rezept. Vertrackt. Bleiben dann die Ober- und Chefärzte. Und wie werden Regress-Ansprüche behandelt? Regelt die Klinik das intern und individuell? Und zu Regressen und entsprechenden Retaxationen für die Apotheken wird es unweigerlich kommen. Da braucht man keine prognostische Kristallkugel. Selbst wenn wir mittlerweile Telefonnummer und gar den Vornamen des Arztes eigenmächtig ergänzen dürfen.

Eine enorme Welle an „Beratungsmanagement” hinsichtlich OTC-Ausnahmeliste, Festbeträge, Verordnungsfähigkeit von Medizinprodukten, Packungsgrößen-Verordnung sehe ich hier zumindest aber schon einmal auf die Apotheken zurollen. Wer die Rechnung seitens der Apotheken hierfür stellen darf, ob überhaupt eine Rechnung gestellt wird – die Kristallkugel ist wohl auch hier überflüssig. Leider. 

Hauptsache alles ist normiert

Ein wichtiges Anliegen des G-BA ist aber, in jedem Fall die Packungsgrößen-Verordnung im Sinne des Entlassmanagements zu berücksichtigen. Die sieht vor, dass nur die mit dem kleinsten Packungsgrößenkennzeichen rezeptiert werden darf, bekannt als N1. Wenn es nun aber keine N1 gibt? Sie scrollen die Lauer-Taxe von oben nach unten. Nichts. Der Paragraph neun der Arzneimittel-Richtlinie (AM-RL) kann hier weiter helfen:

„In den Fällen, in denen keine Packungsgröße mit dem kleinsten Packungsgrößenkennzeichen gemäß Packungsgrößenverordnung im Verkehr ist, kann eine Packung, deren Packungsgröße die Größe einer Packung mit dem kleinsten Packungsgrößenkennzeichen gemäß Packungsgrößenverordnung nicht überschreitet, verordnet werden, um eine Versorgungslücke zu vermeiden.”

Einleuchtend, zumindest nach dem dritten Mal lesen. Dem Arzt wird das im Zweifel egal sein, wenn sein PC bei N1 keine Treffer zeigt. Gibt es ja noch den guten, alten Füller. Und, da bin ich zuversichtlich: Der schreibt zuverlässig N1.

Komplizierter wird es allerdings, wenn die kleinste Packung die N2 ist. Darf der Krankenhausarzt diese einfach ohne Sorge vor Regress verordnen? Und darf eine Apotheke das dann auch beliefern? Nach Aussagen des G-BA könne diese Frage „noch nicht abschließend beantwortet werden”. 

Die liebe Liebe zur Wirtschaftlichkeit

„Abschließend beantworten” kann man, also der G-BA, allerdings die Frage nach der wirtschaftlichen Verordnungsweise. Da besteht zweifelsfrei Einigkeit, dass diese auch im Falle der Entlass-Medikation zu priorisieren ist. Was wiederum niemanden großartig überraschen dürfte. Sobald es für die gesetzlichen Krankenkassen wirtschaftlich ist, befinden wir uns im Land der unbegrenzten Möglichkeiten. Ob nun die voraussichtlich überschaubare Anzahl an N1-Packungen im Verhältnis zu den Kosten bei zytostatischen Zubereitungen oder antibiotischen Infusionslösungen kriegsentscheidend in der Arzneimittelkostenbilanz der Kassen sein wird, das steht nun wiederum auf einem anderen Stern.

„Unbegrenzt” liefert dann auch bereits das Stichwort für die nächste Krux. Denn die Rezeptgültigkeit fällt darunter definitiv nicht. Fiel sie noch nie. Soweit vermeintlich auch kein Neuland. Neu ist, dass alle Arzneiverordnungsblätter – ungeachtet ob „rosa Rezept”, BTM- oder T-Rezept – höchstens drei Tage nach Ausstellung einlösbar sein werden. Doch, wie lange sind nun wieder gleich drei Tage? Zählt das Ausstellungsdatum mit? Montag bis Mittwoch oder Montag bis Donnerstag? Nicht abschließend klärbar. 

Feuer, Erde, Wasser, Luft

Könnten wir uns als Apotheker theoretisch nicht sogar freuen, wenn einmal nicht jeder Punkt und jedes i-Tüpfelchen gesetzlich vorgeschrieben wird? Wenn gesetzlicher Handlungsspielraum bliebe? Doch: Gebranntes Kind scheut Feuer. Und das stets lodernde Feuer der Krankenkasse ist halt nunmal die Retaxation.

