Auch in Freihandelsverträgen steckt der Teufel im Kleingedruckten. So auch im Fall von TTIP und Ceta. Vordergründig bieten sie den europäischen Regierungen die Möglichkeit, sensible Bereiche der Daseinsvorsorge von der Liberalisierung der Märkte auszunehmen –  zum Beispiel das Gesundheits- und Bildungssystem, oder die Versorgung mit Strom und Wasser. Doch wer sich den Verhandlungsstand bei TTIP und das fertig verhandelte Ceta-Abkommen, das im Oktober 2016 unterzeichnet werden soll, genau ansieht, der erkennt: Die Europäische Kommission und die Mitgliedstaaten haben ihre Vorbehalte zum Schutz der Daseinsvorsorge in den Dokumenten bisher nur in sehr eingeschränktem Maße deutlich gemacht.

Die entsprechenden Klauseln lassen häufig viel Interpretationsspielraum, denn sie arbeiten mit schlecht definierten Begriffen. Das macht sie praktisch nutzlos. Zudem beziehen sich die Vorbehalte nur auf einzelne Kapitel der Abkommen, etwa den Marktzugang, die Inländerbehandlung und das Meistbegünstigungsprinzip. Die Liberalisierungsversprechen anderer Kapitel werden durch sie nicht angetastet – also weder der Investitionsschutz noch die öffentliche Auftragsvergabe, die staatlichen Beihilfen, die Aufnahme einer zeitlich befristeten Beschäftigung in einem anderen Land oder die Anerkennung beruflicher Qualifikationen.

Die Konsequenz ist: TTIP und Ceta unterstützen nicht, wie es zu wünschen wäre, ein solidarisch finanziertes, allgemein zugängliches und qualitativ hochwertiges Gesundheits- und Sozialwesen, das die gute Versorgung aller Kranken und Pflegebedürftigen unabhängig von ihrem Einkommen in den Mittelpunkt stellt. Stattdessen sind die Handelsabkommen einseitig von Marktlogik und privatem Kapital geprägt. Das birgt Sprengstoff – für die Patienten, aber auch für die Arbeitsbedingungen der Beschäftigten.

Zum Beispiel im Kapitel zum Investitionsschutz. Seine Bestimmungen werden durch die bisherigen Vorbehalte der Europäer, die Bereiche der Daseinsvorsorge schützen sollen, nicht außer Kraft gesetzt. Die Investitionsstandards in TTIP und Ceta sind rigoros, und sie eröffnen gewinnorientierten Akteuren mannigfaltige Klagemöglichkeiten gegen Staaten.

Klagen gegen Risikoausgleich

Im Gesundheits- und Sozialsektor könnten zum Beispiel private ausländische Krankenversicherer gegen die bislang üblichen Risikoausgleichssysteme vorgehen, die Finanztransfers von Versicherungen mit geringen Risikoprofilen an Versicherungen mit hohen Risiken vorsehen. Die Ausgleichsregeln könnten innerhalb des Investitionsschutzkapitels von Ceta als Verstoß gegen das Gebot der fairen und gleichen Behandlung gewertet werden und zu kostspieligen Rechtsstreitigkeiten führen.

Eine ähnliche Gefahr ergäbe sich für Ausgleichszahlungen an öffentliche Krankenhäuser oder Änderungen in der Beihilfepolitik. Regeln, die eine gesetzlich verankerte Personalbemessung vorsehen, den Arbeitsschutz oder die Patientensicherheit verbessern sollen, könnten als gewinnmindernde indirekte Enteignung angegriffen werden.

Ceta enthält eine Liberalisierungspflicht für die befristete Arbeitsmigration in Betrieben, also etwa Versetzungen. Die befristete Arbeitsmigration muss praktisch ohne Prüfung von Anforderungen an die Qualifikation der betroffenen Arbeitnehmer für drei bis maximal viereinhalb Jahre gestattet werden, auch für Spezialisten. Darunter würden alle qualifizierten Gesundheitsberufe fallen. Für Auszubildende beträgt die Frist maximal anderthalb Jahre.

Da das Kapitel keinerlei sinnvolle Sozialklauseln enthält, könnten seine Regeln es den Unternehmen ermöglichen, Arbeitsgesetze von Mindestlöhnen bis zur Nichtdiskriminierung zu unterlaufen, indem sie ihr Personal munter über nationale Grenzen hinweg verschieben. Die negativen Folgen für die Arbeitnehmer und die Qualität der Versorgung sind absehbar. Zudem könnten Regeln für die Personaleinstellung ausländischer Arbeitsmigranten nach ethischen Grundsätzen ausgehebelt werden.

Das Ceta-Kapitel über die öffentliche Auftragsvergabe nimmt Gesundheits- und Sozialdienste vom Geltungsbereich des Abkommens ausdrücklich aus. Falls Ceta in Kraft tritt, müssten öffentliche Vergabestellen von Krankenhäusern bis zu Pflegeheimen ab einem bestimmten Auftragswert dennoch transatlantische Ausschreibungen organisieren.

Geschäfte mit Gesundheit

In der Europäischen Union kann die Einhaltung von Sozialkriterien, etwa von Tarifverträgen, als verpflichtend vorgeschrieben werden – nicht so in Ceta. Das Fehlen verbindlicher Sozial-, Arbeits- und anderer Qualitätsstandards in den Vergabekapiteln von Ceta und TTIP setzt die Vergabebehörden zudem dem Risiko kostspieliger Handelsdispute aus, wie dies zahlreiche Beschwerden privater Gesundheitsdienstleister über angebliche Verletzungen des nationalen oder europäischen Vergaberechts in Deutschland und England belegen.

In sämtlichen teilgeöffneten Märkten kann staatliches Handeln und Regulierung für das Allgemeinwohl durch TTIP und Ceta behindert, unterbunden oder verteuert werden. Die beiden Abkommen würden das Verfolgen reiner Profitziele, den Wettbewerb um lukrative Patienten und Dienstleistungen und eine Ausweitung privater Krankenversicherungen erleichtern. All dies kollidiert mit der europaweit von großen Bevölkerungsmehrheiten präferierten Gemeinwohlorientierung der Gesundheitsversorgung.

Viele Fragen sind noch ungeklärt, viele Befürchtungen seit Kurzem bestätigt. Eins ist klar: So wie sie aktuell formuliert sind, muss man Ceta und TTIP ablehnen.