Ich frage mich, ob auch seitens der Legislative Gedanken angestellt werden über triviale Dinge wie die Durchführung des Entlassmanagements im Klinikalltag. Der Boden der Tatsachen. Daumen hoch oder runter, ja oder nein zur Patientenfrage, ob nach Hause oder nicht, entscheidet sich zumeist bei der morgendlichen Visite. Und dann muss es aber fix gehen. Die Pauschale ist ausgeschöpft, das Bett muss frei werden. Innerhalb von zwei bis drei Stunden soll dann geprüft werden, ob verordnet, ob mitgegeben, wie der Patient sozial aufgestellt ist, welche Arzneimittel überhaupt benötigt und wer, wie richtig aufschreibt. Ist eine entsprechend hochwertige, unterstützende Verordnungs-Software in den Kliniken überhaupt etabliert? 

Man könnte verleitet sein, anzunehmen, klinikversorgende Apotheken seien hierbei im Vorteil. Könnten sie als ohnehin direkter Ansprechpartner des Krankenhauses das vom Klinikarzt ausgehändigte Rezept beliefern und den Patienten sicher versorgen. Weit gefehlt. Zuweisung. Antikorruptionsgesetz. Wo bleibt die freie Apothekenwahl des Patienten? Da stehen die Apotheker schnell mit einem Fuß im Gefängnis. Wie das Entlassmanagement da wohl gehandhabt wird? Wasser und Brot gibt es zumindest schon mal nicht auf Rezept.

Ich wage zu postulieren, dass betroffene Dienstleister im Gesundheitswesen, seien es Krankenhäuser und Ärzte oder Apotheker in öffentlichen und klinikversorgenden Apotheken, in diesem Gesetz durchaus noch Entwicklungspotenzial und Luft nach oben sehen. 

Frisch, fromm, fröhlich, frei

„Man hätte es besser machen können”, sagte Dr. Petra Nies vom G-BA in der regen Debatte zu ihrem Vortrag „Regelungen des Entlassmanagements und der Entlassmedikation” im Rahmen der Jahrestagung des Bundesverbands klinik- und heimversorgender Apotheken (BVKA) diese Woche in Mainz. Na, dann: Frisch, fromm, fröhlich, frei ans Werk! Pharmazeutische Sachkompetenz und gesunder Menschenverstand sind meist nicht die schlechtesten Ratgeber.

Anmerk. der Redaktion (1. Juni): Die Erklärung der Regelungen zur Mitgabe von Arzneimitteln an Feiertagen und Wochenenden wurde um konkretere Angaben ergänzt. 


Celine Müller, Apothekerin, Redakteurin DAZ.online
redaktion@daz.online


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2 Kommentare

"Pharmazeutischer Sachverstand" - Bitte melden!

von Wolfgang Müller am 15.05.2016 um 15:26 Uhr

Mitten in den Gesetzesvorbereitungen zum "Entlassmanagement" flammte seinerzeit mal kurz berufsübergreifende Vernunft auf. Der Vorschlag von Ärzteseite war: Das Krankenhaus gibt einfach N1 oder die kleinste Packung mit. Dann verdient eben die Krankenhaus- bzw. Krankenhaus-versorgende Apotheke ein einziges Mal daran mit, so what. Aber der ganze oben geschilderte Überkompliziertheits- und Risiko-Kram, sowie die Vorratshaltung von lauter 20er-Packungen in den Öffentlichen Apotheken wäre aus der Welt gewesen. Inzwischen graust uns ja wohl allen davor.

Preisfrage: Wer hat diese Lösung damals NICHT gewollt? Etwa der "Pharmazeutische Sachverstand"? Wenn es dann so war, dann kann der "Pharmazeutische Sachverstand" ja jetzt seine damaligen Einwände zurücknehmen, wäre ein Beweis von Lernfähigkeit und Weisheit ......

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Pharmazeutische Sachkompetenz und gesunder Menschenverstand

von Hermann Eiken am 14.05.2016 um 13:00 Uhr

sind auch in diesem Fall leider nicht gefragt.
Dafür sind zu viele knallharte finanzielle Interessen der Kassenärzte und Krankenhäuser im Spiel. Der GBA windet sich heraus. dort sitzen neben den Krankenkassen die beiden Verdächtigen. Da könnte nur der Gesetzgeber mal ordentlich durchsprechen und wirklich dem gesunden Menschenverstand und der pharmazeutischen Sachkompetenz mehr Gewicht verschaffen. Aber welche Ärztevertretung und Krankenhausvertretung und ebenso die Krankenkassen möchten schon einem weiteren Mitspieler, den Apothekern, einen Einfluß gönnen. So wird das Entlassmanagement ein Trauerspiel. Es kann nicht vernünftig funktionieren. Die Apotheker stehen weiterhin mit einem Bein im Gefängnis. Ein Notfallparagraf, wie in Österreich wäre da schon eine große Hilfe. Herr Gröhe, packen Sie das doch mal so an!!!

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